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Baron Junghanns und Schindlers
Oeutsche jprachschule
Literaturheft
für die Oberklassen der Volks—
und Bürgerschulen und für
Fortbildungsschulen
18. Nuflage
Preis 30 Pf.
9—
bdns
500138, 10)
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1910
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8 R 8 1 ß
22
mag von hulius Minkhardt in Leipzig
Seorꝗ Eckert nstitut 78
1219 1042
Inhaltsverzeichnis.
Seite
Einleituug
Das Mbelungenlied
2
Biographische Slizze
hans Sachs
7
Paul Gerhardt
Blographische Slizze
7
Ehriltian fFürchtegott Gellert.
Blographische Slizze
Das uscherd ind der Adergaul
7
8
Friedrich Sottueb llopstock
Biographische Stizze E
las der Messiadeß GSDas Be—
gräbnis
8
8
Sotthold Sphraim esling.
Biograhische Stizze
Aus Minng ou Barnhelm
¶Aufzug 8 Auftritt
—
9
9
Matthias Claudius
isgraphische Slizze
Wendebd
Johanvn GSottfried Herder.
Biographische Slizze
Pohblass —
— —
— 2
Gottfried August Bũrger
Biographische Skizze
Jjohann Heĩnrich Vos.
Blograph sche Stlizze —
Der siebzigste Geburtstag
13
18
Wollgang von Goethe
Biographische Stizze
Wanderers Nachtlled —
Ein gleiches 2 — —
Der ischerr —
Sspride
Uis Hermann und Dorotheaa
Gesang und aus dem 8 Gesange) 20
Aus Gotz von Berlichingen
Aufzug 2 Auftritt) 24
18
Friedrich von Schiller
Biographische Slzze
Der Taucher
Das Ved von der Glockee
Epigrammte
Aus Wilhelm Tell II Aufzug
83. Auftritt)
Johann Paul Friedrich Richter
Bbean DdDau
Biographische Slizze
eter hebel.
Biographische izze
Der Sommerabend
Biographische Slizze
Aufruf
Theodor Rõrner.
—
Ermt Morit: Arndt.
Bographische Slizze
nnnn
vlographische Stizze
Schloß Boncourt
Biographische Slizze
Abendlie
Der Ainmner
Angereihle Perlen
Friedrich Rũckert.
Biographische Stiʒe
Schafers Sonntagelied
Frühlingsglaube
Des Sangers Fluch
Vloh taphische Slizze
helin ich heine.
Blographische Stizze
Du bist wie eine Blume
Sustav Schoab
Biographische Sizze
ee St. Just
August von Platen
Seite
27
28
32
36
387
48
49
545
41
4
8
4
4
3
50
0
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52
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*
52
54
Einleilung.
pen Geschichte des deutschen Schriftentums (Literatur) teilt man ein in drei
erioden:
L Alte Zeit, vom germanischen Heidentum bis 900 n. Chr. Schon die
ältesten Deutschen derherrlichlen in Liedern, welche sich von Mund zu Mund fort—
pflanzten, ihre Nationalhelden, wie Armin u. a. Doch besaßen unsre Vorfahren
ich eine, wenngleich mangelhafte Buchstabenschrift Runen. Ein westgotischer
Bischof, Namens Ulfilas (f 388), übersetzte sogar die Bibel. Teile dieses Werkes
haben sich bis auf unsre Tage erhalten. Von den Heldengesängen ist nur das
Hldebrandslied auf uns gelommen. Von Ludwig dem Frommen an trat an die
Stelle des Heldengesanges die christlich-geistliche Poesie. Das wichtigste Denk
mal dieser t ist die Evangelienharmonie.
2. Mittlere Zeit, von ungefähr 1150— 1500. Nach längerer Zeit der
Ruhe erwecten die Kreuzzüge in der Nation das poetische Leben, welches in zwei
Hauptarten der Poesie siq iund gab, nämlich in der Volks- und in der Kunst—
hoefle. Jene tknüpfte sich an alte Sagen und Ereignisse und wurde von den
sahrenden Leuten, da h. Sängern, welche an Höfen und in Städten umherzogen,
bach erhalten. Diese dagegen war die Frucht des Sinnens und Dichtens einzelner
Männern Die bedeutendflen Volksepen sind: Nibelungenlied und Gudrun.
Die bdeutendsten Dichter von Kunstepen sind: Wolfram von Eschenbach, der
des „Parcival“, und Gottfried von Straßburg, der Dichter von „Tristan
und Isolde“.
Das Minnelied umfaßte die lyrische Seite der Kunstpoesie. Unter Minne
berstand man das stille, sehnende Denken an das, was einem lieb und teuer war
Im Minneliede offenbarte sich besonders die Frauenverehrung des Mittelalters.
Die hervorragendsten Minnesänger sind: Wolfram von Eschenbach, Reimer der
Alle, Wallter von der Vogelweide und Heinrich Frauenlob. Von den Ritter—
burgen und Fürstenhöfen ging die Dichtkünst über in die aufblühenden Stãdte
und wurde hier von ehrsamen Bürgern und Handwerkern zunftmäßig betrieben
Man nennt diese Richtung der Dichtung Meistergesang. Die Meistersänger—
slen Dihtergenossenschaften) erhielten sich bis ins 16. Jahrhundert. Der größte
aller Meissersänger war Hans Sachs.
3 Reue Zeit, von 1500 bis auf die Gegenwart. Besonders durch
Lutkhers Bibelübersetzung wurde die hochdeutsche Mundart zur Schriftsprache er⸗
hoben, und das Volk erhielt die so notwendige sprachliche Einheit. Die
Poesie ging jetzt aus den Händen der Handwerker-Dichterzünfte über in die ge—
sehrien üreise und nahm den Geist der klassischen Dichtungen der alten Griechen
Und Römer in sich auf. Die Hauptvertreter dieser Richtung waren: Opitz, Paul
Flemming, Gottsched, Hagedorn, Gellert. Darnach folgte 17359 1832 die Zeit,
n belcher die deutsche Dichtkunst zur höchsten Blüte sich entwickelte. Die größten
Dichter dieser Periode waren: Klopstock, Lessing, Wieland, Herder, Goethe,
Schlller. Eine Reihe von Dichtern, die nach diesen lebten uͤnd der neuesten
Zelt angehören, pflegten namentlich die nationale Poesie oder zeichneten sich auf
hrischem Gebiete aus. In diese Reihe gehören: Körner, Arndt, Uhland, Hoff⸗
Nann don Fallersleben, Geibel, Freiligrath, Rückert, Spilta, Gerol, Sturm, Fon—
tane. Hebbel. Mörikle u. a.
Deulsche Sprachschule J. LViteraturheft.
Das Nbelungenlied.
Zu Worms am Rhein wohnt könig Gunther mit seiner Schwester
Krlemhild, der schönsten Jungfrau in allen Landen, den Brüdern
Gernot und Giselher, den Dienstmannen Hagen von Tronje und
Volkeru. a. Zur selben Zeit erwächst zu Xanten am Rhein Siteg
fried, Sohn des Königs Siegmund, ein junger, herrlicher Held, der
früh schon im Drachenkampfe gesiegt, duürcu Salben mit des Drachen
Blut unverwundbar geworden, der den mãchtigen Goldschat Hort) der
Nibelungen Qebelleute) erobert und ein unslsechtbar machendes, über—
menschliche kraft verleihendes Gewand, die Tarnkappe, gewonnen hat.
Er kommt nach Worms, wirbt um Kriemhild, erhält sle aber erst, naen
dem er Gunther beigestanden hat, die mit auberordentlicher Starke be-
gabte Brunhild, die Königin des Isenlandes, zu bestegen, wodurch
diese König Gunthers Gemanlin wird. Siegfried heiratet criemhild und
zieht mit ihr nach Xanten. Nach einiger Zeit besucht Siegfried mit
seiner Gemahlin die Verwandten in Worms. Da geraten beide Königinnen
in Streit über den Rang ihrer Männer und den Vortritt beim kirchgang.
Aufs höchste gereizt, wirft Kriemhild ihrer Nebenbubserin vor, daß sie
ja nur dureh den Beistand ihres Mannes Gunthers Gattin geworden
sei. Wũütend über diesen Spott, bewegt Brunhild ihren Dienstmann
Hagen zur Ermordung des edlen Siegfried. Ahnungslos bezeichnet
Kriemhild selbst dem Mörder die einzig verwundbare Stelle lhres
Gatten, und dieser wird nun auf einer Jagd meuchlings von Hagen er
gtochen. Von ihren Brüdern beredet, läbt Kriemhild den Nibesungen-
hort nach Worms kommen, mub aber geschehen lassen, daß Hagen r
denselben mit Vorwissen des Königs entreißt und in den Rhein ver—
senkt, damit sie ihn nicht zum Verderben der Mörder ihres Gattien
anwende. Von dieser Zeit an ändert sich Kriemhilde gänzleh. hre
schüchterne Weiblichkeit weicht dem herbsten Groll und dem Gedanen
der Rache, der jahrelang einzig ihre Seele beschãftigt. Nach drei-zenn
Jahren wirbt der Hunnenfürst Etzel um sie, und sie nimmt dessen
Antrag an, weil sie darin das Mittel sieht, sich an Hagen 2u rachen.
Sie zieht nach Ungarn und ladet nach abermals dreizenn Jahren re
Verwandten in Worms zum Besuche zu sich ein. Trotz Hageũs Warnung
treten diese mit 3000 Vasallen und 9000 Knechten die Rèise dahin an
Hagen sieht den Untergang voraus, schließt sich aber mit bühnen oree—
dem Zuge an. Bald zeigt sich an Etzels Hofe der feindüehe Sinn de—
königin. Hagen, mit Volker, dem kiedler, in innigster Freundschant
verbunden, reizt die Unglückliche noch mehr; er erinnert sie an Siegtried
und bekennt offen seine Freveltat. Sie labt hiernach die Knechte iber
fallen, während die Herren beim Mahle sitzen. Aauf diese Kunde er-
schlägt Hagen ihr kind Orlieb. Darauf entspinnt sich ein langer Kampt
zwischen den Hunnen und Burgundern, bis endlich Dietrich von Bern,
der als Gast am Hofe Etzels weilt, Hagen und Gunther gefangen nnmt
und sie gefesselt vor Kriemhild führt, ihr empfehlend, das Leben der
Helden zu schoönen. Diese läßt aber in ihrer Wut ihren Bruder töten,
trägt sein blutiges Haupt an den Haaren zu Hagen hin und schlägt
diesem dann eigenhändig mit Siegfrieds Schwert den Kopf ab. Empôtt
über die entsetzliche Tat, ermordet der alte Hildebrand zuletzt aueh
noch die Königin. Nur Etzel, Dietrich und Hildebrand überleben den
Untergang des ganzen Geschlechts und betrauern den Tod ihrer Helden.
— 3 —
Wie Biegfried erschlagen ward.
(16. Abenteuer.)
1. Gunther und Hagen, die Recken wohlgetan,
berieten mit Untreuen ein Birschen in den Tann—
Mit ihren scharfen Spießen wolllen sie jagen gehn
Bären, Schwein und Büffel, was konnte Kühnres geschehn?
2. Da ritt auch mit ihnen Siegfried mit stolzem Sinn.
Man bracht' ihnen Speise mancherlei dahin.
An einem kalten Brunnen verlot er bald den Leib,
Brunhild hat es geraten, Gunther, des Königes Weib.
3. Da ging der kühne Degen, wo er Kriemhilden fand.
Schon war aufgesäumet das edle Birschgewand
für ihn und die Gesellen, sie wollten über Rhein.
Da konnte Kriemhilden nicht übler zu Mute sein.
4. Seine liebe Traute küßt' er an den Mund:
„Gott lasse mich dich, Fraue, noch wiedersehn gesund
und mich auch deine Augen! Mit holden Freunden dein
verkürze dir die Stunden, ich kann nun nicht bei dir sein.“
5. Da gedachte sie der Märe, sie durft' es ihm nicht sagen,
die sie Hagen sagte. Da begann zu klagen
die edle Königstochter, daß das Leben gewann.
Wie da manche Träne dem wunderschönen Weib entrann!
6. Sie sprach zu dem Recken: „Laßt euer Jagen sein!
Mir träumte heut von Leide, wie euch zwei wilde Schwein'
auf der di jagten, da wurden Blumen rot.
Daß ich so bitler weine, das tut mir sicherlich not.
7. Ich fürchte sehr und bange vor etlicher Verrat.
Hier sind gewißlich welche, die man erzürnet hat,
die könnten uns verfolgen mit feindlichem Haß.
Bleibt hier, mein lieber Herrel Mil Treue rat ich euch das.“
8. „Meine liebe Traute, ich kehr' in kurzer Zeit.
Ich weiß nicht, daß hier jemand mir Haß irüg oder Neid.
Alle deine Freunde sind insgemein mir hold,
auch verdient' ich von den Degen wohl nimmer anderlei Sold.“
9. „VNicht doch, lieber Siegfried, wohl fürcht' ich deinen Fall.
Mir träumte heut von Leide, wie über dir zu tal
fielen zwei Berge, daß ich dich nicht mehr sah.
Und willst du von mir scheiden, das gehl mir inniglich nah.“
10. Er umfing mit Armen das tugendreiche Weib,
mit holdem Kusse herzt' er ihren schönen Leib.
Dann nahm er Urlaub und schied in kurzer Stund':
Sie ersah ihn leider darnach nicht wieder gesund.
— 4 —
11. Da ritten sie von dannen in einen tiefen Tann.
Der Kurzweil willen folgte manch kühner Rittersmann
Gunthern, dem Könige, und Siegfrieden nach.
Giselher der Ruhe daheim mit Gernoten pflag.
12. Manch Saumroß zog beladen vor ihnen über Rhein,
das den Jagdgesellen das Brot trug und den Wein,
das Fleisch mit den Fischen und Speisen mancher Art,
wie sie ein reicher König wohl haben mag auf der Fahrt.
13. Da ließ man herbergen bei dem Walde grün
vor des Wildes Wechseln die stolzen Jäger kühn,
als sie da jagen wollten auf breitem Angergrund.
Da war auch Siegfried kommen, das ward dem Könige kund.
14. Da vernahm man allenthalben Lärm und Getos.
Von Leuten und von Hunden ward der Schall so groß,
man hörte widerhallen den Berg und auch den Tann.
Vierundzwanzig Hunde hatten die Jäger losgetan.
15. Da wurde viel des Wildes vom grimmen Tod ereilt.
Sie wähnten es zu fügen, daß ihnen zugeteilt
der Preis des Jagens würde. Das konnte nicht geschehn,
als bei der Feuerstätte der starke Siegfried ward gesehn.
16. Die Jagd war zu Ende, und doch nicht ganz und gar.
Die zu der Herberg' wollten, brachten mit sich dar
Häute mancher Tiere, dazu des Wild's genug.
Hei, was man zur Küche vor das Ingesinde trug!
17. Er ritt zur Herberge, in welcher Herrlichkeit!
Sein Spieß war ungefüge, stark, dazu breit.
Eine schmucke Waffe hing ihm herab bis auf den Sporn,
von rotem Golde führte der Degen ein schönes Horn.
18. Von besserm Birschgewande hört' ich niemals sagen—
Einen Rock von schwarzem Zeuge sah man ihn tragen
und einen Hut von Zobel, reich war der genug.
Hei, was für Borden an seinem Köcher er trug!
19. Von einem Panther war darüber gezogen
ein Vließ des Ruches wegen. Auch trug er einen Bogen,
den man mit einer Winde mußte ziehen an,
wenn man ihn spannen wollte, er hätt' es selbst denn getan.
20. Von der Haut des Luchses war sein ganz Gewand,
das man von Kopf zu Füßen bunt überstreuet fand.
Aus dem leichten Rauchwerk zu beiden Seiten hold
schien an dem kühnen Jäger manche Borde von Gold.
21. Auch führt er Balmungen, das breite, schmucke Schwert.
Das war stark und schneidig. Nichts blieb unversehrt,
wenn man es lug auf Helme; seine Seiten waren gut.
Der herrliche Jäger, der trug gar hoch seinen Mut.
5
22. Weil ich euch der Märe anz bescheiden soll,
so war sein edler Köcher guter 92 voll,
mit goldenen Röhren, die Eisen händebreit.
Wen er damit getroffen, dem war das Ende nicht weit.
23. Da sprach von Tronje Hagen: „Lieber Herre mein,
ich wähnte, das Birschen sollte heute sein
in dem Spechtsharte. Den Wein sandt ich dahin,
heut gibt es nichts zu trinken, doch vermeid' ich's künftighin.“
24. Da sprach der Niederländer: „Ich sag' euch wenig Dank.
Man sollte ra Säumer mit Milch und Lautertrank
mit hergesendet haben. Konnte das nicht sein,
so hätte man uns besser gesiedelt näher dem Rhein.“
25. Das wurde da nicht inne der verratne kühne Mann,
daß man solche Tücke wider sein Leben spann.
Er war in hoöher Tugend, alles Falschen bloß,
seines Todes mußt entgelten, der nie Gewinn davon genoß.
26. Da sprach von Tronje Hagen: „Ihr edlen Ritter schnell,
ich weiß hier in der Nähe einen kühlen Quell,
daß ihr mir nicht zürnet, da rat' ich, hinzugehn.“
Der Rat war nanchem Degen zu großer Sorge geschehn.
27. Siegfried, den Recken, zwang des Durstes Not,
den Tisch er wegzurücken so zeitiger gebot.
Er wollte vor die Berge zu dem Bruͤnnen gehn.
Da war der Rat aus Arglist von den Recken geschehn.
28. Man hieß das Wild aufsäumen und führen in das Land,
das da verhauen hatte Siegfriedens Hand
Wer es auch sehen mochte, sprach Ehr und Ruhm ihm nach,
Hagen seine Treue sehr an Siegfrieben brach.
29. Als sie von dannen wollten zu der Linde breit,
da sprach von Tronje Hagen: „Ich hörte jederzeit,
es könnte niemand folgen Kriemhilds Gemahl,
wenn er rennen wolle. Hei, schauten wir das einmal!“
30. Da sprach von Niederlanden Siegfried, der Degen, kühn:
„Das mögt ihr wohl versuchen. Wollt hr zur Wetle hin
mit mir an den Brünnen? Wenn der Lauf geschieht,
soll der gewonnen haben, welchen man gewinnen sieht.“
31. ‚Wohl, laßt es uns versuchen!“ sprach Hagen, der Degen.
Da sprach der starke Siegfried: „So will ich yn legen
zu euren Füßen nieder in das Gras.“
ls er das erhörte, wie lieb war König Gunthern das!
6
32. Da sprach der kühne Degen: „Ich will euch mehr noch sagen:
All mein Geräte will ich mit mir tragen,
den Speer samt dem S dazu mein Birschgewand.“
Das Schwert und den Köcher er um die Glieder schnell sich band.
33. Abzogen sie die Kleider von dem Leibe da,
in zwei weißen n man beide stehen sah.
Wie zwei wilde Panther liefen sie durch den Klee,
man sah bei dem Brunnen den kühnen Siegfried doch eh'.
34. Den Preis in allen Dingen vor manchem man ihm gab.
Da löst er schnell die Waffe, den Köcher legt' er ab,
den starken Wurfspieß lehnt' er an den Lindenast,
bei des Brunnens Flusse stand der herrliche Gast.
35. Siegfriedens Tugenden waren gut und groß.
Den Schild legt er nieder, wo der Brunnen floß.
Wie sehr ihn auch dürstete, der Held nicht eher trant,
bis der Wirt getrunken. Dafür gewann er übeln Dank.
