334 — Um das Jahr 100 nach Christi Geburt gab der römische Geschichts— schreiber Tacitus eine Schilderung der Lebensverhältnisse unserer Vor⸗ fahren. Ihm verdanken wir die erste ausführliche Kunde über die Germanen. Sie erschienen ihm als ein Volk von überströmender Kraft, hart und roh in ihrem Wesen, aber edel und rein. Das Haus, mit dem sie ehemals nach Westen gewandert waren, war ein leichter Holzbau gewesen. Nachdem sie sich zur festen Besiedelung niedergelassen hatten, nahm es eine andere Gestalt an. Wir dürfen es uns als Blockhaus denken. Baumstämme dienten als Baumaterial. An ihre Stelle trat hie und da Fachwerkbau mit Flechtwerk und Lehm. Bedeckt war das Haus mit Stroh und Schilf, die man im Winter mit Dung belud. Der Hauptraum war eine weite Halle. Hier stand der Herd, dessen heiliges Feuer niemals erlöschen durfte. Darüber hing der große Kessel an einem Seile, das von einem drehbaren Gerüste herablief. Der Rauch zog durch eine Dachöffnung, die den Schornstein sowie die Fenster ersetzte; so konnte das Tageslicht den halbdunkeln Raum niemals völlig durchdringen. Viel Hausrat gab es nicht. In der Nähe des Herdes, dem Haupteingange gegenüber, erhob sich der Hochsitz des Hausherrn. Hier stand die Haupttafel, hier nahmen die geehrtesten Gäste Platz. An den anderen Seiten der Halle zwischen den Pfeilern standen ebenfalls Bänke und Tische für andere Gäste. Hinter den Bänken waren in der Regel die Schlaf⸗ verschläge angebracht. Manchmal war das Gehöft auch um einen riesigen Baumstamm gezimmert, der seine Wipfelzweige durch das Dach hinaus in die Wolken streckte. In Kellern unter der Erde, die eine Zuflucht gegen die Winterkälte boten und auch dem Webstuhle der Frauen noch Raum ließen, barg man Früchte und andern Vorrat, sowie die geringen Schätze, wenn man vor dem Feinde waldeinwärts floh. Wo nicht alles unter einem mächtigen Dache sich vereinigen ließ, halfen Stall und Scheuer aus, die neben dem Wohnhaus errichtel waren. Die Römer, selbst daran gewöhnt, in größeren Städten zu wohnen, fanden in Germanien eine andere Art des Daseins, die ihnen unbegreiflich schien. Es gab keine Städte, am wenigsten befestigte, keine zusammengehäuften Menschenmassen. Hinter Mauern wurde der Germane von einem Gefühl der Angst ergriffen. In seinen offenen Dorfschaften waren die Häuser nicht miteinander verbunden. Der Hof, durch Zaun und Flechtwerk eingehegt, bildete ein für sich abgeschlossenes Ganze. Die Germanen lebten gesellig. Nur aus— nahmsweise mochte man im Dunkel des Waldes seine Wohnung auf⸗ Hlagen. Einzelgehöfte, wie sie sich in späteren Zeiten ausbildeten, waren in Süd- und Mitteldeutschland eine seltene Erscheinung. An