93 20. Der Haushahn. Zwei Diebe stiegen um Mitternacht auf einer Leiter zum Fenster einer Mühle hinein, um dem reichen Müller sein Geld zu stehlen. Wie sie nun in dem dunkeln Haus gange leise auf den Zehen vorwärts schlichen, um die Schlafkammer des Müllers zu finden, krähte nicht weit von ihnen der Haushahn. Der jüngere Dieb fuhr zusammen und sagte leise : „ Der Hahn hat mich recht erschreckt! Wir wollen wieder umkehren; der Diebstahl möchte ent deckt werden.“ — „Du furchtsamer Tropf!“ sprach der ältere, „wer uns in den Weg kommt, den stossen wir mit unsern Messern nieder. Dann kräht kein Hahn darnach ! “ Die Bösewichter ermordeten auch wirklich den Müller und machten sich mit dem Gelde davon. Drei Jahre nachher blieben sie einmal in dem Wirts hause eines abgelegenen Walddorfes über Nacht. Da krähte der Haushahn ganz nahe bei ihnen so laut, dass beide davon erwachten. „Der verwünschte Hahn!“ sprach der ältere Räuber; „ich könnte ihn gleich erwürgen! Seit jener Nacht in der Mühle ist mir sein Krähen in der Seele zuwider ! “ — „Geht’s dir auch so wie mir?“ sprach der jüngere. „Wir hätten den Müller nicht umbringen sollen; denn seit der Zeit geht mir, so oft ein Hahn kräht, ein Stich durch das Herz.“ Sie schliefen wieder ein; aber gegen Morgen drangen plötzlich bewaffnete Männer in die Kammer und nahmen sie gefangen. Der Wirt hatte, da zwischen ihrer Schlafkammer und der seinigen nur eine leichte Bretterwand war, ihr Gespräch gehört und sogleich der Obrigkeit Anzeige gemacht. Als nun beide Mörder hingerichtet wurden, sagten die Leute: „So hat doch ein Hahn darnach gekräht! Besser wäre es gewesen, sie hätten sich von dem warnen lassen, der zuvor gekräht hat.“ * * * Es ist nichts so fein gesponnen, Es kommt doch endlich an die Sonnen. Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht. — Ehrlich währt am längsten.