36. Der Brunnen war lauter, kühl und auch gut,
da neigt' sich Gunther hernieder zu der Flut.
Als er getruͤnken hatte, erhob er sich hindann,
also hät! auch gerne der kühne Siegfried getan.
37. Da entgalt er seiner Tugend. Den Bogen und das Schwert
trug Hagen bei Seite von dem Degen wert.
Daun sprang er schnell zurücke, wo er den Wurfspieß fand,
und sah nach eineni Zeichen an des Kühnen Gewaͤnd.
38. Als Siegfried der Degen, aus dem Brunnen trank,
schoß er ihn durch das Kreuze, daß aus der Wunde sprang
das Blut seines Herzens hoch an Hagens Staat.
Kein Held begeht wieder also große Missetat.
39. Den Wurfspieß im Herzen ließ er ihm stecken tief.
Wie im Fliehen Hagen da so grimmig lief,
so lief er wohl auf Erden nie vor einem Mann.
Als sich der starke Siegfried der großen Wunde besann,
40. Der Held im wilden Toben von dem Brunnen sprang,
ihm ragte von den Schultern eine Speerstange lang.
Nun wähnt' er da zu finden Bogen und Schwert,
so hätt' er Lohn Herrn Hagen wohl nach Verdienst gewährt.
41. Als der Todwunde das Schwert nicht wieder fand,
da blieb ihm nichts weiter als der Schildesrand,
den hob er von dem Brunnen und rannte Hagen an,
da konnt' ihm nicht entrinnen König Gunthers Untertan.
42. Wie wund er war zum Tode, so kräftig er doch schlug,
daß von dem Schilde nieder rieselte genug
des edeln Gesteines, der Schild zerbrach vn fast.
So gern gerochen hätte sich der herrliche Gast.
7 —
43. Gestrauchelt war der Hagen von seiner Hand zu tal,
der Anger von den Schlägen 59 im Widerhall.
Hätt er sein Schwert in Händen, so wär es n Tod.
Sehr zürnte der Wunde, es zwang ihn wahrhafle Not.
44. Seine Farbe war erblichen, er konnte nicht mehr stehn.
Seines Leibes Stärke mußte gänz zergehn,
da er des Todes Zeichen in lichter Farbe trug.
Er ward hernach beweinet von schönen Frauen genug.
45. Da fiel in die Blumen der Kriemhilde Mann,
das Blut von seiner Wunde stromweis niederrann.
Da begann er die zu schelten, ihn zwang die große Not,
die da geraten hatten mit Untreue seinen Tod.
46. Da sprach der Todwunde: „Weh, ihr bösen Zagen
Was helfen meine Dienste, da ihr mich habt erschlagen?
Ich war euch stets gewogen und sterbe nun darau.
Ihr habt an euren Freunden leider übel getan!“
Hans Sachs.
geb. 1494 zu Nürnberg — besuchte die lateinische Schule seiner Vater-
stadt — kam in seinem 15. Jahre zu einem Schuhmacher in die Lehre
— erlernte gleichzeitig die Meistersängerkunst — ging im 17. Jahre
auf die Wanderschaft — kehrte im 22. jahre nach Nürnberg zurüek —
trieb sein Handwerk und dichtete 6048 Gedichte Oramen, Schwänke,
Meistergesange, Kirchen- und Kriegslieder, poetische Erzählungen usw.)
und starb 1576. Es ist der berühmteste Meistersanger. In seinen Gedichten
herrscht ein schlichter, freier und frommer Sinn.
Paul Gerhardt,
geb. 1616 zu Gräfenhainichen in Sachsen — wurde Diakonus zu Berlin
— sah sich genõtigt, sein Amt hier niederzulegen — wurde Prediger in
Lübben und starb hier 1676. Bedeutender geistlicher Liederdichter. —
Gesangbuchslieder: „Befiehl du dein Wege, „Nun ruhen alle Walder“,
„O Haupt voll Blut und VWunden“, „Ieh weiß, daß mein Erlöser lebts,
„Ileh singe dir mit Herz und Mund“, „Wie soll ich dich empfangen.“
Chris tian Fürchtegott Gellert,
geb. 1715 zu Hainichen — besuchte die Fürstenschule zu Meiben —
studierte in Leipzig Theologie und Philosophie — wurde Hauslehrer
— wurde Professor in Leipzig und starb 1769. Hervorragend als Fabel-
und Liederdichter. — Fabeln: „Zeisig und Nachtigall“, Der Blinde und
der Lahme“. Gesangbuchslieder: „Wenn ich, o Schöpfer, deine Macht“,
„Wie grob ist des Allmächt'gen Güte“, „Nach einer Prüfung“.
8
Das Uulschyferd und der Acergaul.
Ein Kutschpferd sah den Gaul den Pflug im Felde ziehn
und wiehert stolz herab auf ihn.
„Wann“, sprach es und begann sich schön zu heben,
zwann kannst du dir ein solches Ansehn geben?
Und wann bewundert dich die Welt?“ —
„Schweig“, rief der Gaul, „und laß mich ruhig pflügen;
denn baute nicht mein Fleiß das Feld,
wie würdest du den Hafer kriegen,
der dich so frisch und stolz erhält?“
Friedrich Gottlieb Klopstock.,
geb. 1724 zu Quedlinburg — besuchte das Gymnasium seiner Vaterstadt
dud die Fürstenschule 2u Schulpforta — studierte in Jena und Leipzig
Theologie — wurde Hauslehrer — machte eine Reise in die Schweiz
lebte viele Jahre in Kopenhagen und erhielt vom könige von Däne-
mark ein Jahrgehalt — zog nach Hamburg — starb hier 1803 und wurde
sehr ehrenvoll begraben. Berühmt als Dichter der „Messiade“ und
vieler schöner Oden.
Aus der „Messiade“.
Das Begräbnis.
5.
10.
15.
20.
„Sende zum Hauptmann am Kreuz!“ Pilatus sagt es zu Joseph,
„und wenn er kommt, so führ ihn zu mir.“ Er sandte. Der Hauptmann
kam. Sie traten herein. — „Ist, den sie vor Barrabas wählten,
jetzt schon tot?“ — „Tot war er. Ihm wollte keiner die Beine
brechen, bis einer zuletzt die Lanze tief ihm ins Herz stieß.“
Und Pilatus erwiderte: „Gib dem Manne den Leichnam,
daß er ihn, wo er will, begrabe.“ Wo hast du beschlossen
ihn zu begraben?“ — „An Golgathas Hügel in meinem Grabe.“
Also sagt' er und ging und kam zu dem Hügel des Todes.
Christus Mutter erblickte zuerst den Treuen und sah es,
daß er das Sterbegewand zu ihres Sohnes Begräbnis
trug, und weinte vor inniger Wehmut; doch ohne Sprache
blieb sie noch stets, stumm immer noch mit dem Schwert in der Seele.
Und so bebte zum ersten Male die Lippe Johannes:
„O Maria, uns armen Leidenden ist es doch Lind rung,
daß ihn Joseph begräbt.“ — Allein indem er es sagte,
wandt er gleichwohl sein Auge vom Grabe. Die Mutter des Toten
und des Jüngers aͤntwortete nichts. Der fromme Joseph
eilte zum Kreuz, und ihm kam Nikodemus entgegen.
Wer bon den Zeugen sich ihnen nahte, dem riefen sie beide
freudig zu: „Wir dürfen den Toten Gottes begraben!“
Aber die Leidenden traten zurück und blieben von fern stehn;
d die Zeugen vom Himmel nicht auch, die Erstandnen und Engel,
diese schwebten näher hinzu. Und schon, doch unhörbar
95 —
25.
30.
35
menschlichem Ohre, begann der e Klage, der Stimme
Klage noch nicht. Hätt' einer der Sterblichen diefes dernommen,
einer von denen, die bang in bitterem Schmerze versanken,
nicht auf Erden, ex wär' im Himmel vor Freude gewesen,
oder der Engelharfe Wehmut hätt' ihn getdtet!
Jetzt trat Joseph herzu und Nikodemus und legten,
der das Sterbegewand und die Gerüche der Myrrhe
in den Staub. Dann nahmen sie von dem Kreuze den Leichnam
und ließen ihn sanft auf Golgathas Hügel herunter
sinken. Nun ruht' er am Kreuz. Sie eilten und gaben der Staude
Leben dem Leichengewand und wollten, der einst mit Posaunen
Auferstehung gebent, so vor der Verwesung schützen.
Gotthold Ephraim Lessing,
geb. 1720 zu Kamenz — besuchte die Fürstenschule zu Meiben —
studierte in Leipzig n widmete aber die meiste Zeit der
schönen Literatur und dem Theater — wurde 1760 Sekretät bei einem
preuhischen General in Breslau — ging nach Berlin und diehtete
„Minna von Barnhelm“ — lebte als Schriftsteller mehrere Jahre in Ham
burg — wurde 1770 Bibliothekar in Wolfenbüttel — sehrieb „Emilia
Galotti — machte eine Reise nach ltalien — dichtete naeh seine
Rückkehr „Nathan der Weise“ und starb während einer Reise nach
Braunschweig 1781. Er war Meister im Drama und in der Prosa
Fabeln: „Der alte Lõöwe“ „Zeus und das Pferd“, „Der Woltf auf dem
Totenbette“, „Der Rangstreit der Tiere“ u. a.
Aus „Minna von Barnhelm“
Ein Lustspiel in fünf Aufzügen.
IL. Aufzug. 8. Aullritt.
v. Tellheim. Bist du da?
Just. (indem er sich die Augen wischt), Ja!
v. en Du hast geweint?
Just. 4 habe in der Küche meine Rechnung geschrieben, und die
Küche ist voll Rauch. Hier ist sie, mein Herr.
v. Tellheim. Gib her!
Just. Haben Sie Barmherzigkeit mit mir, mein Herr. Ich weiß
wobl, daß die Menschen mit Ihnen keine haben; aber —
v. Tellheim. Was willst du?
Just. Ich hätte mir eher den Tod als meinen Abschied vermutet.
v. Tellheim. Ich kann dich nicht länger brauchen; ich muß mich
ohne Bedienten behelfen lernen. Schlägt die Rechnung auf und liest) „Was
der Herr Major mir schuldig: Drei und einen halben Monat Lohn, den
Monat 6 Trx, macht 21 Tlr. Seit dem ersten dieses an Kleinigkeiten
ausgelegt 1 Tlr. 7 Gr. 9 Pf. Summa Summarum 22 Tlr. 7 Gr. 9Pf.“
— Gut, und es ist billig, daß ich diesen laufenden Monat ganz bezahle.
Just. Die andere Seite, Herr Major —
v. Tellheim. Noch mehr? (Liest) „Was dem Herrn Major ich
10
schuldig: An den Feldscher für mich bezahlt 28 Tlr. Für Wartung und
Pflege während meiner Kur für mich bezahlt, 39 Tlr. Meinem ab—
gebrannten und geplünderten Vater auf meine Bitte vorgeschossen, ohne
die zwei Beutepferde zu rechnen, die er ihm geschenkt, 50 Tir. Summa
Summarum 114 Tlr. Davon abgezogen vorstehende 22 Tlr. 7Gr. 9Pf.
en Herrn Baron schuldig 91 Tlr 16 Gr. 3 Pf.“ — Kerl, du
bist toll! —
Just. Ich glaube es gern, daß ich Ihnen weit mehr koste. Aber
es wäre verlorene Tinte, es dazu zu schreiben. Ich kann Ihnen das nicht
bezahlen, und wenn Sie mir vollends die Livree nehmen, die ich auch noch
nicht verdient habe, — so wollte ich lieber, Sie hätten mich im Lazarette
krepieren lassen.
v. Tellheim. Wofür siehst du mich an? Du bist mir nichts schuldig,
und ich will dich einem von meinen Bekannten empfehlen, bei dem du es
besser haben sollst als bei mir.
Just. Ich bin Ihnen nichts schuldig, und doch wollen Sie mich
verstoßen?
v. Tellheim. Weil ich dir nichts schuldig werden will.
Just. Darum? nur darum? — So gewiß ich Ihnen schuldig bin,
so gewiß Sie mir nichts schuldig werden können, so gewiß sollen Sie mig
nun nicht verstoßen. — Machen Sie, was Sie wollen, Herr Major, i
bleibe bei Ihnen; ich muß bei Ihnen bleiben.
v. Tellheim. Und deine Hartnäckigkeit, dein dein wildes un—
gestümes Wesen gegen alle, von denen du meinst, daß sie dir nichts zu
sagen haben, deine lückische Schadenfreude, deine Rachsucht — —
Just. Machen Sie mich so schlimm, wie Sie wollen, ich will darum
doch nicht schlechter von mir denken als von meinem Hunde. Vorigen
Winter ging ich in der Dämmerung an dem Kanale und hörte etwas
winseln. Ich stieg herab und griff nach der Stimme und glaubte, ein
Kind „ꝛ retten und zog einen Pudel aus dem Wasser. Auch gut, dachte
ich. Der Pudel kam mir nach, aber ich bin kein Liebhaber von Pudeln.
Ich jagte ihn fort, umsonst. Ich prügelte ihn von mir, umsonst. Ich
ließ ihn des Nachts nicht in meine Kammer; er blieb vor der Tür auf
der Schwelle. Wo er mir zu nahe kam, stieß ich ihn mit dem Fuße; er
schrie, sah mich an und wedelte mit dem Schwanze. Noch hat er keinen
Bissen Brot aus meiner Hand bekommen, und doch bin ich der einzige,
den er hört, und der ihn anrühren darf. Er springt vor mir her und
macht mir seine Künste unbefohlen vor. Es ist ein häßlicher Pudel, aber
ein gar zu guter Hund. Wenn er es länger treibt, so höre ich endlich
auf, den Pudeln gram zu sein.
v. Tellhe im (ei Seite) So wie ich ihm! Nein, es gibt keine
völligen Unmenschen! — — Just, wir bleiben zusammen.
Just. Ganz gewiß! — Sie wollten sich ohne Bedienten behelfen?
Sie vergessen Ihrer Blessuren und daß Sie nur eines Armes mächtig
sind. Sie können sich ja nicht allein ankleiden. Ich bin Ihnen unent—
behrlich und bin — — ohne mich selbst zu rühmen, Herr Major — und
bin ein Bedienter, der — wenn das Schlimmste zum Schlimmen kommt
— für seinen Herrn betteln und stehlen kann.
11 —
Matthias Claudius,
genannt der „Wandsbecker Bote“, geb. 1740 im Holsteinischen —
studierte in sena — leble onne Amt in Wandsbeck und gab eine
Zeitung, den „Wandsbeeser Boten“, heraus — nahm auf Veranlassung
Herders eine Stelle in Darmstadt an Shehrte aber schon nach Jahres-
frist nach Wandsbeck zurüci vwurde Revisor der holsteinischen Bank
und starb 1815 zu Hamburg. Er vwar ein ornenchet Volksschriftsteller
und Dichter volkstümlicher Lieder.
Abendlied.
1. Der Mond ist aufgegangen,
die goldnen Sternlein prangen
am hell und klar.
Der Wald steht schwarz und schweiget,
und aus den Wiesen steiget
der weiße Nebel wunderbar.
2. Wie ist die Welt so stille
und in der Dämm'rung Hülle
so traulich und so holdl
Als eine stille Kamimner,
wo ihr des Tages Jammer
verschlafen und vergessen sollt.
3. Seht ihr den Mond dort stehen?
Er ist nür halb zu sehen
und ist doch rund und schön!
So sind wohl manche Sachen,
die wir getrost belachen,
weil unsre Augen sie nicht sehn.
4. Wir stolzen Menschenkinder
sind eitel armẽ Sünder
und wissen gar nicht viel;
wir spinnen Luftgespinste
und suchen viele Künste
und kommen weiter von dem Ziel.
5. Gott, laß uns dein Heil schauen,
auf nichts Vergänglich's trauen,
nicht Eitelkeit uns freun!
Laß uns einfältig werden
und vor dir hier auf Erden
wie Kinder fromm und fröhlich sein.
6. Wollst endlich sonder Grämen
aus dieser Welt uns nehmen
durch einen sanften Tod.
Und wenn du uns genommen,
laß uns in Himmel kommen,
du, unser Herr und unser Gott!
7. So legt euch denn, ihr Brüder,
in Gottes Namen nieder;
kalt ist der Abendhauch.
Verschon uns, Gotlt, mit Strafen
und laß uns ruhig schlafen
und unsern kranken Nachbar auch!
Johann Gottfried Herder,
geb. 1744 als Sohn eines Lehrers zu Mohrungen in Ostpreuben — wurde
beim Diakonus des Ortes Famulus am duren enen russischen
Militãärarzt nach Königsberg, um Chirurgie zu ssstudieren — vertauschte
aber dieses Studium bald mit dem der Theologie — wurde zunãchst
Lehrer, dann auch zugleich Prediger 2u Riga — bereiste Deutschland
und Frankreich — lernte in Strabburg Goethe Lennen vwaurde nor
ꝑrediger zu Büũckeburg — folgte wenige Jahre spãter einem Rufe als
Hofprediger, Generalsuperintendent und Oberonsis torialrat naen Vein,
verlebte ein Jahr in ltalien und starb 1803 in Veimar Er leibiete Vor
zügliches als Ubersetzer auslandischer Dichtungen (,Cid“, „Stimmen
der Völker) und in der Parabel.
—
12
Polykaryus.
9
10.
4133
20.
25.
30.
35.
40.
45.
„Was tötet ihr die Glieder?“ rief die Wut
des Heidenpöbels, „sucht und würgt das Hauptl!“
Man sucht den frommen Polykarpus, ihn,
Johannes Bild und Schüler. Sorgsam hatten
die Seinen ihn aufs Land geflüchtet. Ich
sah diese Nacht das Kissen meines Haupts
in voller Glut,“ so sprach der kranke Greis
und wachte mit besondrer Freude auf.
„Ihr Lieben mühet euch umsonst, ich soll
mit meinem Tode Gott lobpreisen.“ Da
erscholl das Haus vom stürmenden Geschrei
der Suchenden. Er nahm sie freundlich auf.
„Bereitet“, sprach er, „diesen Müden noch
ein Gastmahl, ich bereite mich indes
zur Reise auch.“ Er ging und betete
und folgte mit vielen Schmerzen ihnen
zum Konsul. Als er auf den Richtplatz kam,
kief eine mächt'ge Stimm' im Busen ihm:
„Sei tapfer, Polykarp!“ — Der Konsul sieht
den heitren, schönen, ruhigsanften Greis
berwundernd. „Schone“, sprach er, „deines Alters
und opfre hier, entfagend deinem Gott!“
„Wie sollt ich einem Herrn entsagen, dem
zeitlebens ich gedienet, und der mir
zeitlebens Gutes tat?“ — „Und fürchtest du
denn keines Löwen Zahn?“ — „Zermalmet muß
das Weizenkorn doch einmal werden, sei's
wodurch es will, zur künftgen neuen Frucht.“
Der Pöbel rief: „Hinweg mit ihm! Er ist
der Christen Vater. Feuer, Feuer her!“
Sie trugen Holz zusammen, und mit Wut
ward er ergriffen. „Freunde“, sprach er, hier
bedarf's der Bande nicht; wer dieser Flamme
mich würdigte, der wird mir Mut verleihen!“
UÜnd legte sll den Mantel ab und band
die Sohlen seiner Füße los und stieg
hinauf zum Scheiterhaufen. Plötzlich schlug
die Flamm' empor, umwehend ringsum ihn,
gleich einem Segel, das ihn kühlete,
gleich einem glänzenden Gewölbe, das
den Edelstein in seine Mitte nahm
und schöner ihn verklärte, bis ergrimmt
ihm eine freche Faust das Herz durchstieß.
