240 174. Ein dienstbarer Geist. M. Wilhelm Meyer. Kann man sich etwas tanken, das wunderbarer ist als die Elektrizität? Da läuft ein Kupferdraht längs der Wand hin. Nichts unterscheidet seine Zusammensetzung von dem Kupfer, das wir als Scheidemünze mit uns in der Tasche herumführen. Keiner unserer Sinne verrät uns ohne weiteres, was in diesem Drahte vorgeht. Es kann ihn der stärkste elektrische Strom durch¬ fliegen, er wird um kein Gramm schwerer, seine Farbe verän¬ dert sich nicht im geringsten, und niemand kann ihm ansehen, ob er gerade eben elektrisch ist oder nicht. Und doch ist die¬ ser unscheinbare Draht der Leiter jener unschätzbaren Kraft, die der Mensch zu seinem allseitig verwendbaren Diener aus¬ gebildet hat. Brauchen wir Wärme, der elektrische Strom lie' fert sie in dem Augenblick, wo wir einen Taster niederdrücken; brauchen wir Licht, der Druck auf einen zweiten Taster läßt es sofort erstrahlen; brauchen wir Arbeitskraft, unser Diener schleppt sie aus weiter Ferne herbei. Unser elektrischer Diener ist nicht bloß stark, sondern er ist auch sehr gelehrig. Wir erteilen ihm schriftliche oder mündliche Aufträge an entfernt wohnende Freunde, und wäre es auch in fernem Weltteile kaum sind die Worte geschrieben oder gesprochen, so sind sie schon an Ort und Stelle, und die Antwort trifft ein. Unser Diener versteht jede Sprache. Kein Bote ist so schnell und so pünktlich, so verschwiegen und so genügsam. Wir stellen unsern Diener als Wache an, er meldet die Ankunft jedes Fremden und jede beginnende Feuersbrunst; er besorgt die gefahrlose Entzündung von Minen und verzeichnet Tag und Nacht das Ergebnis der Wetterbeobachtungen. Er durchleuchtet die Körperteile des Kranken und zeigt dem Arzte die An¬ wesenheit von Fremdkörpern und Knochenbrüchen. Und dieser willige Sklave, der unserm leisesten Winke folgt, ist doch kein anderer als der furchtbar gewaltige Geselle, der in seiner Wild¬ heit Eichen zersplittert, Gebäude in Brand steckt, Menschen und Tiere erschlägt. Zerschneidet man den leitenden Draht, so wird zwischen den Enden ein knisternder Funke hervorspringen, der sich vor unsern neugierigen Blicken schleunigst in sein metallenes Kelch zurückflüchtet. Bringt man an den Enden des zerschnittenen Drahtes Kohlenstücke an, so schlägt die Elektrizität über das Hindernis hinweg eine strahlende Brücke. Das ist das soge¬ nannte Bogenlicht, das vielfach zur Beleuchtung von Straßen,