96 — Im „Goldenen Kreuz“ hat er gute Freunde getroffen. Der Wein funkelte so rot und glühend; jetzt freilich macht er ihm den Kopf schwer. Was tut's? Er ist ja bald daheim. Die Pferde finden den Weg im Dunkeln, er läßt ihnen den Willen und hält die Zügel schlaff. Da, was ist das? Es klingt wie ein Aufspritzen des Wassers, wenn ein schwerer Körper hineinfällt, und jetzt ein Gurgeln der Wellen. Aber Friedrich hat nichts gehört, er fährt weiter. Einer aber hat's gehört und gesehen. Der Leo hat im Nu begriffen, daß es sein kleiner Herr ist, der beim Anstoßen des Wagens an einen Stein in weitem Bogen über das Geländer fliegt und ins Wasser fällt. Ein Sprung, und seine mächtigen Tatzen teilen die Flut. Leo rudert tapfer pustend weiter. Seine Augen durchdringen das Dunkel — er sieht den schwarzen Körper des Knaben, er faßt ihn mit der Schnauze fest am Rücken, beißt sich in das Tuch des Wamses und schwimmt dem Ufer zu. Er zieht, zerrt, schleift, bis er den kleinen, stillen Körper oben auf dem Uferrande hat. Da leckt er das Gesicht, die Hände, winselt und wedelt, riecht und schnuppert. Hans will nicht erwachen. Da stößt Leo ein mächtiges Geheul aus, daß es weit schallt wie ein Feuerhorn über die Ebene. Alles still! Da legt er sich hin über den Knaben — seine warmen Tatzen decken die nasse Brust — und hält Wacht. Ist's Totenwacht? Von Zeit zu Zeit wiederholt er sein macht— volles Geheul, daß die Wellen erschrecken im Flusse. Endlich nahen Schritte. Ein paar Männer kommen von W. her über die Brücke. Sie hören das Heulen, finden den treuen Wächter neben dem kalten, nassen Knaben. Sogleich laden sie ihn auf und tragen ihn heim in ihr Haus, das seitab liegt von der Landstraße. 5. Der Friedrich fährt weiter, ohne zu wissen, was vorgefallen. Als die Braunen vor der Mühle halten, wird er munter. Er will absteigen und dem Hans herunterhelfen. „Ach Gott, wo ist er?“ Der Platz ist leer. Der Müller kommt heraus, die Mutter auch. Sie hat sich geängstet um Hans und will ihn heimholen. Da ist er nicht auf dem Wagen. Welch ein Jammer! Friedrich weiß keine Auskunft zu geben, und obwohl er hoch und teuer versichert, nicht geschlafen zu haben, sieht jeder doch, daß, während er schlief, der Knabe an seiner Seite verschwunden ist. Die Mutter will selbst hinaus in die Nacht, das Kind zu suchen; aber der Vater weist sie hinein in die Stube. Er zündet eine Laterne an und sagt: „Ich finde ihn allein. Der Leo ist auch nicht heimgekommen, so ist er beim Hans; es kann nicht schlimm sein.“ Er wandert hinaus; aber schon auf halbem Wege kommt ihm ein Bote entgegen, einer der Männer, der ihm erzählt, wie und wo Hans gefunden worden, und daß er, nächst Gott, es dem treuen Leo verdanke, daß er gerettet und lebend sei. Im warmen Bette bei der Nachbarsfrau habe er die Augen aufgeschlagen und die Rede wiedergefunden. Da eilt der Vater mit dem Manne, sein Kind