Er sank, es floß sein Blut, die Flamm erlosch,
und eine weiße Taube flog empor.
Du lachst der weißen Taube? Soll einmal
ein Geier dir, dem Sterbenden, die Brust
13
50
durchbohren? dem Gestorbenen das Aug'
ein Rab' aushacken? aus der Asche sich
Molch oder Natter winden? Spotte nicht
des Bildes, das die Sage sich erschuf:
Nur Einfalt, Unschuld gibt im Tode Mut.
Gottfried august Bürger,
geboren 174 in Molmerswende, einem Städtchen des Unterharzes —
wurde vom 13. Jahre an beim Grobvater in Assschersleben erzogen —
kam auf das Pãdagogium zu Halle — studierte auf der Universitat
daselbst Theologie, spater in Göttingen die Rechte — wurde hier Mit-
glied des Hainbundes — erhielt die Stelle eines Amtmannes — ging
als Professor nach Göttingen und starb hier 1794 in zerrütteten Ver-
haältnissen. Hervorragend als Dichter von Balladen, z. B.: „Lenores,
„Der wilde Jäger“, „Das Lied vom braven Mann“, „Kaiser und Abt“ usw.
Johann Heinrich VobG,
geb. 1751 in einem mecklenburgischen Dorfe — wurde Hauslehrer —
gtudierte in Göttingen und war Mitglied des „Hainbundes“ — wurde
Rektor in Eutin - legte sein Amt nieder und zog nach Jjena — siedelte
nach Heidelberg über und starb hier 1826. — Er ist hervorragend als
Idvllendichter und UVbersetzer der „Iliade“ und „Odyssee“.
10.
15.
20.
Der siebzigste Geburtslag.
Auf die Postille gebückt, zur Seite des wärmenden Ofens,
saß der redliche Tamm in dem Lehnstuhl, welcher mit Schnitzwerk
und braunnarbigem Jucht, voll schwellender Haare, geziert war —
Tamm, seit vierzig Jahren in Stolp, dem lee Freidorf,
Organist, Schulmeister zugleich und ehrsamer Küster,
der fast allen im Dorf, bis auf wenige Greise der Vorzeit,
einst Taufwasser gereicht und Sitte gelehrt und Erkenntnis,
dann zur Trauung gespielt und hinweg schon manchen gesungen.
Oft nun faltend die Händ' und oft mit lauterem Murmeln
las er die tröstenden Sprüch' und Ermahnungen. Aber allmählich
starrte sein Blick, und er sank in erquickenden Mittagsschlummer.
Festlich prangte der Greis in gestreifter kalmankener Jacke,
und bei entguttener Brill' und silberfarbenem Haupthaar
lag auf dem Buche die Mütze von violettenem Sammet,
mit Fuchspelze verbrämt und geschmückt mit goldener Troddel.
Denn er feierte heute den siebzigsten frohen Geburtstag,
froh des erlebeten Heils. Sein einziger Sohn Zacharias,
welcher als Kind auf dem Schemel geprediget und von dem Pfarrer
ausersehn für die Kirche, mit Not vollendet die Laufbahn
durch die lateinische Schul' und die teure Akademie durch, —
der war jetzt einhellig erwählter Pfarrer in Werlitz
und seit kurzem vermählt mit der wirtlichen Tochter des Vorfahrs.
— 14
Fernher hatte der e zur Verherrlichung seines Geburtstags
edlen Tabak mit der Fracht und stärkende Weine gesendet,
auch in dem Briefe gelobt, er selbst und die freundliche Gattin,
e nicht Hohlweg und verschneiete Gründe die Durchfahrt,
icherlich kämen sie beide, das Fest mit dem Vater zu feiern
und zu empfahn den Segen von ihm und der würdigen Mutter.
Eine versiegelte Flasche mit Rheinwein hatte der Vater
froh sich gespendet zum Mahl und mit Mütterchen auf die Gesundheit
ihres Sohnes Zacharias geklingt und der freundlichen Gattin
die sie so gern noch sähen und Töchterchen nennten und bald auch
Mütterchen, ach! an der Wiege der Enkelin oder des Enkels.
Viel noch sprachen sie fort von Tagen des Grams und der Tröstung,
35. und wie sich alles nunmehr auflös' in behagliches Alter:
„Gutes gewollt mit Vertrau'n und Beharrlichkeit führet zum Aus—
gang.
Solches erfuhren wir selbst, du Trauteste! Solches der Sohn auch!
Hab' ich doch immer gesagt, wenn du weintest: Frau, nur geduldig!
Bet und vertrau! Je größer die Not, je näher die Rettungl
Si ist aller Beginn, wer getrost fortgehet, der kömmt an!“ —
Feuriger rief es der Greis und las die erbauliche Predigt
nach, wie den Sperling ernähr' und die Lilie kleide der Valer.
Doch der balsamische Trank, der altende, löste dem Alten
sanft den behaglichen Sinn und duftete süße Betäubung.
Mütterchen hatte mit Sorg' ihr freundliches Stübchen gezieret,
wo von der Schule Geschäfte sie ruheten und mit Bewirtung
rechtliche Gäste aufnahmen, den Prediger und den Verwalter,
hatte gefegt und geuhlt und mit feinerem Sande gestreuet,
reine Gardinen gehängt um Fenster und luftigen Alkov,
mit rotblumigem Teppich gedeckt den eichenen Klapptisch
und das bestäubte Gewächs am sonnigen Fenster gereinigt,
knospende Ros' und Levkoi und spanischen Pfeffer und Goldlack,
samt dem grünenden Korb Maililen hinter dem Ofen.
Ringsum bhlinkten gescheuert die zinnernen Teller und Schüsseln
auf dem Gesims. Auch hingen ein paar stettinische Krüge,
blaugeblümt, an den Pflöcken, die Feuerkieke von Messing,
Desem und Mangelholz und die zierliche Elle von Nußbaum.
Aber das grüne Klavier, vom Greise gestimmt und besaitet,
stand mit gebildertem Deckel und schimmerte; unten befestigt
hing ein Pedal, es lag auf dem Pult ein offenes Choralbuch.
Auch den eichenen Schrank mit geflügelten Köpfen und Schnörkeln,
schraubenförmigen Füßen und Schlüsselschilden von Messing,
(ihre selge Mutter, die Küsterin, kauft' ihn zum Brautschaß)
sie abgestäubt und mit glänzendem Wachse gebohnet.
ben stand auf den Stufen ein Hund und ein zuüngelnder Löwe,
beide von Gips, Trinkgläser mit eingeschliffenen Bildern,
zween Teetöpfe von Zinn und irdene Tassen und Üpfel.
Als sie den Greis wahrnahm, wie er ruht' in atmendem Schlummer,
stand das Mütterchen auf vom binsenbeflochtenen Spinnstuhl
langsam, trippelte dann auf knirrendem Sande zur Wanduhr
leis und knüpfte die Schnur des Schlaggewichts an den Naͤgel,
30.
50.
55.
60.
65.
70.
15
daß ihm den Schlaf nicht störe das klingende Glas und der Kuckuck.
Jetzo sah sie hinaus, wie die stöbernden Flocken am Fenster
reselten, und wie der Ost dort wirbelte, dort in den Eschen
rauscht und die Spuren verwehte der hüpfenden Krähen am Scheuntor.
Lange mit ernstem Gesicht, ihr Haupt und die Hände bewegend,
stand sie vertieft in Gedanken und flüsterte halb, was sie dachte:
„Lieber Gott, wie es stürmt und der Schnee in den Gründen sich
anhäuft!
Armer, wer jetzt auf Reisen nd muß, ferne der Einkehr!
Auch wer, Welb zu erwärmen und Kind, auswandert nach Reisholz,
nris und oft zerlumpt! Kein Mensch wohl jagte bei solchem
zeller den Hund aus der Tür, wer sonst hi Vieh's sich er⸗
armet!
Dennoch kömmt mein Söhnchen, das Fest mit dem Vater zu feiern!
Was er wollte, das wollt' er von Kind auf! Gar zu besonders
wühlt mir das Herz! Und seht, wie die Katz' e Tritte des
isches
schnurrt und das Pfötchen leckt, u Bart und Nacken sich putzet!
Das bedeutet ja Fremde nach aller Vernünftigen Urteill“
Sprach's und trat an den Spiegel, die festliche Haube zu ordnen,
welche der Vater verschob, mit dem Kuß ausgleichend den Zwiespalt,
denn er leerte das Glas auf die Enkelin, sie auf den Enkel.
„Nicht ganz schäme sich meiner die Frau im modischen Kopfzeug!“
hachte sie leis im Herzen und lächelte selber der Torheit.
Neben dem schlummernden Greis an der andern Ecke des Tisches
dedte sie jeho ein Tuch von fein gemodeltem Drillich,
stellete dann die Tassen mit zitternden Händen in Ordnung.
Quch die blecherne Dos und darin großklumpigen Zucker
trug sie hervor aus dem Schrank und scheuchte die sumsenden Fliegen,
die ihr Mann mit der Klappe verschont zur Wintergesellschaft.
Auch dem Gesims enthob sie ein paar Tonpfeifen mit Posen,
100. grün und rot, und legte Tabak auf den zinnernen Teller.
Als sie drinnen nunmehr den Empfang der Kinder bereitet,
ging sie hinaus vorsichtig, damit nicht knarre der Drücker.
Rus der Gesindestube darauf vom rummelnden Spulrad
rief sie, die Tür halb öffnend, Marie, die geschäftige Hausmagd,
welche gehaspeltes Garn von der Wind' abspulte zum Weben,
hastigen Schwung's, von dem Weber gemahnt und eigenem Ehrgeiz.
Heiser ertönte der Ruf, und gehemmt war plötzlich der Umschwung.
Flink, lebendige Kohlen, Marie, aus dem Ofen gescharret,
an die Platte der Wand, die den Lehnstuhl wärmet im Rücken,
daß ich frisch (denn er schmeckt viel kräftiger) brenne den Kaffee.
Heize mit Kien dann wieder und Torf und buchenem Stammholz
oͤhne Geräusch, daß nicht von dem Schlaf erwache der Vater!
Bringe das Feuer in Glut, dann schiebe den knorrigen Klotz nach,
der in die Nacht fortglimme, dem leidigen Froste zur Abwehr.
Siebzigjährige sind nicht Fröstlinge, wenn sie im Sommer
gern an der Sonn ausruhn und am wärmenden Ofen im Winter
Nuch für die Kinderchen wohl braucht's Wärme zum
uftaun.“
75
— 16
Und der Ermahnenden folgt' Marie und sprach im Hinausgehn:
„Barsch durchkältet der Ost. Wer im Sturm lustreiset, ist unklug,
nur ein wähliges Paar, wie das unsrige, dammelt hindurch wohl.
Wärmenden Trank auch bracht' ich den 33 heut und den
ilchküh'n,
auch viel wärmende Streu in das Fach. Schönmädchen und Blüming
brummten am Trog und leckten die Hand und ließen sich kraueln.*
Sprach's, und sobald sie dem Ofen die Kohlen ent⸗
arret,
125. legte sie Feu'rung hinein und weckte die Glut mit dem Blasbalg,
hustend, und schimpfte den Rauch und wischte die tränenden Augen.
Emsig stand an dem Herde das Mütterlein, brannte den Kaffee
über der Glut in der Pfann' und rührte mit hölzernem Löffel.
Knatternd schwitzten die Bohnen und bräunten sich, während ein
würzig
duftender Qualm aufdampfte, die Küch' und die Diele durchräuchernd.
Sie nun langte die Mühle herab von Gesimse des Schornsteins,
schüttete Bohnen darauf, und fest mit den Knieen sie zwängend,
hielt sie den Rumpf in der Linken und dreht' mit der Rechten den
Knopf um,
oft auch hüpfende Bohnen vom Schoß haushälterisch sammelnd,
goß sie auf graues Papier den grobgemahlenen Kaffee.
Plötzlich hemmte sie nun die raffelnde Mühl' im Umlauf,
und zu Marie, die den Ofen verspündete, sprach sie gebietend:
„Eile, Marie, und sperre den wachsamen Hund in das Bachaus,
daß, wenn der Schlitten sich naht, das Gebell nicht störe den Vater.
Denkt auch Thoms an die Karpfen für unsern Sohn und den Pastor,
der uns zu Abend beehrt, ihr Lieblingsessen von Allers?
Hol er vor dunkeler Nacht, sonst geht ihm der kitzlige Fischer
schwerlich zum Hälter hinab. Aus Vorsicht bring ihm den Beutel.
Wenn er auch trocknes Holz für die Bratgans, die wir gestopfet,
splitterte! Bring ihm das Beil und bedeut ihn. Dann im Vorbeigehn
steig auf den Taubenschlag und sieh, ob der Schlilten nicht ankömmt
Kaum gesagt, so enteilte Marie, die geschäftige Hausmagd,
nehmend von rußiger Mauer das Beil und den maschigen Beutel,
lockte den treuen Monarch mit Geburtstagsbrocken zum Backhaus
fern an den Garten hinäb und schloß mit der Kraͤmpe den Kerker.
Anfangs kratzte der Dogg' und winselte, aber sobald er
Wärme roch vom frischen Gebäck des festlichen Brotes,
sprang er behend auf den Ofen und streckt ausruhend die Glieder.
Jene lief in die Scheune, wo Thoms mit gewaltiger Arbeit
Häckerling schnitt, denn ihn fror, und sie in der Eile den
uftrag:
„Splittre Holz für die Gans und hol in dem Beutel die Karpfen,
Thoms vor dunkler Nacht, sonst geht dir der kitzlige Fischer
schwerlich zum Hälter hinab, trotz unserem Sohn und dem Pastor!“
Thoms antwortete darauf und stellte die Häckerlinglad' hin:
„Splitter, Marie, und Karpfen verschaff' ich dir früher, denn not ist.
Wenn an dem heutigen Tage sich kitzelig zeiget der Fischer,
treib' ich den Kitzel ihm aus, und bald ist der Hälter gebffnet!“
120.
130.
135.
140.
145.
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160.
17 —
Also der rüstige Da rannte sie durch das Gestöber,
g auf den Taubenschlag und pustete, rieb sich die Hände,
teckte sie unter die Schürz' und 3 sich über die Schultern.
Als sie mit schärferen Blick in des Schnees umnebelnden Wirbeln
spähete, siehe, da kam's mit verdecktem Gestühl wie ein Schlitten,
welcher vom Berg in das Dorf herklingelte. Schnell von der Leiter
stieg sie herab und brachte der emsigen Mutter die Botschaft,
welche der Milch abschöpfte den Rahm zu festlichem Kaffee:
„Mutter, es kömmt wie ein Schlitten, ich nht sicher, doch
glaub' ich!“
Also Marie. Da verlor die 3 Mutter den Löffel,
unter ihr bebten die Knie, und sie lief mit klopfendem Herzen
atemlos, ihr entflog im hastigen Lauf der Pantoffel.
Jene lief der sen und öffnete. Näher und näher
kam das Gekling und das Klatschen der Peitsch' und der Pferde
Getrampel.
Nun, nun lenkten herein die mutigen Ross' in den Hofraum,
blank Zirrt. und der Schlitten mit halb schon offnem Verdeckstuhl
hielt an der Tür, und es schnoben, beichnen und dampfend die
enner.
Mütterchen rief „Willkommen!“ daher, „Willkommen, ihr Kindlein!
Lebt ihr auch noch?“ und reichte die Händ' in den Mnen Verdeck—
tuhl.
„Lebt in dem grimmigen Ost mein Töchterchen?“ Dann von den
Kindern,
selbst sich zu schonen, ermahnt: „Laßt, Kinderchen!“ rief sie, „dem
Sturmwind
wehret das Haus! Ich bin ja vom eisernen Kerne der Vorwelt!
Stets war unser Geschlecht ire und Verächter des Wetters,
aber die jüngere Welt ist zart und scheuet die Zugluft.“
Sprach's, und den Sohn, der dem Schlitten eullbraugg un prule
ie eilig,
hüllte das Töchterchen dann aus bärenzottigem Fußsack
und liebkosete viel mit Kuß und bedauerndem Streicheln,
zog dann beid, in der Linken den Sohn, in der Rechten die Tochter,
in das Haus, dem Gesinde des Fahrzeugs Sorge vertrauend.
„Aber wo bleibt mein Vater? Er ist doch gesund am Geburtstag?“
fragte der Sohn. Schnell tuschte mit winkendem Haupte die Mutter:
„Still! Das Väterchen hält noch Mittagsschlummer im Lehnstuhl.
Laß mit kindlichem Kuß dein junges Gemahl ihn erwecken!
Dann wird wahr, daß Gott im Schlafe die Seinigen segnet!“
Sprach's und führte sie leis in der Schule gesäubertes Zimmer,
voll von Tisch und Gestühl, Schreibzeug und bezifferten Taseln,
wo sie an Pflöck aufhängte die nordische Wintervermummung,
Mäntel, mit Flocken geweißt, und der Tochter bewunderten Libpelz,
auch den Flor, der die Wangen geschirmt, und das seidene Halstuch.
Und sie umschloß die Enthüllten mit strömender Träne der Inbrunst.
„Tochter und Sohn, willkommen, ans Herz willkommen noch einmal!
Ibr, uns Alternden Freud', in Freud' auch altet und greiset,
205. stets einmütigen Sinn's und umwohnt von gedeihenden Kindern!
Deutsche Sprachschule J. Literaturheft.
165.
170.
176.
180.
185.
190.
195
200.
1.
8
Nun mag brechen das Auge, da wir dich gesehen im Amtsrock,
Sohn, und dich ihm vermaͤhlt, du frischaufblühendes Herzblatt!
Armes Kind, wie das ganze Gesicht rot glühet vom Ostwind!
O, du Seelengesicht! Denn ich duze dich, weil du es forderst.
210. Aber die Stub ist warm, und gleich soll der Kaffee bereit sein!“
Ihr um den Nacken die Arme geschmiegt, liebkoste die Tochter:
„Mutter, ich duze dich auch, wie die leibliche, die mich geboren.
AÄlso geschah's in der Bibel, da Herz und Zunge vereint war,
denn du gebarst und erzogst mir den wackern Sen Zacharias,
der an Wuchs und Gemüt, wie er sagt, nachartet dem Vater.
Mütterchen, habe mich lieb, ich will auch artiges Kind sein.
Fröhliches Herz und rotes Gesicht, das hab' ich beständig,
auch wenn der Ost nicht weht. Mein Väterchen sagte mir oftmals,
klopfend die Wang', ich würde noch krank vor lauter Gesundheit.“
Jetzo sagte der Sohn, sein Weib vorstellend der Mutter:
Mütterchen, nehmt sie auf Glauben. So zart und schlank wie sie dasteht,
ist sie mit Leib und Seele vom edelsten Kerne der Vorwelt.
Daß sie der Mutter nur nicht das Herz 343 des Vaters!
Komm denn und bring als Gabe den zärtlichsten Kuß zum Geburtstag.“
Schalkhaft lächelte drob und sprach die treffliche Gattin:
„Nicht zur Geburtstagsgabe! Was Besseres bring' ich im Koffer
unserem Vater zur Lust und dem Mütterchen ohne dein Wissen!“
Sprach's und faßte dem Manne die Hand. Die führende Mutter
öffnete leise die Tür und ließ die Kinder hineingehn.
Aber die junge Frau, voll Lieb' im lächelnden Antlitz,
hüpfte voraus und küßte den Greis. Mit verwunderten Augen
sah er empor und hing in der trautesten Kinder Umarmung. —
Wolfgang von Goethe.
aen 1749 den 28. August zu Frankfurt a. M. — erhielt den ersten
nterricht vom Vater, später von einem Hauslehrer — studierte in
Leipzig die Rechte, beschaftigte sich aber mehr mit Poesie und Kunst
— ließ die erste Sammlung von Gedichten drucken — hielt sich
2 Jahre lang wieder bei den Eltern auf — setzte 1770 seine Studien in
Strabburg fort und lernte hier Herder kennen — arbeitete 1772 im Reichs-
kammergericht zu Wetzlar — kehrte in demselben Jahre nach Frank-
furt zuruek und schrieb , Götz von Berlichingen“ und ,Werthers Leiden?
— kam 1775 dureh Herzog Karl August nach Weimar — reiste mitten
im Winter in den Harz und im folgenden Jahre mit dem Herzoge nach
der Schweiz — widmete sich den Naturwissenschaften — wurde 1782
Kammerprãsident und in den Adelstand ernoben — reiste auf 3 Jahre
nach ltalien und dichtete hier „Iphigeniefs und „Tasso“ — begleitete
1792 den Herzog auf dem fFeldzuge in die Champagne — vollendete
in den folgenden Jahren „Reineke Fuchs“, „Wilhelm Meisters Lehr-
jahre“, Hermann und Dorothea?“, viele Balladen und den ersten Teil
des „Faust“ — zog sich von den Staatsgeschäften zurück — schrieb
noch „Wahrheit und Dichtungs, „VWilhelm Meisters Wanderjahres, und
den 2 Teil des „Faust und starb am 22. März 1832 mit dem Worte:
Mehr Licht! — Lieder: ,Gefunden“, Heidenröslein“ Balladen:
19
Der getreue Eckhardt“, „Die wandelnde Glockes, „Erlkönig?, „Der
dngera, e Sebus“. Legende: „Das Hufeisen“. Epen: „Reineke
Fuchs“, Hermann und Dorothea“, Drämen: „Götz von Berlichingen?,
„lphigenie“, Egmont“, „Tasso“, „Faust“.
Wanderers Nachllied.
Der du von dem Himmel bist,
alles Leid und Schmerzen stillest,
den, der doppelt elend ist,
doppelt mit Erquickung füllest,
ach, ih bin des Treibens müde!
Was soll all der Schmerz und Lust?
Süßer Friede,
lomm, ach komm in meine Brust!
Ein gleiches.
Über allen Gipfeln
ist Ruh,
in allen Wipfeln
spürest du
kaum einen prud
die Vöglein schweigen im Walde.
Warte nur, balde
ruhest du auch.
Der Fischer.
1. Das Wasser rauscht', das Wasser schwoll,
ein Fischer saß daran,
sah nach der Angel ruhevoll,
kühl bis ans Herz hinan.
Und wie er sitzt, und wie er lauscht,
teilt sich die Flut empor;
aus dem bewegten Wasser rauscht
ein feuchtes Weib hervor.
2. Sie sang zu ihm, sie sprach zu ihm:
„Was lockst du meine Brut
mit Menschenwitz und Menschenlist
hinauf in Todesglut?
Ach, wüßtest du, wie's Fischlein ist
so wohlig auf dem Grund,
du stiegst herunter, wie du bist,
und würdest erst gesund.
3. Labt sich die liebe Sonne nicht,
der Mond sich nicht im Meer?
Kehrt wellenatmend ihr Gesicht
nicht doppelt schöner her?
Lockt dich der tiefe Himmel nicht,
das feuchtverklärte Blau?
Lockt dich dein eigen Angesicht
nicht her in ew'gen Tau?“
4. Das Wasser rauscht, das Wasser schwoll,
netzt ihm den nackten Fuß;
sein Herz wuchs ihm so sehnsuchtsvoll
wie bei der Liebsten Gruß.
Sie sprach zu ihm, sie sang zu ihm,
da war's um ihn ihn geschehn; —
halb zog sie halb sank er hin
und ward nicht mehr gesehn.
2*
42
20
Sprũche.
1. Eines schickt sich nicht für alle;
sehe jeder, wie er's treibe;
sehe jeder, wo er bleibe,
und wer steht, daß er nicht falle.
2. Willst du immer weiter schweifen?
Sieh, das Gute liegt so nah.
Lerne nur das Glück ergreifen,
denn das Glück ist immer da.
3. Wer ist ein unbrauchbarer Mann? —
Der nicht befehlen und auch nicht gehorchen kann.
4. Sollen dich die Dohlen nicht umschrein,
mußt nicht Knopf auf dem Kirchturm sein.
Aus „Jermann und Dorxolhea“.
10.
15
20.
25.
Schicklal und Anteil. (1. Gesang.)
„Hab' ich den Markt und die Straßen noch nie so einsam gesehen!
Ist doch die Stadt wie gekehrt, wie ausgestorben! Nicht fünfzig,
deucht mir, blieben zurück von allen unsern Bewohnern.
Was die Neugier nicht tut! So rennt und läuft nun ein jeder,
um den traurigen Zug der armen Vertriebnen zu sehen.
Bis zum Dammweg, welchen sie ziehn, ist's immer ein Stündchen,
und da läuft man hinab im heißen Staube des Mittags.
Möcht' ich mich doch nicht rühren vom Platz, um zu sehen das Elend
guter fliehender Menschen, die nun mit geretteter Habe,
leider, das überrheinische Land, das schöne, verlassend,
zu uns herüberkommen und durch den glücklichen Winkel
dieses fruchtbaren Tals und seiner Krümmungen wandern.
Trefflich hast du gehandelt, o Frau, daß du milde den Sohn fort
schicktest mit altem Linnen und etwas Essen und Trinken,
um es den Armen zu spenden; denn Geben ist Sache des Reichen. —
Was der Junge doch fährt! und wie er bändigt die Hengste!
Sehr gut nimmt das Kütschchen sich aus, das neue; bequemlich
säßen viere darin und auf dem Bocke der Kutscher.
Diesmal fuhr er allein; wie rollt es leicht um die Eckel“
So sprach, unter dem Tore des Hauses sitzend am Markte,
wohlbehaglich zur Frau der Wirt zum goldenen Löwen.
Und es vesetzte darauf die kluge, verständige Haüsfrau:
„Vater, nicht gerne verschenkt ich die abgetragene Leinwand;
denn sie ist zu manchem Gebrauch und für Geld nicht zu haben,
wenn man ihrer bedarf. Doch heute gab ich so gerne
manches bessere Stück an Überzügen uünd Hemden;
denn ich höre von Kindern und Alten, die nackend daher gehn.
Wirst du mir aber verzeihn? denn auch dein Schrank ist geplündert.
Und besonders den Schlafrock mit indianischen Blumen,
—
21
——
30. von dem feinsten Kattun, mit feinem Flanelle gefüttert,
gab ich hin; er ist dünn und alt und ganz aus der Mode.“
Aber es lächelte drauf der treffliche Hauswirt und sagte:
„Ungern vermiß ich ihn doch, den allen kattunenen Schlafrock
echt ostindischen Stoffs; so etwas kriegt man nicht wieder;
wohll ich trug ihn nicht nehr. Man will jetzt freilich, der Mann soll
immer gehn im und in der Pekesche?) sich zeigen,
immer gestiefelt sein; verbannt ist Pantoffel und Mütze.“
„Siehe!“ versetzte die Frau, „dort kommen schon einige wieder,
die den Zug mit gsehn er muß doch wohl schon vorbei sein.
10. Seht, wie allen die Schuhe so staubig sind, wie die Gesichter
glühen! und jeglicher führt das Schnupftuch n sich den
weiß ab.
Möcht' ich doch auch in der Hitze nach solchem Schauspiel so weit nicht
laufen und leiden! Fürwahr, ich haͤbe genug am Erzählten.“
Und es sagte darauf der gute Vater mit Nachdruck:
„Solch ein Wetter ist selten zu solcher Ernte gekommen,
und wir bringen die Frucht herein, wie das Heu schon herein ist,
trocken; der Himmel ist hell, es ist kein Wölkchen zu sehen,
und von Morgen wehet der Wind mi lieblicher Kühlung.
Das ist beständiges Wetter! und überreif ist das Korn schon;
50. morgen fangen wir an zu schneiden die reichliche Ernte.“
Als er so sprach, vermehrten sich immer die Scharen der Münner
und der Weiber, die über den Maͤrkt sich nach Hause begaben;
und so kam auch zurück mit feinen Töchtern gefahren
rasch, an die andere Seite des Markts, der begülerte Nachbar
an sein erneuertes Haus, der erste Kaufmann des Ortes,
im geöffneten Wagen (er war in Landau verfertigt).
Lebhaft wurden die Gassen; denn wohl war bevölkert das Städtchen,
mancher Fabriken befliß man sich da und manches Gewerbes.
Und so saß das trauliche Paar, sich unter dem Torweg
bO. über das wandernde Volk mil mancher Bemerkung ergötzend.
Endlich aber begann die würdige Hausfrau und sagte
„Sehtl dort kommt der Prediger her; es kommt auch der Nachbar
Apotheker mit ihm, die sollen uns alles erzählen,
was sie draußen gesehen, und was zu schauen nicht froh macht.“
Freundlich kamen heran die beiden und grüßten das Eh'paar,
setzten sich auf die Bänke, die hölzernen, unter dem Torweg,
Staub von den Füßen schüttelnd und Luft mit dem Tuche sich fächelnd.
Da begann denn zuerst nach wechselseitigen Grüßen
der Apotheker zu sprechen und sagte, beinahe verdrießlich:
„So sind die Minge fürwahr! und einer ist doch wie der andre,
daß er zu gaffen sich freut, wenn den Nächsten ein Unglück befället
Läuft doch jeder, die Flamme zu sehn, die verderblich emporschlägt,
jeder den armen Verbrecher, der peinlich zum Tode geführt wird.
Jeder spaziert nun hinaus, zu schauen der guten Vertriebenen
635.
70.
— 9 Überroc.
Schnüren 8
) Polnischer Überrock mit aufrechtem Kragen und vielen
22
75. Elend, und niemand bedenkt, daß ihn das ähnliche Schicksal
auch, vielleicht zundit betreffen kann, oder doch künftig.
Unverzeihlich find' ich den Leichtsinn; doch liegt er im Menschen.“
Und es saͤgte darauf der edle, verständige Pfarrherr,
er, die Zierde der Stadt, ein Jüngling, näher dem Manne.
Dieser kannte das Leben und kannte der Hörer Bedürfnis,
war vom hohen Werte der heiligen Schriften durchdrungen,
die uns der Menschen Geschick enthüllen und ihre Gesinnung;
und so kannt' er auͤch wohl die besten weltlichen Schriften.
Dieser sprach: „Ich tadle nicht gern, was immer dem Menschen
für unschädliche Triebe die gute Mutter Natur gab;
denn was Verstand und Vernunst nicht immer vermögen, vermag oft
solch ein glücklicher Hang, der unwiderstehlich uns leitet.
Lockte die Neugier nicht den Menschen mit heftigen Reizen,
sagt! erführ' er wohl je, wie schön sich die weltlichen Dinge
gegen einander verhalten? Denn erst verlangt er das Neue,
suchet das Nützliche dann mit unermüdetem Fleiße;
endlich begehri er das Gute, das ihn erhebet und wert macht.
In der Jugend ist ihm ein froher Gefährte der Leichtsinn,
der die Gefahr ihm verhirgt und heilsam geschwinde die Spuren
tilget des schmerzlichen Übels, sobald es nur irgend vorbeizog.
Freilich ist er zu preisen, der Mann, dem in reiferen Jahren
sich der gesetzte Verstand aus solchem Frohsinn entwickelt,
der, im Glück wie im Unglück, sich eifrig und tätig bestrebet;
denn das Gute bringt er hervor und ersetzet den Schaden.“
Freundlich begann sogleich die ungeduldige Hausfrau:
„Saget uns, was ihr gesehen; denn das begehrt ich zu wissen.“
„Schwerlich“, versetzte darauf der Apotheker mit Nachdruck,
„werd' ich so bald mich freu'n nach dem, was ich alles erfahren.
Ünd wer erzählet es wohl, das mannigfaltigste Elend!
Schon von sahn wir den Staub, noch eh' wir die Wiesen
abwärts kamen; der Zug war schon von Hügel zu Hügel
unabsehlich dahin, man konnte wenig erkennen.
Als wir nun aͤber den Weg, der quer durchs Tal geht, erreichten,
war Gedräng und Getümmel noch groß der Wandrer und Wagen.
Leider sahen wir noch genug der Armen vorbeiziehny,
konnten einzeln erfahren, wie bitter die schmerzliche Flucht sei
und wie froh das Gefühl des eilig geretleten Lebens.
Traurig war es zu sehn, die mannigfaltige Habe,
die ein Haus nur verbirgt, das wohlverseh'ne, und die ein
guter Wirt umher an die rechten Stellen gesetzt hat,
immer bereit zum Gebrauche, denn alles ist noͤtig und nützlich,
nun zu sehen das alles, auf mancherlei Wagen und Karren
durch einander geladen, mit Übereilung geflüchtet.
Über dem Schranke liegt das Sieb und die wollene Decke,
in dem Backtrog das Bett und das Leintuch über dem Spiegel.
Ach! und es nimmt die Gefahr, wie wir beim Brande vor zwanzig
Jahren auch wohl gesehen, dem Menschen alle Besinnung,
daß er das Unbedeutende faßt und das Teure zurückläßt.
Also führten auch hier, mit unbesonnener Sorgfalt,
100.
105.
110.
115.
120.
23
126. Dinge sie fort, die Ochsen und Pferde beschwerend,
alte Bretter und Fässer, den Gänsestall und den Käfig.
Auch so keuchten die Weiber und Kinder, mit Bündeln sich schleppend,
unter Körben und Butten voll Sachen keines Gebrauches;
denn es verläßt der Mensch so ungern das letzte der Habe.
Und so zog auf dem staubigen Weg der drängende Zug fort,
ordnungsloös und verwirrt. Mit schwächeren Tieren der eine
wünschte langsam d3 fahren, ein anderer emsig zu eilen.
Da entstand ein der gequetschten Weiber und Kinder
und ein Blöken des Viehes, dazwischen der Hunde Gebelfer
und ein Wehlaut der Alten und Kraänken, die hoch auf dem schweren
übergepackten Wagen auf Betten saßen und schwankten.
Aber, aus dem Gleise gedrängt, nach dem Rande des Hochwegs
irrte das knarrende Rad; es Nirnt in den Graben das Fuhrwerk,
umgeschlagen, und weithin entstürzten im Schwunge die Menschen
mit entsetzlichem Schrei'n in das 3 hin, aber doch glücklich.
Später stürzten die Kasten und fielen näher dem Wagen.
Wahrlich, wer im Fallen sie sah, der erwartete nun, sie
unter der Last der Kisten und Schränke zerschmettert zu schauen.
Und so lag zerbrochen der Wagen und hilflos die Menschen;
denn die übrigen gingen und zogen eilig vorüber,
nur sich selber bedenkend und hingerissen vom Strome.
Und wir eilten hinzu und fanden die Kranken und Alten,
die zu Haus und im Bett schon kaum ihr dauerndes Leiden
trügen, hier auf dem Boden, beschädigt, ächzen und jammern,
150. von der Sonne verbrannt und erstickt vom wogenden Staube.“
Und es sagte darauf gerührt der menschliche Hauswirt:
„Möge doch Hermann sie treffen und sie erquicken und kleiden.
UÜngern würd ich sie sehn; mich schmerzt der Anblick des Jammers.
Schon von dem ersten Bericht so großer Leiden gerühret,
schickten wir eilend ein Scherflein von unserm Überfluß, daß nur
einige würden gestärkt, und schienen uns selber beruhigt.
Aber laßt uns nicht en die traurigen Bilder erneuern;
denn es beschleichet die Furcht gar bald die Herzen der Menschen
und die Sorge, die mehr als selbst mir das Ubel verhaßtist.
Tretet herein in den hinteren Raum, das kühlere Sälchen.
Nie scheint Sonne dahin, nie dringet wärmere Luft dort
durch die stärkeren Mauern; und Müutterchen bringt uns ein Gläschen
Dreiundachtziger her, damit wir die Grillen vertreiben.
Hier ist nicht freundlich zu trinken; die Fliegen umsummen die läser.“
uͤnd sie gingen dahin und freuten sich alle der Kühlung.
Sorgsam brachte die Mutter des klaren, herrlichen Weines
in geschliffener Flasche auf blankem, zinnernem Runde
mit den grünlichen Römern, den echlen Bechern des Rheinweins. —
135.
145.
Die Bürger. (Aus dem 3. Gesange.)
Was wäre das Haus, was wäre die Stadt, wenn nicht immer
jeder gedächte, mit Lust zu erhalten und zu erneuen
und zu verbessern auch, wie die Zeit uns lehrt und das Ausland!
— 24 —
5.
Soll doch nicht als ein Pilz der Mensch dem Boden entwachsen
und verfaulen geschwind an dem Platze, der ihn erzeugt hat,
keine Spur nachlassend von seiner lebendigen Wirkungl
Sieht man am Hause doch gleich so deutlich, wes Sinnes der Herr sei,
denn wo die Türme verfallen und Mauern, wo in den Gräben
Unrat sich häufet und Unrat auf allen Gassen herumliegt,
wo der Stein aus der Fuge sich rückt und nichl wieder gesetzt wird,
wo der Balken verfault und das Haus vergeblich die neue
Unterstützung erwartet, — der Ort ist übel regieret.
Denn wo nicht immer von oben die Ordnung und Reinlichkeit wirket,
da gewöhnet sich leicht der Bürger zu schmutzigem Saumsal,
wie der Bettler sich auch an lumpige Kleider gewöhnet.
Darum hab' ich gewünscht, es solle sich Hermann auf Reisen
bald begeben und e zum wenigsten Straßburg und Frankfurt
und das freundliche Mannheim, das gleich und heiter gebaut ist.
Denn wer die Städte sushen— die großen und reinlichen, ruht nicht,
künftig die Vaterstadt felbst, so klein sie auch sei, zu verzieren.
Lobt nicht der Fremde bei uns die ausgebefferten Tore
und den geweißten Turm und die wohlerneuerte Kirche?
Rühmt nicht jeder das Pflaster? die wasserreichen, verdeckten,
wohlverteilten Kanäle, die Nutzen und Sicherheit bringen,
daß dem Feuer sogleich beim ersten Ausbruch gewehrt sei?
Ist das nicht alles geschehn seit jenem schrecklichen Braude?
Bauherr war ich sechsmal im Rat und habe mir Beifall,
habe mir herzlichen Dank von guten Bürgern verdieuen
was ich angab, emsig betrieben, und so auch die Anstalt
redlicher Männer vollführt, die sie unvollendet verließen.
So kam endlich die Lust in jedes Mitglied des Rates
Alle bestreben sich jetzt, und schon ist der Chausseebau
fest beschlossen, der uns mit der großen Straße verbindet.
Aber ich fürchte nur sehr, so wird die jehige Jugend nicht handeln!
Denn die einen, sie denken auf Lust und vergänglichen Putz nur,
andere hocken zu Haus und brüten hinter dem Ofen.
10.
15.
20.
25.
30.
35.
Aus „Götz von Berlichingen“.
Schauspiel in fünf Aufzügen.
WV. Aufzug. 2. Auftritt.
Rathaus zu Heilbronn.
Ratsherr. Wir haben auf Euern Befehl die stärksten und tapfersten
Bürger versammelt; sie warten hier in der Nähe auf Euern Wink, um sich
Berlichingens zu bemeistern.
Erster Rat. Wir werden Ihro Kaiserlichen Majestät Eure Bereit—
willigkeit, Ihrem höchsten Befehl zu gehorchen, mit vielem Vergnügen zu
rühmen wissen. — Es sind Handwerker?
Ratsherr. Schmiede, Weinschröter, Zimmerleute, Männer mit ge⸗
übten Fäusten und hier wohl beschlagen (auf die Brust deutend).
Rat. Wohl.
Gerichtsdiener. Götz von Berlichingen wartet vor der Tür.
25
44
42
Rat. Laßt ihn herein.
Götz. Gott grüß' euch, ihr Herren! Was wollt ihr mit mir?
Rat. Zuerst, daß Ihr bedenkt, wo Ihr seid und vor wem.
Götz. Bei meinem Eid, ich verkenn' euch nicht, meine Herren.
Rat. Ihr tut Eure Schuldigkeit.
Götz. Von ganzem Herzen.
Rat. Setzt Euch!
Götz. Da unten hin? kann stehen. Das Stühlchen riecht so
armen Sündern, wie überhaupt die ganze Stube.
Rat. So steht!
Götz. Zur Sache, wenn's gefällig ist.
Rat. Wir werden in der Ordnung verfahren.
Götz. Bin's wohl zufrieden; woll, es wär' von jeher geschehen.
Rat. Ihr wißt, wie Ihr auf Gnad' und Ungnad' in unsere Hände
amt.
Götz. Was gebt Ihr mir, wenn ich's vergesse?
Rat. Wenn ich Euch Bescheidenheit geben könnte, würde ich Eure
Sache gut machen.
Götz. Gut machen! Wenn Ihr das könntet! Dazu gehört freilich
mehr als zum Verderben.
Schreiber. Soll ich das alles protokollieren?
Rat. Was zur Handlung gehört.
Götz. Meinetwegen dürft ihr's drucken lassen.
Rat. Ihr wart in der Gewalt des Kaisers, dessen väterliche Gnade
an den Platz der majestätischen Gerechtigkeit trat, Euch anstatt eines
Kerkers Heilbronn, eine seiner geliebten Städte, zum Aufenthalt anwies
Ihr verspracht mit einem Eid, Eunch, wie es einem Ritter geziemt, zu
stellen und das Weitere demütig zu erwarten.
Götz. Wohl, und ich bin hier und warte.
Rat. Und wir sind hier, Euch Ihro kaiserlichen Majestät Gnade
und Huld zu verkündigen. Sie verzeiht Euch Eure UÜbertretungen, spricht
Euch von der Acht und aller wohlverdienten Strafe los, welches Ihr mit
untertänigem Dank erkennen und dagegen die Urfehde abschwören werdet,
welche Euch rnit vorgelesen werden soll.
Götz. Ich bin Ihro Mäjestät treuer Knecht wie immer. Noch ein
Wort, ehe Ihr weiter geht: Meine Leute, wo sind die? Was soll mit
ihnen werden?
Rat. Das geht Euch nichts an.
Götz. So wende der Kaiser sein Angesicht von Euch, wenn Ihr in
4 Sie waren meine Gesellen und sind's. Wo habt Ihr sie hin—
gebracht
Rat. Wir sind Euch davon keine Rechnung schuldig.
Götz. Ahl Ich dachte nicht, daß Ihr nicht einmal zu dem verbunden
seid, was V versprecht, geschweige —
Rat. Unsere Kommission ist, Euch die Urfehde vorzulegen. Unter—
werft Euch dem Kaiser, und Ihr werdet einen Weg finden, um Eurer
Gesellen Leben und Freiheit zu flehen.
Götz. Euern Zettel!
Rat. Schreiber, leset.
Schreiber. Ich, Götz von Berlichingen, bekenne öffentlich durch
4
26
4
diesen Brief, daß, da ich mich neulich gegen Kaiser und Reich rebellischer
Weise aufgelehnt —
Götz. Das ist nicht wahr. Ich bin kein Rebell, habe gegen Ihro
Kaiserliche Majestät nichts verbrochen, und das Reich geht mich nichts an.
Rat. Mäßiget Euch und hört weiter.
Götz. Ich will nichts weiter hören. Tret' einer auf und zeuge!
Hab' ich wider den Kaiser, wider das Haus Osterreich nur einen Schritt
getan? Hab' ich nicht von jeher durch älle Handlungen bewiesen, daß ich
besser als einer fühle, was Deutschland seinen Regenten schuldig ist? und
besonders, was die Kleinen, die Ritter und Freien, ihrem Kaiser schuldig
sind? Ich müßte ein Schurke sein, wenn ich mich könnte bereden lassen,
das zu unterschreiben.
Rat. Und doch haben wir gemessene Ordre, Euch in der Güte zu
überreden oder im Entstehungsfall Euch in den Turn zu werfen.
Götz. In Turn? mich?
Rat. Und daselbst könnt Ihr Euer Schicksal von der Gerechtigkeit
n wenn Ihr es nicht aus den Händen der Gnade empfangen
wollt.
Götz. In Turn! Ihr mißbraucht die kaiserliche Gewalt. In Turn!
Das ist sein Befehl nicht. Was! mir erst, die Verräter! eine Falle zu
stellen und ihren Eid, ihr ritterlich Wort zum Speck darin aufzuhängen!
Mir dann ritterlich Gefängnis zusagen und die Zusage wieder brechen!
Rat. Einem Räuber sind wir keine Treue schuldig.
Götz. Trügst du nicht das Ebenbild des Kaisers, das ich in dem
gesudeltsten Konterfei verehre, du solltest mir den Räuber fressen oder
dran erwürgen! Ich bin in einer ehrlichen Fehd' begriffen. Du könntest
Gott danken und dich vor der Welt groß machen, wenn du in deinem
Leben eine so edle Tat getan hättest, wie die ist, um welcher ich ge—
fangen sitze.
Rat (winkt dem Ratsherrn, der zieht die Schelle).
Götz. Nicht um des leidigen Gewinstes willen, nicht um Land und
Leute unbewehrten Kleinen wegzukapern, bin ich ausgezogen. Meinen
Jungen zu befreien und mich meiner Haut zu wehren! Seht ihr was
Unrechts dran? Kaiser und Reich hätten unsere Not nicht in ihrem Kopf—
kissen gefühlt. Ich habe, Gott sei Dank, noch eine Hand und habe wohl
getan, sie zu brauchen.
Gürger treten herein, Stangen in der Hand, Wehren an der Seite.)
Götz. Was soll das?
Rat. Ihr wollt nicht hören. Fangt ihn!
Götz. Ist das die Meinung? Wer kein ungrischer Ochs ist, komm'
mir nicht zu nah! Er soll von dieser meiner rechten eisernen Hand eine
solche Ohrfeige kriegen, die ihm Kopfweh, Zahnweh und alles Weh der
Erden aus dem Grund kurieren soll. (Sie machen sich an ihn, er schlägt den
einen zu Boden und reißt einem andern die Wehre von der Seite, sie weichen.)
Kommt! Kommt! Es wäre mir angenehm, den Tapfersten unter euch
kennen zu lernen.
Raät. Gebt Euch!
Götz. Mit dem Schwert in der Hand! Wißt Ihr, daß es jetzt nur
an mir läge, mich durch alle diese Hasenjäger durchzuschlagen und das
weite Feld zu gewinnen? Aber ich will Euch lehren, wie man Wort hält.
— 27 —
Versprecht mir ritterlich Gefängnis, und ich gebe mein Schwert weg und
bin wie vorher Euer Gefangener.
qungt Mit dem Schwert in der Hand wollt ihr mit dem Kaiser
rechten
Götz. Behüte Gott! Nur mit Euch und Eurer edlen Kompanie.
— Ihr könnt nach Hause gehn, gute Leute. Für die Versäumnis kriegt
ihr nichts, und zu hoͤlen ist hier nichts als Beulen.
Rat. Greift ihn! Gibt euch eure Liebe zu eurem Kaiser nicht
mehr Mut?
Götz. Nicht mehr, als ihnen der Kaiser Pflaster gibt, die Wunden
zu heilen, die sich ihr Mut holen könnte.
Gerichtsdiener. Eben ruft der Türmer; es zieht ein Trupp von
mehr als Zweihunderten nach der Stadt zu. Unversehens sind sie hinter
der Weinhöhe vorgedrungen und drohen ünsern Mauern.
Ratsherr. Wehe uns! Was ist das?
Wache. Franz von Sickingen hält vor dem Schlag und läßt Euch
sagen, er habe gehört, wie unwürdig man an seinem Schwager bund—
brüchig geworden sei, wie die rrn von Heilbronn allen Vorschub täten.
Er verlange Rechenschaft, sonst wolle er dinnen einer Stunde die Stadl
an vier Ecken anzünden und sie der Plünderung preisgeben.
Götz. Braver n ser
Rat. Tretet ab, Götzl — Was ist zu tun?
Ratsherr. Habt Mitleiden mit üns und unserer Bürgerschaft!
Sickingen ist unbändig in seinem Zorn, er ist Mann, es zu halten.
Rat. Sollen wir uns und dem Kaiser die Gerechtisame vergeben?
Hauptmann. Wenn wir nur Leute hätten, sie zu behaupten. So
aber könnten wir umkommen, und die Sache wäre nüur defto schlimmer.
Wir gewinnen im Nachgeben.
Ratsherxr. Wir wollen Götzen ansprechen, für uns ein gut Wort
einzulegen. Mir ist's, als wenn ich die Stadt schon in Flammen sähe.
Rat. Laßt Götzen herein!
Götz. Was solls?
Rat. Du würdest wohl tun, deinen Schwager von seinem rebellischen
Vorhaben abzumahnen. Anstatt dich vom Verderben zu retten, stürzt er
dich tiefer hinein, indem er sich zu deinem Falle gesellt.
Götz ssieht Elisabeth an der Tür, heimlich zu ihr). Geh hin! Sag ihm,
er soll unverzüglich hereinbrechen, soll ehe kommen, nur der Stadt
kein Leids tun. Wenn sich die Schurken hier widersetzen, soll er Gewalt
brauchen. Es liegt mir nichts dran, umzukommen, wenn sie nur alle mit
erstochen werden.
Friedrich von Schiller.
geboren 1759, den 10. November zu Marbach am Neckar — zog 1763
mit den Eltern nach Loren — 1768 nach Ludwigsburg — stùdierte
auf der Karlsschule anfangs die Rechte, spãter Medizin — dichtete die
„Raäuber“ — wurde 1780 Regimentsarzt in Stuttgart — entfloh 1782
nach Mannheim — vollendete die ,Vverschwörung des Fiesko“ — lebte
eine Zeitlang in Bauerbach in Franken und vollendete hier „Kabale
28
und Liebes“ — ging nach Leipzig (Lied an die Freude“) und Dresden
(Don Carlos“) —- siedelte 1787 nach Veimar ũber — lebte den Sommer
über in Volksstädt bei Rudolstadt (Geschichte der 3 2
wurde 1789 Professor der Geschichté in Jjena — heiratete 1790 Char-
lotte von Lengefeld und schrieb die ,Geschichte des 30jahrigen Krieges“
— machte 1794 nãhere Bekanntschaft mit Goethe — schrieb die „Briefe
über ästhetische Erziehung“, dichtete Balladen und Romanzen, den
„Wallenstein“ und „Das Lied von der Glocke“ — wohnte von 179 an
in VWeimar — dichtete „Maria Stuart“, „Jungfrau von Orleanss, „Braut
on Mosinas, Winelin fel« ztarb' i8d5 den o Man lLibaer,
„Sehnsucht“ Hoinung, Worte des Glaubens“. Balladen und Ro-
manzen: Der Graf von Habsburgs, „Die Bürgschaft“, Der Gang nach
dem Eisenhammer“, „Der Kampf mit dem Drachen?“, „Die Kraniche des
Ibykus“, „Der Ring des Polykrates“.
Der Taucher.
1. „Wer wagt es, Rittersmann oder Knapp',
zu tauchen in diesen Schlund?
Einen goldnen Becher werf ich hinab,
verschlungen schon hat ihn der schwarze Mund.
Wer mir den Becher kann wieder zeigen,
er mag ihn behalten, er ist sein eigen!“
2. Der König spricht es und wirft von der Höh'
der Klippe, die schroff und steil
hinaushängt in die unendliche See
den Becher in der Charybde Geheul.
„Wer ist der Beherzte, ich frage wieder,
zu tauchen in diese Tiefe nieder?“
3. Und die Ritter, die Knappen um ihn her
vernehmen's und schweigen still,
sehen hinab in das wilde Meer,
und keiner den Becher gewinnen will.
Und der König zum dritten Mal wieder fraget:
„Ist keiner, der sich hinunter waget?“
4. Doch alles noch stumm bleibt wie zuvor;
und ein Edelknecht, sanft und keck,
tritt aus der Knappen zagendem Chor,
und den Gürtel wirft er, den Mantel weg.
Und alle Männer umher und Frauen
auf den herrlichen Jüngling verwundert schauen
5. Und wie er tritt an des Felsen Hang
und blickt in den Schlund hinab,
die Wasser, die sie hinunter schlang,
die Charybde jetzt brüllend wiedergab,
und wie mit des fernen Donners Getose
entstürzen sie schäumend dem finstern Schoße
8
29
— —
6. Und es wallet und siedet und brauset und zischt,
wie wenn Wasser mit Feuer sich mengt,
bis zum Himmel spritzet der dampfende Gischt,
und Flut auf Flut sich ohn' Ende drängt,
und will sich nimmer erschöpfen und leeren,
als wollte das Meer noch ein Meer gebären.
7. Doch endlich, da legt sich die wilde Gewalt,
und schwarz aus dem weißen Schaum
klafft unu ein gähnender Spalt,
grundlos, als ging's in den Höllenraum,
und reißend sieht man die brandenden Wogen
hinab in den strudelnden Trichter gezogen.
8. Jetzt schnell, eh' die Brandung wiederkehrt,
der Jüngling sich Gott befiehlt,
und — ein Schrei des Entsetzens wird rings gehört —
und schon hat ihn der Wirbel hinweggespült!
Und geheimnisvoll über dem kühnen Schwimmer
schließt sich der Rachen; er zeigt sich nimmer.
9. Und stille wird's über dem Wasserschlund,
in der Tiefe brauset es hohl,
und bebend hört man von Mund zu Mund:
„Hochherziger Jüngling, fahre wohl!“
Und hohler und hohler hört man's heulen.
und es harrt noch mit bangem, mit schrecklichem Weilen.
10. Und würfst du die Krone selber hinein
und sprächst „Wer mir bringet die Krom,
er soll sie tragen und König sein!“
mich gelüstete nicht nach dem teuren Lohn.
Was die heulende Tiefe da unten verhehle,
das erzählt keine lebende, glückliche Seele.
11. Wohl manches Fahrzeug vom Strudel gefaßt,
schoß jäh in die Tiefe hinab;
doch zerschmettert nur rangen sich Kiel und Mast
hervor aus dem alles verschlingenden Grab.
Und heller und heller wie Sturmessausen
hört man's näher und immer näher brausen.
12. Und es wallet und siedet und brauset und zischt,
wie wenn Wasser mit Feuer sich mengt,
bis zum Himmel spritzet der dampfende Gischt,
und Well' auf Well' sich ohn' Ende drängt,
und wie mit des fernen Donners Getose
entstürzt es brüllend dem finstern Schoße.
30 —
13. Und sl aus dem finster flutenden Schoß
da hebt sich's schwanenweiß,
und ein Arm und ein glänzender Nacken wird bloß,
und es rudert mit Kraft und mit emsigem Fleiß,
und er ist's, und hoch in seiner Linken
schwingt er den Becher mit freudigem Winken. —
14. Und atmete lang und atmete tief
und begrüßte das himmlische Licht.
Mit Frohlocken es einer dem andern rief:
„Er lebt! Er ist dal! Es behielt ihn nicht!
Aus dem Grab, aus der strudelnden Wasserhöhle
hat der Brave gerettet die lebende Seele.“
15. Und er kommt. Es umringt ihn die jubelnde Schar;
zu des Königs Füßen er sinkt.
Den Becher reicht er knieend dar,
und der König der lieblichen Tochter winkt.
Die lt ihn mit funkelndem Wein bis zum Rande,
und der Jüngling sich also zum König wandte:
16. „Lang lebe der König! Es freue sich,
wer da atmet im rosigen Licht!
Da unten aber ist's ri
und der Mensch versuche die Götter nicht
und begehre nimmer und nimmer zu schauen,
was sie gnädig bedecken mit Nacht und Grauen!
17. Es riß mich hinunter blitzesschnell,
da stürzt' mir aus felsigem Schacht
wildflukend entgegen ein reißender Quell;
mich packte des Doppelstroms wütende Macht,
und wie ein Kreisel mit schwindelndem Drehen
trieb mich's um, ich konnte nicht widerstehen.
18. Da zeigte mir Gott, zu dem ich rief
in der höchsten, schrecklichen Not,
aus der Tiefe ragend ein Felsenriff,
das erfaßt' ich behend und entrann dem Tod.
Und da hing auch der Becher an spitzen Korallen,
sonst wär' er ins Bodenlose gefallen.
19. Denn unter mir lag's noch bergetief
in purpurner Finsternis da.
Und ob's hier dem Ohre gleich ewig schlief,
das Auge mit Schaudern hinunter sah,
wie's von Salamandern und Molchen und Drachen
sich regt' in dem furchtbaren Höllenrachen.
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20. Schwarz wimmelten da in grausem Gemisch,
zu scheußlichen Klumpen geballt,
er stachlichte Roche, der Klippenfisch,
des Hammers greuliche Ungestalt,
und dräuend wies mir die grimmigen Zähne
der entsetzliche Hai, des Meeres Hyäne.
21. Und da hing ich, und war's mir mit Grausen bewußt,
von der menschlichen Hilfe so weit,
unter Larven die einzige fühlende Brust,
allein in der gräßlichen Einsamkeit,
tief unter dem Schall der menschlichen Rede,
bei den Ungeheuern der traurigen Ode.
22. Und schaudernd dacht' ich's — da kroch's heran,
regte hundert Gelenke zugleich,
will schnappen nach mir; in des Schreckens Wahn
laß ich los der Koralle umklammerten Zweig;
gleich faßt mich der Strudel mit rasendem Toben;
doch es war mir zum Heil, er riß mich nach oben.“
23. Der König darob sich verwundert schier
und spricht: „Der Becher ist dein!
Und diesen Ring noch bestimm' ich dir,
geschmückt mit dem köstlichsten Edelgestein,
bersuchst du's noch einmal und bringst mir Kunde,
was du sahst auf des Meeres tiefunterstem Grunde.“
24. Das hörte die Tochter mit weichem Gefühl,
und mit schnieichelndem Munde sie fleht:
„Laßt, Vater, genug sein das grausame Spiel!
Er hat Euch bestanden, was keiner besteht;
und könnt Ihr des Herzens Gelüste nicht zähmen,
so mögen die Ritter den Knappen beschämen.“
25. Drauf der König greift nach dem Becher schnell,
in den Strudel ihn schleudert hinein:
„Und schaffst du den Becher mir wieder zur Stell,
so sollst du der trefflichste Ritter mir sein
und sollst sie als Ehgemahl heut noch umarmen,
die jetzt für dich bittet mit zartem Erbarmen.“
26. Da ergreift's ihm die Seele mit
und es blickt aus den Augen ihm kühn,
und er siehet erröten die schöne Gestalt
und sieht sie erbleichen und sinken hin;
da treibl's ihn, den köstlichen Preis di erwerben,
und stürzt hinunter auf Leben und Sterben
Himmelsgewalt,
32 —
27. Wohl hört man die Brandung, wohl kehrt sie zurück,
sie verkündigt der donnernde Schall;
da bückt sich's hinunter mit liebendem Blick,
es kommen, es kommen die Wasser all',
sie rauschen herauf, sie rauschen nieder —
den Jüngling bringt keines wieder.
Das Lied von der Glocke.
Fest gemauert in der Erden
steht die Form, aus Lehm gebrannt.
Heute muß die Glocke werden!
drish Gesellen, seid zur Hand!
on der Stirne
rinnen muß der Schweiß,
soll das Werk den Meister loben.
Doch der Segen kommt von oben.
Zum Werke, das wir ernst bereiten,
geziemt sich wohl ein ernstes Wort.
Wenn gute Reden sie begleiten,
dann fließt die Arbeit munter fort.
So laßt uns jetzt mit Fleiß betrachten,
was durch die schwache Kraft ent—
springt.
Den schlechten Mann muß man ver—
achten,
der nie bedacht, was er vollbringt.
Das ist's ja, was den Menschen zieret,
und dazu ward ihm der Verstand,
daß er im innern Herzen spüret,
was er erschafft mit seiner Hand.
2. Nehmet Holz vom Fichtenstamme,
doch recht trocken laßt es sein,
daß die eingepreßte Flamme
schlage zu dem Schwalch hinein!
Koͤcht des Kupfers Brei,
schnell das Zinn herbei,
daß die zähe Glockenspeise
fließe nach der rechten Weise!
Was in des Dammes tiefer Grube
die Hand mit Feuers Hilfe baut,
hoch auf des Turmes Glockenstube,
da wird es von uns zeugen laut.
Noch dauern wird's in späten Tagen
und rühren vieler Menschen Ohr
und wird mit dem Betrübten klaͤgen
und stimmen zu der Andacht Chor.
Was unten tief dem Erdensohne
das wechselnde Verhängnis bringt,
das schlägt an die metaällne Krone,
die es erbaulich weiter klingt.
3. Weiße Blasen seh' ich springen.
Wohl! die Massen sind im Fluß.
Laßt's mit Aschensalz durchdringen,
das befördert schnell den Guß.
Auch vom Schaume rein
muß die Mischung sein,
daß vom reinlichen Metalle
rein und voll die Stimme schalle.
Denn mit der Freude Feierklange
begrüßt sie das geliebte Kind
auf seines Lebens erstem Gange,
den es in Schlafes Arm beginnt.
Ihm ruhen noch im Zeitenschoße
die schwarzen und die heitern Lose,
der Mutterliebe zarte Sorgen
bewachen seinen goldnen Morgen.
Die Jahre fliehen pfeilgeschwind.
Vom Mädchen reißt sich stolz der
Knabe,
er stürmt ins Leben wild hinaus,
durchmißt die Welt am Wanderstabe,
fremd kehrt er heim ins Vaterhaus
Und herrlich in der Jugend Prangen
wie ein Gebild aus Himmelshöh'n
mit züchtigen, verschämten Wangen
sieht er die Jungfrau vor sich stehn.
Da faßt ein namenloses Sehnen
des Jünglings Herz, er irrt allein,
aus seinen Augen brechen Träuen,
er flieht der Brüder wilden Reihn.
Errötend folgt er ihren Spuren
und ist von ihrem Gruß beglückt,
das Schönste sucht er auf den Fluren,
womit er seine Liebe schmückt.
O zarte Sehnsucht, süßes Hoffen,
der ersten Liebe goldne Zeit!
Das Auge sieht den Himmel offen,
es ret das Herz in Seligkeit.
O, daß sie ewig grünen bliebe,
die schöne Zeit der jungen Liebe!
Wie sich schon die Pfeifen bräunen!
Dieses Stäbchen tauch' ich ein;
sehn wir's überglast erscheinen,
wird's zum bis zeitig sein.
Jetzt, Gesellen frischl
Prüft mir das Gemisch,
ob das Spröde mit dem Weichen
sich vereint zum guten Zeichen.
Denn wo das Strenge mit dem
Zarten,
wo Starkes sich und Mildes paarten,
da gibt es einen guten Klang.
Drum prüfe, wer sich ewig bindet,
ob das Herz zum Herzen findet!
Der Wahn ist kurz, die Reu' ist lang.
Lieblich in der Bräute Locken
spielt der jungfräuliche Kranz,
wenn die hellen Kirchenglocken
laden zu des Festes Glanz.
Ach! des Lebens schönste Feier
endigt auch den Lebensmai.
Mit dem Gürtel, mit dem Schleier
reißt der schöne Wahn entzwei.
Die Leidenschaft flieht,
die Liebe muß bleiben.
Die Blume verblüht,
die Frucht muß treiben.
Der Mann muß hinaus
ins feindliche Leben,
muß wirken und streben
und pflanzen und schaffen,
erlisten, erraffen,
muß wetten und wagen,
das Glück zu erjagen.
Da strömet herbei die unendliche
er Spen di
es füllt sich der Speicher mit köst—
b licher Habe,
die Räume wachsen, es dehnt sich
das Haus.
Und drinnen waltet
die e Hausfrau,
die Mutter der Kinder,
und herrschet weise
im häuslichen Kreise
Deutsche Sprachschule J.
Literaturheft.
2
—
28
und lehret die Mädchen
und wehret den Knaben
und reget ohn' Ende
die s Hände
und mehrt den Gewinn
mit ordnendem Sinn
und füllet mit Schätzen die duften—
den Laden
und dreht um die schnurrende Spindel
den Faden
und sammelt im reinlich een
chrein
die schimmernde Wolle, den schnee—
ichten Lein
und füget zum Guten den Glanz
und den Schimmer
und ruhet nimmer.
Und der Vater mit frohem Blick,
von des Hauses weitschauendem
Giebel
überzählet sein blühend Glück,
siehet der Pfosten ragende Bäume
und der Scheunen gefüllte Räume
und die Speicher, vom Segen ge—
bogen,
und des Korns bewegte Wogen,
n sich mit stolzem Mund:
Fest, wie der Erde Grund,
gegen des Unglücks Macht,
steht mir des unn Pracht!
Doch mit des Geschickes Mächten
ist kein ew'ger Bund zu flechten,
und das Unglück schreitet schnell.
5. Wohl, nun kann der Guß beginnen,
schön gezacket ist der Bruch.
Doch bevor wir's lassen rinnen,
betet einen frommen Spruch!
Stoßt den Zapfen aus!
Gott bewahr' das Haus!
Rauchend in des Henkels Bogen
schießl's mit feuerbraunen Wogen.
Wohltätig ist des Feuers Macht,
wenn sie der Mensch bezähmt, bewacht,
und was er bildet, was er schafft,
das dankt er dieser Himmelskrafl.
Doch furchtbar wird die vne
aft,
wenn sie der Fessel sich entrafft,
einhertritt auf der eignen Spur,
3
34 —
die freie Tochter der Natur.
Wehe, wenn sie losgelassen,
wachsend ohne Widerstand,
durch die volkbelebten Gassen
wälzt den ungeheuren Brand!
Denn die Elemente hassen
das Gebild der Menschenhand.
Aus der Wolke
quillt der Segen,
strömt der Regen.
Aus der Wolke, ohne Wahl,
zuckt der Strahl.
Hört ihr's wimmern hoch vom Turm?
Das ist Sturm!
Rot wie Blut
ist der Himmel.
Das ist nicht des
Welch Getümmel
Straßen auf!
Dampf wallt auf!
Flackernd steigt die Feuersäule,
durch der Straßen lange Zeile
wächst es fort mit Windeseile.
Kochend wie aus Ofens Rachen
glühn die Lüfte, Balken krachen,
Pfosten stürzen, Fenster klirren,
Kinder jammern, Mütter irren,
Tiere wimmern
unter Trümmern.
Alles rennet, rettet, flüchtet,
taghell ist die Nacht
Durch der Hände lange Kette
um die Wette
fliegt der Eimer. Hoch im Bogen
spritzen Quellen Wasserwogen.
Heulend kommt der Sturm geflogen,
der die Flamme brausend sucht.
Prasselnd in die dürre Frucht
sällt sie in des Speichers Räume,
in der Sparren dürre Bäume,
und als wollte sie im Wehen
mit sich fort der Erde Wuͤcht
reißen in gewalt'ger Flucht,
wächst sie in des Himmels Höhen
riesengroß.
Hoffnungslos
weicht der Mensch der Götterstärke,
müßig sieht er seine Werke
und bewundernd untergehn.
Leergebrannt
ist die Stätte,
wilder Stürme rauhes Bette.
In den öden Fensterhöhlen
wohnt das Grauen,
und des Himmels Wolken schauen
hoch hinein.
Einen Blick
nach dem Grabe
seiner Habe
sendet noch der Mensch zurück,
greift fröhlich dann zum Wanderstabe.
Was Feuers Wut ihm auch geraubt,
ein süßer Trost ist ihm geblieben:
Er zählt die Häupter seiner Lieben,
und sieh! ihm fehlt kein teures Haupt.
6. In die Erd' ist's aufgenommen,
glücklich ist die Form gefüllt.
Wird's auch schön zu Tage kommen,
daß es Fleiß und Kunst vergilt?
Wenn der Guß mißlang?
Wenn die Form zersprang?
Ach, vielleicht, indem wir hoffen,
hat uns Unheil schon betroffen.
Dem dunkeln Schoß der heil'gen
Erde
vertrauen wir der Hände Tat,
vertraut der Sämann seine Saat
und hofft, daß sie entkeimen werde
zum Segen, nach des Himmels Rat.
Noch köstlicheren Samen bergen
wir trauernd in der Erde Schoß
und hoffen, daß er aus den Särgen
erblühen soll zu schönerm Los.
Von dem Dome
schwer und bang
tönt die Glocke
Grabgesang.
Ernst begleiten ihre Trauerschläge
einen Wandrer auf dem letzten Wege.
Ach! die Gattin ist's, die teure,
ach! es ist die treue Mutter,
die der schwarze Fürst der Schatten
wegführt aus dem Arm des Gatten,
aus der zarten Kinder Schar,
die sie blühend ihm gebar,
die sie an der treuen Brust
wachsen sah mit Mutterlust.
Ach! des Hauses zarte Bande
sind gelöst auf immerdar,
denn sie wohnt im Schattenlande,
die des Mufe Mutter war,
denn es fehlt ihr treues Walten,
ihre Sorge wacht nicht mehr.
An verwaister Stätte schalten
wird die Fremde, liebeleer.
7. Bis die Glocke sich verkühlet,
laßt die strenge Arbeit ruhn!
Wie im Laub der Vogel spielet,
mag sich jeder gütlich tun.
Winkt der Sterne Licht,
ledig aller
hört der Bursch die Vesper n
Meister muß sich immer plagen.
Munter fördert seine Sa
fern im wilden Forst der Wandrer
nach der lieben Heimathütte.
Blöckend Ehn heim die Schafe,
und der Rinder
breitgestirnte, glatte Scharen
kommen brüllend,
die ur Ställe füllend.
Schwer herein
schwankt der Wagen
kornbeladen.
Bunt von Farben,
auf den Garben
liegt der Kranz,
und das junge Volk der Schnitter
fliegt zum Tanz.
Markt und Straßen werden stiller.
Um des Lichts gesellge Flamme
sammeln sich die Hausbewohner,
und das Stadttor schließt sich knarrend.
Schwarz bedecket
sich die Erde.
Doch den sichern Bürger schrecket
nicht die Nacht,
die den Bösen gräßlich wecket,
denn das Auge des Gesetzes wacht.
Heil'ge Ordnung, segensreiche
Himmelstochter, die das Gleiche
frei und leicht und freudig bindet,
die der Städte Bau gegründet,
die herein von den Gefilden
rief den ungesellgen Wilden,
eintrat in der Menschen Hütten,
sie gewöhnt zu sanften Sitten
und das teuerste der Bande
75
3F
3
wob, den Trieb zum Vaterlande!
Tausend fleiß'ge Hände regen,
helfen sich in munterm Bund,
und in ie Bewegen
werden alle Kräfte kund.
Meister rührt sich und Geselle
in der Freiheit heil'gem Schutz.
Jeder freut sich seiner Stelle,
bietet dem Verächter Trutz.
Arbeit ist des Bürgers Zierde,
Segen ist der Mühe Preis.
Ehrt den König seine Würde,
ehret uns der Hände Fleiß.
Holder Friede,
süße Eintracht,
weilet, weilet
freundlich über dieser Stadt!
Möge nie der Tag erscheinen,
wo des rauhen Krieges Horden
dieses stille Tal durchtoben,
wo der Himmel,
den des Abends sanfte Röte
lieblich malt,
von der Dörfer, von der Städte
wildem Brande schrecklich strahlt!
8. Nun zerbrecht mir das Gebäude,
seine Absicht hat's erfüllt,
daß sich Herz und Auge weide
an dem wohlgelungnen Bild.
Schwingt den Hammer, schwingt,
bis der Mantel springt!
Wenn die Glock soll auferstehen,
muß die Form in Stücken gehen.
Der Meister kann die Form zer—
brechen
mit weiser Hand zur rechten Zeit.
Doch wehe, wenn in Flammenbächen
das glüh'nde Erz sich selbst befreit!
Blind wütend mit des Donners
Krachen
zersprengt es das geborstne Haus,
und wie aus offnem Höllenrachen
speit es Verderben zündend aus.
Wo rohe Kräfte sinnlos walten,
da kann sich kein Gebild gestalten.
Wenn sich die Völker selbst befrein,
da kann die Wohlfahrt nicht gedeihn.
Weh, wenn sich in dem Schoß der
Städte
3*
36
der Feuerzunder still gehäuft,
das Volk, zerreißend seine Kette,
zur Eigenhilfe schrecklich greift!
Da zerret an der Glocke Strängen
der Aufruhr, daß sie heulend schallt
und, nur geweiht zu Friedensklängen,
die Losung anstimmt zur Gewalt.
Freiheit und Gleichheit! hört man
schallen.
Der ruh'ge Bürger greift zur Wehr,
die Straßen füllen sich, die Hallen,
und Würgerbanden ziehn umher.
Da werden Weiber zu Hyänen
und treiben mit Entsetzen Scherz;
noch zuckend, mit des Panthers
Zähnen,
zerreißen sie des Feindes Herz.
Nichts Heiliges ist mehr, es loͤsen
sich alle Bande frommer Scheu.
Der Gute räumt den Platz dem
Bösen
und alle Laster walten frei.
Gefährlich ist's, den Leu zu wecken,
verderblich ist des Tigers Zahn,
jedoch der ei der Schrecken,
das ist der Mensch in seinem Wahn.
Weh denen, die dem Ewigblinden
des Lichtes Himmelsfackel leihn!
Sie strahlt ihm nicht, sie kann nur
zünden
und äschert Städt' und Länder ein.
9. Freude hat mir Gott gegeben!
Sehet! wie ein goldner Stern
aus der Hülse, blank und eben,
ai sich der metallne Kern.
on dem Helm zum Kranz
spielt's wie Sonnenglanz.
Auch des Wappens nette Schilder
loben den erfahr'nen Bilder.
Herein! Herein!
Gesellen alle, h den Reihen,
daß wir die Glöcke taufend weihenl
Concordia soll ihr Name sein.
Zur Eintracht, zu herzinnigem Ver—
eine
versammle sie die liebende Gemeine.
Und dies sei fortan 3 Beruf,
wozu der Meister sie erschuf:
Hoch überm niedern Erdenleben
soll sie im blauen Himmelszelt,
die Nachbarin des Donners, eben
und grenzen an die Sternenwelt,
soll eine Stimme sein von oben,
wie der Gestirne helle Schar,
die ihren Schöpfer wandelnd loben
und führen das bekränzte Jahr.
Nur ewigen und ernsten Dingen
sei ihr metallner Mund geweiht,
und stündlich mit den schnellen
Schwingen
berühr' im Fluge sie die Zeit.
Dem Schicksal leihe sie die Zunge.
Selbst ohne Mitgefühl,
begleite sie mit ihrem Schwunge
des Lebens wechselvolles Spiel.
Und wie der Klang im Ohr vergehet,
der mächtig tönend ihr entschallt,
so lehre sie, daß nichts bestehet,
daß alles Irdische verhallt.
10. Jetzo mit der Kraft des Stranges
wiegt die Glock mir aus der Gruft,
daß sie in das Reich des Klanges
steige, in die Himmelsluft!
Ziehet, ziehet, hebt!
Sie bewegt sich, schwebt!
Freude dieser Stadt bedeute,
Friede sei ihr erst Geläute.
Epigramme.
1. In den Ozean schifft mit tausend Masten der Jüngling!
Still auf gerettetem Boot treibt in den Hafen der Greis.
2.
Willst du dich selber erkennen, so sieh, wie die andern es treiben.
Willst du die andern verstehn, blick in dein eigenes Herz.
3. Teuer ist mir der Freund, doch auch den Feind kann ich nützen;
zeigt mir der Freund, was ich kann lehrt mich der Feind, was ich soll.
27
4. Kannst du nicht allen gefallen durch deine Tat und dein Kunstwerk,
mach es wenigen recht; vielen gefallen ist schlimm.
6.
Immer strebe zum Ganzen, und kannst du selber kein Ganzes
werden, als dienendes Glied schließ an ein Ganzes dich an.
2
4
Keiner sei gleich dem andern, doch gleich sei jeder dem Höchsten!
Wie das zu machen? Es sei jeder vollendet in sich.
Aus „Wilhelm Tell“.
Schauspiel in fünf Aufzügen.
III. Aufug, 3. Aultxitt.
Wiese bei Altorf.
Im Vordergrunde Bäume, in der Tiefe der Hut auf einer Stange. Der Prospelt
wird begrenzt durch den Bannberg, über welchem ein Schneegebirge hervorragt.
Zwei Knechte halten Wache. Tell mit der Armbrust tritt auf, seinen Knaben äͤn
der Hand führend.
Ei, Vater, sieh den Hut dort auf der Stange.
Was kümmert uns der Hut! Komm, laß uns gehen!
will, tritt ihm Frießhardt mit vorgehaltener Pile entgegen.)
In des Kaisers Namen! Haltet an und steht!
greift in die Pike).
Was wollt Ihr? Warum haltet Ihr mich auf?
Ihr habt's Mandat verletzt, Ihr müßt uns folgen.
Ihr habt dem Hut nicht Reverenz bewiesen.
Freund, laß mich gehen!
Fort, fort ins Gefängnis!
Den Vater ins Gefängnis! Hilfe! Hilfe!
(In die Szene rufend.)
Herbei, ihr Männer, gute Leute, helft!
Gewalt! Gewalt! Sie führen ihn gefangen.
Rösselmann, der Pfarrer, und Petermann, der Sigrist, kommen herbei mit drei
andern Männern.
Sigrist.
Rösselmann.
Frießhardt.
Tell
Rösselmann.
Walter
Walter Fürst
Was gibt's?
Was legst du Hand an diesen Mann?
Er ist ein Feind des Kaisers, ein Verräter!
faßt gr heftig).
Ein Verräter, ich!
Du irrst dich, Freund, das ist
der Tell, ein Ehrenmann und guter Bürger.
erblickt Walter Fürsten und eilt ihm entgegen).
Großvater, hilf! Gewalt geschieht dem Vater.
Ins Gefängnis, fort!
herbeieilend). Ich leiste Bürgschaft, haltet!
Um Gottes willen, Tell, was ist geschehen?
Melchthal und Stauffacher kommen.
38
Des Landvogts oberherrliche Gewalt
verachtet er und will sie nicht erkennen.
Das hätt' der Tell getan?
Das lügst du, Bube!
Er hat dem Hut nicht Reverenz bewiesen.
Und darum soll er ins Gefängnis? Freund,
nimm meine Bürgschaft an und laß ihn ledig.
Bürg du für dich und deinen eignen Leib!
Wir tun, was unsers Amtes. — Fort mit ihm!
(zu den Landleuten).
Nein, das ist schreiende Gewalt! Ertragen wir's,
daß man ihn sortführt, frech, vor unsern Augen?
Wir sind die Stärkern. Freunde, duldet's nicht!
Wir haben einen Rücken an dem andern.
Wer widersetzt sich dem Befehl des Vogts?
eute (herbeieilend).
Wir helfen euch. Was gibt's? Schlagt sie zu
Ich helfe mir schon selbst. Geht, gute Leute!
Meint ihr, wenn ich Kraft gebrauchen wollte,
ich würde mich vor ihren Spießen fürchten?
zu Frießhardt).
Wag's, ihn aus unserer Mitte wegzuführen!
Walter Fürst und Stauffacher.
Gelassen! Ruhig!
schreit).
Aufruhr und Empörung!
Da kommt der Landvogt!
(erhebt die Stimme).
Meuterei! Empörung!
Stauffacher. Schrei, bis du berstest, Schurke!
Rösselmann und Melchthal. Willst du schweigen?
Frießhardt (ruft noch lauter).
Zu Hilf', zu Hilf, den Dienern des Gesetzes!
Walter Fürst. Da ist der Vogt! Weh uns, was wird das werden!
Geßler zu Pferd, den Falken auf der Faust, Rudolf der Harras, Berta von
Bruͤneck und Rudenz, ein großes Gefolge von bewaffneten Knechten, welche einen
Kreis von Vilen um die ganze Szene schließen.
Rud. d. Harras.
Geßler.
Frießhardt.
Noch drei Landl
Boden.
Man hört Jagdhörner.)
Platz, Platz dem Landvogt!
Treibt sie auseinander!
Was läuft das Volk zusammen? Wer ruft Hilfe?
(Allgemeine Stille.)
Wer war's? Ich will es wissen. (Zu Frießhardt.)
Du tritt vor!
Wer bist du, und was hältst du diesen Mann?
Er gibt den Fallen einem Diener.)
Gestrenger Herr, ich bin dein Waffenknecht
und eeee Wächter bei dem Hut.
Diesen Mann ergriff ich über frischer Tat,
Frießhardt.
Geßler
Tell.
Geßler
Walter Tell.
Geßler.
Tell.
Geßler.
Tell.
Geßler.
Tell.
Geßler.
Tell.
Geßler.
Tell.
Geßler.
Tell.
Geßler.
39
j
wie er dem Hut den Ehrengruß versagte.
Verhaften wollt' ich ihn, wie du befahlst,
und mit Gewalt will ihn das Volk entreißen.
(nach einer Pause).
Verachtest du o deinen Kaiser, Tell,
und mich, der hier an seiner Statt gebietet,
daß du die Ehr' versagst dem Hut, den ich
zur Prüfung des Gehorsams aufgehangen?
Dein böses Trachten hast du mir verraten.
Verzeiht mir, lieber Herr! Aus Unbedacht,
nicht aus Verachtung Eurer ists geschehn.
Wär' ich besonnen, hieß ich nicht der Tell;
ich bitt' um Gnad', es soll nicht mehr begegnen.
nach einigem Stillschweigen).
Du bist ein Meister auf der Armbrust, Tell,
man sagt, du nähmst es auf mit jedem Schützen?
Und das muß wahr sein, Herr, nen Apfel schießt
der Vater dir vom Baum auf hundert Schritte.
Ist das dein Knabe, Tell?
Ja, lieber Herr.
Hast du der Kinder mehr?
Zwei Knaben, Herr.
Und welcher ist's, den du am meisten liebst?
Herr, beide sind sie mir gleich liebe Kinder.
Nun, Tell! weil du den Apfel triffst vom Baume
auf hundert Schritt, so wirst du deine Kunst
vor mir bewähren müssen. — Nimm die Armbrust —
du hast sie gleich zur Hand — und mach dich fertig,
einen Apfel von des Knaben Kopf zu schießen. —
Doch will ich raten, ziele gut, daß du
den Apfel treffest auf den ersten Schuß!
Denn fehlst du ihn, so ist dein Kopf verloren.
(Alle geben Zeichen des Schreckens.)
Herr — welches Ungeheure sinnet Ihr
mir an? — Ich soll vom Haupte meines Kindes —
— Nein, nein doch, lieber Herr, das kommt Euch nicht
zu Sinn. — Verhüt's der gnäd'ge Gott — das
könnt Ihr im Ernst von einem Vater nicht begehren!
Du wirst den Apfel schießen von dem Kopf
des Knaben — ich begehr's und will's.
Ich soll
mit meiner Armbrust auf das liebe Haupt
des eignen Kindes zielen? — Eher sterb' ich!
Du schießest oder stirbst mit deinem Knaben.
Ich soll der Mörder werden meines Kind's?
Herr, Ihr habt keine Kinder — wisset nicht,
was sich bewegt in eines Vaters Herzen.
Ei, Tell, du bist ja plötzlich so besonnen!
Man sagte mir, daß du ein Träumer seist
40
Berta.
Geßler.
Rud. d. Harras.
Walter Fürst
Berta
Geßler.
Walter Fürst
Walter Tell.
und dich entfernst von andrer Menschen Weise.
Du liebst das Seltsame — drum hab' ich jetzt
ein eigen Wagstück für dich ausgesucht.
Ein andrer wohl e sich — du drückst
die Augen zu und greifst es herzhaft an.
Scherzt n o Herr, mit diesen armen Leuten!
Ihr seht sie bleich und zitternd stehn — so wenig
sind sie Kurzweils gewohnt aus Eurem Munde.
Wer sagt Euch, daß ich scherze? (Greift nach einem
Baumzweige, der über ihn herhängt.) Hier ist der Apfel.
Man mache Raum — er nehme seine Weite,
wie's Brauch ist — achtzig Schritte geb' ich ihm —
nicht weniger, noch mehr. — Er rühmte sich,
auf ihrer hundert seinen Mann zu treffen. —
Jetzt, Schütze, triff und fehle nicht das Ziel!
Gott, das wird ernsthaft. — Falle nieder, Knabe,
es gilt, und fleh den Landvogt um dein Leben!
beiseite zu Welchthal, der kaum seine Ungeduld bezwingt).
Haltet an Euch, ich fleh' Euch drum, bleibt ruhigl
(zum Landvogt).
Laßt es genug sein, Herr! Unmenschlich ist's,
mit eines Vaters Angst also zu spielen.
Wenn dieser arme Mann auch Leib und Leben
verwirkt durch seine leichte Schuld, bei Gott!
er hätte jetzt zehnfachen Tod empfunden.
Entlaßt ihn ungekränkt in seine Hütte,
er hat Euch kennen lernen. Dieser Stunde
wird er und seine Kindeskinder denken.
Offnet die Gasse! — Frisch, was zauderst du?
Dein Leben ist verwirkt, ich kann dich töten.
Und sieh, ich lege gnädig dein Geschick
in deine eigne kunstgeübte Hand.
Der kann nicht klagen über harten Spruch,
den man zum Meister seines Schicksals macht.
Du rühmst dich deines sichern Blicks. Wohlan!
Hier gilt es, Schütze, deine Kunst zu zeigen.
Das Ziel ist würdig, und der Preis ist groß!
Das Schwarze treffen in der Scheibe, das
kann auch ein andrer; der ist mir der Meister,
der seiner Kunst gewiß ist überall,
dem's Herz nicht in die Hand tritt, noch ins Auge.
wirft sich vor ihm nieder).
Herr Landvogt, wir erkennen Eure Hoheit
doch lasset Gnad' für Recht ergehen, nehmt
die Hälfte meiner Habe, nehmt sie ganz!
Nur dieses Gräßliche erlasset einem Väter!
Großvater, knie nicht vor dem falschen Mann!
Sagt, wo ich hinstehn soll. Ich fürcht' mich nicht.
Der Vater trifft den Vogel ja im Flug,
er wird nicht fehlen auf das Herz des Kindes.
m
41 —
Stauffacher.
Rösselmann.
err Landvogt, rührt Euch nicht des Kindes Unschuld?
„denket, daß ein Gott im Himmel ist,
dem Ihr müßt Rede stehn für Eure Taten.
zeigt auf den Knaben).
Man bind' ihn an die Linde dort!
Mich binden!
Nein, ich will nicht gebunden sein. Ich will
still halten wie ein gen und auch nicht atmen.
Wenn ihr mich bindet, nein, so kann ich's nicht,
so werd' ich toben gegen meine Bande.
Die Augen nur laß dir verbinden, Knabe!
Warum die Augen? Denket ihr, ich fürchte
den Pfeil von Vaters Hand? Ich will ihn fest
erwarten und nicht zucken mit den Wimpern.
Frisch, Vater, zeig's, daß du ein Schütze bist!
Er glaubt dir's nicht, er denkt uns zu verderben.
Dem Wütrich zum Verdrusse schieß und triff!
(Er geht an die Linde, man legt ihm den Apfel auf.)
Geßler
Walter Tell.
Rud. d. Harras.
Walter Tell.
Melchthal
zu den Landleuten).
Was? Soll der Frevel sich vor unsern Augen
vollenden? Wozu haben wir geschworen?
Es ist umsonst. Wir haben keine Waffen.
Ihr seht den Wald von Lanzen um uns her.
O, hätten wir's mit frischer Tat vollendet!
Verzeih's Gott denen, die zum Aufschub rieten!
zum Tell).
Ans Werk! Man führt die Waffe nicht vergebens.
Gefährlich ist's, ein Mordgewehr zu tragen,
und äuf den Schützen springt der Pfeil zurück.
Dies stolze Recht, das sich der Bauer nimmt,
beleidigt den höchsten Herrn des Landes.
use sei niemand, als wer gebietet.
Freut's den Pfeil zu führen und den Bogen,
wohl, so will ich das Ziel Euch dazu geben.
spannt die Armbrust und legt den Pfeil auf).
Offnet die Gasse! Platz!
Was, Tell? Ihr wolltet? — Nimmermehr! — Ihr
zitkert, die Hand erbebt Euch, Eure Kniee wanken. —
l die Armbrust sinken).
ir schwimmt es vor den Augen!
Gott im Himmel!
zum Landvogt).
Erlasset mir den Schuß. Hier ist mein Herz!
Stauffacher.
Melchthal.
Geßler
Tell
Stauffacher.
⁊
Tell
Weiber.
Tell
(Er reißt die Brust auf.)
Geßler.
Ruft Eure Reisigen und stoßt mich nieder!
Ich will dein Leben nicht, ich will den Schuß!
Du kannst ja alles, Tell, an nichts verzagst du.
Das Steuerruder führst du wie den Bogen,
— 42 —
dich schreckt kein Sturm, wenn es zu retten gilt.
Jeht, Retter, hilf dir selbst — du rettest alle!
Tell steht im fürchterlichen Kampfe, mit den Händen zuckend und die rollenden
Augen bald auf den Landvogt, bald zum Himmel gerichtet. — Plötzlich greift er
in seinen Köcher nimmt einen zweiten Pfeil heraus und steckt ihn in seinen Goller.
Der Landvogt bemerkt alle diese Bewegungen.)
Walter Tell (unter der Linde).
Vater, schieß zu! Ich fürcht' mich nicht.
Tell. Es muß! (Er rafft sich zusammen und legt an.)
Rudenz (der die ganze Zeit über in der heftigsten Spannung ze
standen und mit Gewalt an sich gehalten, tritt hervor).
Herr Landvogt, weiter werdet Ihr's nicht treiben,
Ihr werdet nicht — es war nur eine Prüfung —
den Zweck habt Ihr erreicht. — Zu weit getrieben,
verfehlt die Strenge ihres weisen Zwecks,
und aͤllzustraff gespannt, zerspringt der Bogen.
Ihr schweigt, bis man Euch aufruft.
Ich will reden!
Ich darf's! Des Königs Ehre ist mir heilig,
doch solches Regiment muß Haß erwerben.
Das ist des Königs Wille nicht — ich darf's
behaupten. — Solche Grausamkeit verdient
mein Volk nicht, dazu habt Ihr keine Vollmacht.
Ha, Ihr erkühnt Euch!
Ich hab' still geschwiegen
zu allen schweren Taten, die ich sah,
mein sehend Auge hab' ich zugeschlossen,
mein überschwellend und empörtes Herz
hab' ich hinabgedrückt in meinen Busen
Doch länger schweigen wär' Verrat zugleich
an meinem Vaterland und an dem Kaiser.
wirft sich zwischen ihn und den Landvogt).
O Gott, Ihr reizt den Wütenden noch mehr.
Mein Volk verließ ich, meinen Blutsverwandten
entsagt' ich, alle Bande der Natur
zerriß ich, um an Euch mich anzuschließen.
Das beste aller glaubt ich zu befördern,
da ich des Kaisers Macht befestigte. —
Die Binde fällt von meinen Augen — schaudernd
seh' ich an einen Abgrund mich geführt.
Mein freies Urteil habt Ihr irr' geleitet,
mein redlich Herz verführt — ich war daran,
mein Volk in bester Meinung zu verderben.
Verwegner, diese Sprache deinem Herrn?
Der Kaiser ist mein Herr, nicht Ihr. — Frei bin ich
wie Ihr geboren, und ich messe mich
mit Euͤch in jeder ritterlichen Tugend.
Und stündet Ihr nicht hier in Kaisers Namen
den ich verehre, selbst wo man ihn schändet,
43
den Handschuh würf' ich vor Euch hin, Ihr solltet
nach ritterlichem Brauch mir Antwort geben.
— Ja, winkt nur Euren Reisigen — ich stehe
nicht wehrlos da, wie die — (auf das Volk zeigend)
ich hab' ein Schwert,
und wer mir naht — —
Stauffacher (xuft). Der Apfel ist gefallen!
Indem sich alle nach dieser Seite gewendet und Berta zwischen Rudenz und den
Landvogt sich geworfen, hat Tell den Pfeil abgedrückt.)
Rösselmann. Der Knabe lebt!
Viele Stimmen. Der Apfel ist getroffen!
(Walter Fürst schwankt und droht zu sinken, Berta hält ihn.)
Geßler (erstaunt). Er hat geschossen? Wie? Der Rasendel!
Berta. Der Knabe lebt! Kommt zu Euch, guter Vater!
Walter Tell (kommt mit dem Apfel gesprungen).
Vater, hier ist der Apfel — wußt' ich's ja,
du würdest deinen Knaben nicht verletzen.
Tell stand mit vorgebogenem Leib, als wollt' er dem Pfeil folgen — die Arm⸗
brust entsinkt seiner Hand — wie er den Knaben kommen sieht, eilt er ihm mit
ausgebreiteten Armen entgegen und hebt ihn mit heftiger Inbrunst zu seinen
Herzen hinauf, in dieser Stellung sinkt er kraftlos zusammen. Alle stehen gerührt.
Berta. O güt'ger Himmel!
Walter Fürst (zu Vater und Sohn).
nn meine Kinder!
Gott sei gelobt!
Das war ein Schuß! Davon
wird man noch reden in den spätsten Zeiten.
Erzählen wird man von dem Schützen Tell,
solaäng die Berge stehn auf ihrem Grunde.
Reicht dem Landvogt den Apfel.)
Bei Gott, der Apfel mittendurch geschossen!
Es war ein Meisterschuß, ich muß ihn loben.
Der Schuß war gut, doch wehe dem, der ihn
dazu getrieben, daß er Gott versuchte.
Kommt zu Euch, Tell, Ihr habt Euch männlich
gelöst, und frei könnt Ihr nach Hause gehen.
Kommt, kommt und bringt der Mutter ihren Sohn.
Sie wollen ihn wegführen.)
Tell, höre!
(kommt zurück). Was befehlt Ihr, Herr?
Du stecktest
noch einen zweiten Pfeil zu dir — ja, ja,
ich sah es wohl — was meintest du damit?
Gwerlegen). Herr, das ist also bräuchlich bei den Schützen.
Nein, Tell, die Antwort laß ich dir nicht gelten.
Es wird was andres wohl bedeutet haben.
Sag mir die Wahrheit frisch und fröhlich, Tell;
was es auch sei, dein Leben sichr' ich dir.
Wozu der zweite Pfeil?
— 44 —
Tell. Wohlan, o Herr,
weil Ihr mich meines Lebens habt gesichert —
so will ich Euch die Wahrheit gründlich sagen.
Er zieht den Pfeil aus dem Goller und sieht den Landvogt mit einem furcht⸗
baren Blick an.)
Mit diesem zweiten Pfeil durchschoß ich — Euch,
wenn ich mein liebes Kind getroffen hätte,
und Eurer, — wahrlich, hätt ich nicht gefehlt.
Wohl, Tell! Des Lebens hab' ich dich gesichert,
ich gab mein Ritterwort, das will ich halten —
doch weil ich deinen bösen Sinn erkannt,
will ich dich führen lassen und verwahren,
wo weder Mond, noch Sonne dich bescheint,
damit ich sicher sei vor deinen Pfeilen.
Ergreift ihn, Knechte! Bindet ihn! (Tell wird gebunden)
Wie, Herr!
So könntet Ihr an einem Manne handeln,
an dem sich Gottes Hand sichtbar verkündigt?
Laß sehn, ob sie ihn zweimal retten wird.
— Man bring ihn auf mein Schiff! Ich folge nach
sogleich, ich selbst will ihn nach Küßnacht führen.
Das dürft Ihr nicht, das darf der Kaiser nicht,
das widerstreitet unsern Freiheitsbriefen!
Wo sind sie? Hat der Kaiser sie bestätigt?
Er hat sie nicht bestätigt. — Diese Gunst
muß erst erworben werden durch Gehorsam.
Rebellen seid ihr alle gegen Kaisers
Gericht und nährt verwegene Empörung.
Ich kenn' euch alle — ich durchschau' euch ganz —
den nehm ich jetzt heraus aus eürer Milte,
doch alle seid ihr teilhaft seiner Schuld.
Wer klug ist, lerne schweigen und gehorchen.
Er entfernt sich, Berta, Rudenz, Harras und Kuechte folgen, Frießhardt und
Leuthold bleiben zurück.)
Geßler.
Walter Fürst (in heftigem Schmerz).
Es ist vorbei, er hats beschlossen, mich
mit meinem ganzen Hause zu verderben!
zum Tell). O warum mußtet Ihr den Wütrich reizen!
Bezwinge sich, wer meinen Schmerz gefühlt!
O, nun ist alles, alles hin! Mit Euch
sind wir gefesselt alle und gebunden!
umringen den Tell).
Mit Euch geht unser letzter Trost dahin!
nähert sich), Tell, es erbarmt mich — doch ich muß
gehorchen.
Vi Lebt wohl!
Walter Tell gich mit heftigem Schmerz an ihn
Ent u lieber Vater!
schmiegend)
45 —
Tell. w die Arme zum Himmel).
ort droben r dein Vater! Den ruf an!
Stauffacher. Tell, sag' ich Eurem Weibe nichts von Euch?
Tell (hebt den Knaben mit Inbrunst an seine Brust).
Der Knab' ist unverletzt, mir wird Gott helfen.
Reißt sich schnell los und folgt den Waffenknechten.)
Johann Paul Friedrich Richter (Jean Paul),
geboren 1763 zu Wunsiedel — besuchte die Schule zu Hof — studierte
in Leipzig erst Theologie, dann Literatur — war mehrere Jahre Haus-
lehrer — lebte abwechselnd in Hof, Leipzig, Veimar, Berlin, Meiningen,
Koburg — lieb sieh 1804 bleibend in Baireuth nieder, wo er 1825 starb.
Er ist ein hervorragender Humorist.
Peter Hebel.
z 1760 zu Basel von armen Eltern — verlor frühzeitig Vater und
utter — besuchte bis zum 12. Jahre die Dorfschule zu Hausen —
dann das Gymnasium zu Karlsruhe — studierte in Erlangen Theologie
— vurde Hauslehrer, später Lehrer, Professor und Direktor am Gym-—
nasium zu Karlsruhe — wurde zum kirchenrat ernannt und zum Mit-
le des Konsistoriums und des Landtages und starb 1826 auf einer
eise zu Schwetzingen bei Mannheim. Er gehört zu den besten Volks-
schriftstellern, ist Meister im Erzählen und Verfasser berühmter ale—
manischer Gedichte, z. B. „Der Schnee“, „Der Kirschbaum“, „Das Spinn-
lein“, „Das Hafermus“.
Der Somnmterabend.
(Alemanisch.)
1. O lueg doch, wie isch d'sunn so müed,
lueg, wie sie dHeimet abezieht!
O lueg, wie Stral um Stral verglimmt,
und wie sie's Fazenetli nimmt,
e Wülkli, blau mit rot vermüscht,
und wie sie an der Stirne wüscht.
2. isch wohr, sie het au übel Zit,
im Summer gar, der Weg isch wit,
und Arbet findt sie überal
in Hus und Feld, in Berg und Tal.
's will alles Liecht und Wärmi ha,
und spricht sie um e Segen a.
3. Meng Blüemli het sie usstaffiert,
Und mit charmante Färbe ziert,
Und mengem Immli z'trinke ge,
und gseit: Hesch gnug und witt no meh?
Und 's Chäferli het hinteno
doch au sie Tröpfli übercho.
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4. Meng Somechöpfli het si gsprengt,
und 's zitig Sömli use g'lengt.
Hen d' Vögel nit bis ʒ'allerletzt
e Bettles g'ha und d'Schnäbel g'wetzt?
Und kein goht hungerig ins Bett,
Wo nit si Teil im Chröpfli het.
5. Und wo am Baum e Chriesi lacht,
se het sim roti Bäckli g'macht;
und wo im Feld en Ähri schwankt,
und wo am Pfohl e Rebe rankt,
se het sie eben abe g'lengt,
und hets mit Laub und Bluest umhängt.
6. Und uf der Bleichi het si gschafft
hütie und je us aller Chraft.
Der Bleicher het si selber gfreut,
doch hätt' er nit Vergelts Gottl! gseit.
Und het e Frau ne Wöschli gha,
se het sie trochnet druf und dra.
7. s isch weger wohr, und überal,
wo diSägesen im ganze Tal
dur Gras und Halme gangen isch,
se het sie gheuet froh und frisch.
Es isch e Sach, bi miner Treu,
am Morge Gras und z'Obe Heul
8. Drum isch sie jez so sölli müed,
und bruucht zum Schlof kei Obelied;
kei Wunder, wenn sie schnuuft und schwitzt.
Lueg, wie sie dört uf's Bergli sitzt!
Jez lächlet sie zum letzte Mol,
jez seit sie: Schloffet alli wohl!
9. Und d'unten isch sie! Bhüt di Gottl
Der Guhl, wo uffem Chilchturn stoht,
het no nit gnueg, er n sie no.
Du Wundervitz, was gafsch denn so?
Was gilts, sie tuet der bald derfür,
und zieht e roten Umhang für!
10. Sie duuret ein, di gueti Frau,
sie het ihr redli Huschrütz au.
Sie lebt gwiß mittem Ma nit guet,
und chunnt sie heim, nimmt er si Huet,
und was i sag, jez chunnt er bald,
Dört sitzt er scho im Fohrewald.
47 —
11. Er macht so lang, was tribt er echt?
Me meint schier gar, er trau nit recht.
Chum numme, sie isch nümme do,
's wird alles si, se schloft sie scho.
Jez stoht er uf, und luegt ins Tal,
und 's Möhnli grüeßt en überal.
12. Denk wohl, mer göhn jez au ins Bett,
und wer kei Dorn im Gwisse het,
der bruucht zum Schlofen au kei Lied;
me wird vom Schaffe selber müed;
und öbbe hemmer Schöchli gmacht,
drum gebis Gott e gueti Nacht!
Theodor Körner.
geboren 1791 zu Dresden — studierte in Freiberg auf der Bergakademie,
3 in Leipzig auf der Universität — wurde 1811 Theaterdichter in
ien — trat 1813 in das Lützowsche Freikorps und fiel in dem Ge-
fechte bei Gadebusch in Mecklenburg. Er gehört zu den beliebtesten
Freiheitssangern. — Liedersammlung „Leyer und Schwert“ („Lützows
wilde Jagd“, „Schwertsied); Drama „Zrinys.
Aufruf.
1. Frisch auf mein Volk! Die aneneen rauchen,
hell aus dem Norden bricht der Freiheit Licht.
Du sollst den Stahl in Feindes Herzen tauchen;
frisch auf mein Volk! — Die Flammenzeichen rauchen,
die Saat ist reif; ihr Schnitter, zaudert nicht!
Das hochsie Heil, das lehie egtim Schwertel
Drück dir den Speer ins treue Herz hinein.
Der Freiheit eine Gasse! — Wasch die Erde,
dein deutsches Land mit deinem Blute rein!
2. Es ist kein Krieg, von dem die Kronen wissen,
es ist ein Kreuzzug, 's ist ein heil'ger Krieg!
Recht, Sitte, Tugend, Glauben und Gewissen
hat der Tyrann aus deiner Brust gerissen;
errette sie mit deiner Freiheit Sieg!
Das Winseln deiner Greise ruft: Erwachel!“
Der Hütte Schutt verflucht die Räuberbrut,
die Schande deiner Töchter schreit um Rache,
der Meuchelmord der Söhne schreit nach Blut.
3. Zerbrich die Pflugschar, laß den Meißel fallen,
die Leier still, den Webstuhl ruhig stehn!
Verlasse deine Höfe, deine Hallen! —
Vor dessen Antlitz deine Fahnen wallen,
er will sein Volk in Waffenrüstung sehn.
48
Denn einen großen Altar sollst du bauen
in seiner Freiheit ew'gem Morgenrot;
mit deinem Schwert sollst du die Steine hauen,
der Tempel gründe sich auf Heldentod.
4. Was weint ihr, Mädchen, warum klagt ihr, Weiber,
für die der Herr die Schwerter nicht gestählt,
wenn wir e die jugendlichen Leiber
hinwerfen in die Scharen eurer Räuber,
daß euch des Kampfes kühne Wollust fehlt? —
Ihr könnt ja froh zu Golles Altar ireten!
Für Wunden gab er zarte Sorgsamkeit,
gab euch in euren herzlichen Gebeten
den schönen, reinen Sieg der Frömmigkeit.
5. So betet, daß die alte Kraft erwache,
daß wir dastehn, das alte Volk des Siegs!
Die Märtyrer der heil'gen deutschen Sache,
o ruft sie an als Genien der Rache,
als gute Engel des gerechten Kriegs!
Luise, schwebe segnend um den Gatten!
Geist unsers Ferdinands, voran dem Zug!
Und all ihr deutschen freien Heldenschatten,
mit uns, mit uns und unsrer Fahnen Flug!
6. Der Himmel hilft, die Hölle muß uns weichen!
Drauf, wackres Volk! Drauf! ruft die Freiheit, drauf!
Hoch schlägt dein Herz, hoch wachsen deine Eichen.
Was kümmern dich die Hügel deiner Leichen?
Hoch pflanze da die Freiheltsfahne auf!
Doch stehst du dann, mein Volt, bekränzt vom Glücke,
in deiner Vorzeit heil'gem Siegerglanz —
vergiß die treuen Toten n und schmücke
auch unsre Urne mit dem Fichenkranz!
Ernst Moritz Arndt.
geboren den 26. Dezember 1769 zu Schoritz aut Rũgen — studierte in
Sreifswalde und in 7 Theologie — machte 1797 99 Reissen durei
Schweden, Ungarn ltauen und Frankreich — wurde 1806 protess
Greifswalde — mubte vor Napoleon flũchten — kehrte 1813 u
krãftigte durehn begeisternde Gedlehte und Schriften das Nationalgetfũhl
— urde 1818 Professor in Bon e 1820 seines Amtes entsetat
erhielt erst 1840 die Profesur wiede— zurück und starb 1860 im
91. Lebensjahre zu Bonn. Er war emner der begeistertsten Vaterlands
dichter. Der Gott, der Eisen wachsen lieb⸗ Was ist des Deutschen
Vaterland?“, lLied von Feldmarschall⸗⸗ Deutscher Trost⸗· PDie
Leipziger Schlacut
49
Baterlandslied.
1. Der Gott, der Eisen wachsen ließ, 4. Laßt brausen, was nur brau—
der wollte keine Knechte. sen kann,
Drum gab er Säbel, Schwert und in hellen, lichten Flammen!
Spieß Ihr Deutschen alle, Mann für Mann,
dem Mann in seine Rechte, fürs Vaterland zusammen!
drum gab er ihm den kühnen Mut, Und hebt die Herzen himmelan
den Zorn der freien Rede, und himmelan die Hände,
daß er bestände bis aufs Blut, und rufet alle, Mann für Mann:
bis in den Tod die Fehde. „Die Knechtschaft hat ein Ende!“
2. So wollen wir, was Gott ge—
wollt,
mit rechten Treuen halten
und nimmer im Tyrannensold
die Menschenschädel spalten.
Doch, wer für Tand und Schande ficht,
den hauen wir zu
der soll im ande nicht
mit deutschen Männern erben.
3. O Deutschland, heiluen en
an
O deutsche Lieb' und Treue!
Du hohes Land! Du schönes Land!
Dir wir neue.
Dem Buben und dem Knecht die Acht!
Der fütt're Kräh'n und Raben!
So ziehn wir aus zur Hermanns—
schlacht
und wollen Rache haben.
5. Laßt klingen, was nur klingen
kann,
die Trommeln und die Flöten!
Wir wollen heute, Mann für Mann,
mit Blut das Eisen röten,
mit Henkerblut, Franzosenblut; —
o süßer Tag der Rache!
Das klinget allen Deutschen gut,
das ist die große Sache.
6. Laßt wehen, was nur wehen
kann,
Standarten wehn und Fahnen!
Wir wollen heut uns, Mann für
Mann,
zum Heldentode mahnen.
Auf! fliege, stolzes Siegspanier,
voran den kühnen Reihen!
Wir siegen oder sterben hier
den süßen Tod der Freien.
Adalbert Chamisso.
geboren 1781 auf dem Schlobe Boncourt in der Champagne — mubte
1790 mit seinen Eltern und Geschwistern Frankreich verlassen — kam
nach Berlin und wurde Edelknabe der Gemahlin Friedrich Vilhelms II.
— wurde freiwillig Soldat — ssstudierte von 1812-15 in Berlin Natur-
wissenschaften — machte von 1815—-18 eine Entdeckungsreise um die
Erde mit — wurde nach seiner Rückkehr Kustos der botanischen
Sammlungen in Berlin und starb 1838. Obgleich EFranzose von Geburt,
ist er doch einer der besten deutschen Liederdichter. — „Das Riesen-
spielzeug“, „Die Sonne bringt es an den Tag“, „Die kreuzschau“,
Die alte Waschfrau.
Das Schloß
1. Ich träum als Kind mich zurücke
und schüttle mein greises Haupt.
Wie sucht ihr mich heim, ihr Bilder,
die lang ich vergessen geglaubt?
Deutsche Sprachschule J. Literaturheft.
Boncourts.
2. Hoch ragt aus schattgen Gehegen
ein schimmerndes Schloß hervor.
Ich kenne die Türme, die Zinnen,
die steinerne Brücke, das Tor.
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3. Es schauen vom Wappenschilde
die Löwen so traulich mich an.
Ich grüße die alten Bekannten
und eile den Burghof hinan.
4. Dort liegt die Sphinx am
Brunnen,
dort grünt der Feigenbaum,
dort hinter diesen Fenstern
verträumt' ich den ersten Traum.
5. Ich tret' in die Burgkapelle
und suche des Ahnherrn Grab.
Dort ist's, dort hängt vom Pfeiler
das alte Gewaffen herab.
6. Noch lesen umflort die Augen
die Züge der Inschrift nicht,
wie hell durch die bunten Scheiben
das Licht darüber auch bricht.
7. So stehst du, o Schloß mei—
ner Väter,
mir treu und fest in dem Sinn,
und bist von der Erde verschwunden,
der Pflug geht über dich hin.
8. Sei fruchtbar, o teurer Boden,
ich segne dich mild und gerührt,
und segn' ihn zwiefach, wer immer
den Pflug nun über dich führt.
9. Ich aber will auf mich raffen,
mein Saitenspiel in der Hand,
die Weiten der Erde dr elfen
und singen von Land zu Land.
Friedrich Rũckert,
geboren 1788 zu Schweinfurt — studierte in Vürzburg und Jena die
Sprachen und schöne Literatur — wurde 1811 in Jena Privatdozent —
réiste 1817 nach Rom und Neapel — lebte nach seiner Rückkehr als
Privatgelehrter in Koburg — wuùrde 1826 Professor der orientalischen
Spracnen in Erlangen — nahm 1840 eine Professur an der Universitãt
zu Berlin an — zog sich 1848 auf sein Gut Neuseb bei Koburg zurũck
und starb daselbst i866. Einer unserer gröbten Lyriker und unerreichter
Sprachkünstler. — „Barbarossa“, „Parabel“, „Geharnischte Sonette?,
„Die Weisheit des Brahmanen“.
Abendlied.
1. Ich stand auf Berges Halde, 5. Nun hat die müde Sylphe
als heim die Sonne ging, sich unters Blatt gesetzt,
und sah, wie überm Walde und die Libell am Schilfe
des Abends Goldnetz hing. entschlummert taubenetzt.
2. Des Himmels Wolken tauten 6. Es ward dem goldnen Käfer
der Erde Frieden zu; zur Wieg' ein Rosenblatt;
bei Abendglockenlauten die Herde mit dem Schäfer
ging die Natur zur Ruh. sucht ihre Lagerstatt.
3. Ich sprach: „O Herz, empfinde 7. Die Lerche sucht aus Lüften
der Schöpfung Stille nun ihr feuchtes Nest im Klee,
und schick mit jedem Kinde und in des Waldes Schlüften
der Flur dich auch, zu ruhn. ihr Lager Hirsch und Reh.
4. Die Blumen alle schließen 8. Wer sein ein Hüttchen nennet,
die Augen allgemach, ruht nun darin sich aus;
und alle Wellen fließen und wen die Fremde trennet,
besänftiget im Bach den trägt ein Traum nach Haus
—
51
9. Mich fasset ein Verlangen,
daß ich zu dieser Frist
hinauf nicht kann gelangen,
wo meine Heimat ist.
Der Nmmel.
1. Der Ann ist, in Gottes Hand gehalten,
ein großer Brief auf azurblauem Grunde,
der seine Farben hielt bis diese Stunde
und bis an der Welt Ende sie wird halten.
2. In diesem großen Briefe ist enthalten
en Schrift aus Gottes Munde.
llein die Sonne ist darauf das runde
Glanzsiegel, das den Brief nicht läßt entfalten.
3. Wenn nun die Nacht das Siegel nimmt vom Briefe,
dann liest das Auge drin in tausend Zügen
nichts als nur eine große Hieroglyphe:
4. „Gott ist die Lieb', und Liebe kann nicht lügen!“
Nichts als dies Wort, doch das von solcher Tiefe,
daß niemand es auslegen kann zur G'nügen.
Angereihle Perlen.
1. Die Blumen wollen dir ein Gottgeheimnis sagen,
wie feuchter Erdenstaub kann Himmelsklarheit tragen.
2. In tausend Blumen steht die Liebesschrift geprägt:
„Wie ist die Erde schön, wenn sie den Himmel trägt.“
3. Der Prüfstein trügt dich nie: „Gut ist, was wohl dir tut,
und das ist schlimm, o Herz, wobei dir schlimm zu Mut.“
4. Daß sie die Perle trägt, das macht die Muschel krank,
dem Himmel sag für Schmerz, der dich veredelt, Dank.
5. Wenn es dir übel geht, nimm es für gut nur immer;
wenn du es übel nimmst, so geht es dir noch schlimmer.
6. Und wenn der Freund dich kränkt, verzeih's ihm und versteh,
es ist ihm selbst nicht wohl, sonst tät er dir nicht weh.
7. Und kränkt die Liebe dich, sel's dir zur Lieb' ein Sporn;
daß du die Rose hast, das merkst du erst am Dorn.
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Ludwig Uhland,
geboren 1787 zu Tübingen — studierte daselbst die Rechtswissen-
schaften — reissste 1811 nach Paris und verwendete die meiste Zeit auf
das Studium der mittelalterlichen Volkspoesie — lieb sich 1815 in
Stuttgart als Advokat nieder — wurde 1830 in Tübingen Professor der
deutschen Sprache und Literatur — legte spãter dieses Amt nieder und
zog sich ins Privatleben zurück. — Er starb 1862 in seimner Vater-
stadt. Er ist vorzüuglich Lieder- und Balladendichter. — Lieder: „Der
gute Kamerad“, „Der weibe Hirschs, „Die Einkehr“, „Die kapelle“,
Abendlied“, „Lied eines Armen“, „Des Knaben Berglied“. Balladen;
Das Glũck voõn Edenhall“, „Roland Schildtrãger“, „Der blinde König?.
Drama: „Herzog Ernst“.
Schãfers Sonnlagslied.
1. Das ist der Tag des Herrni 2. Anbetend knie ich hier.
Ich bin allein auf weiter Flur, O süßes Graun! geheimes Wehn!
noch eine Morgenglocke nur; als knieten viele ungesehn
nun Stille nah und fern. und beteten mit mir.
3. Der Himmel, nah und fern,
er ist so klar und feierlich,
so ganz, als wollt er öffnen sich.
Das ist der Tag des Herrn!
Frũhlingsglaube.
Die linden Lüfte sind erwacht, 2. Die Welt wird schöner mit
sie säuseln und weben Tag und jedem Tag,
Nacht, man weiß nicht, was noch werden
sie e an allen Enden. mag,
O frischer Duft, o neuer Klang! das Blühen will nicht enden.
Nun, aͤrmes Herze, sei nicht bhang! Es blüht das fernste, tiefste Tal!
Nun muß sich alles, alles wenden. Nun, armes Herz, vergiß der Quall
Nun muß sich alles, alles wenden.
Des Sängers FZluch.
1. Es stand in alten Zeiten ein Schloß so hoch und hehr,
weit glänzt es über die Sande bis an das blaue Meer,
und rings von duft'gen Gärten ein blütenreicher Kranz,
drin sprangen frische Brunnen im Regenbogenglanz.
2. Dort saß ein stolzer König, an Land und Siegen reich,
er saß auf seinem Throne so finster und so bleich;
denn was er sinnt, ist Schrecken, und was er blickt, ist Wut,
und was er spricht, ist Geißel, und was er schreibt, ist Blut.
3. Einst zog nach diesem Schlosse ein edles Sängerpaar,
der ein' in goldnen Locken, der andre grau von Haar;
der Alte mit der Harfe, der saß auf schmuckem Roß,
es schritt ihm frisch zur Seite der blühende Genoß.
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4. Der Alte sprach zum Jungen: „Nun sei bereit, mein Sohn!
Denk unsrer tiefsten Lieder, stimm an den vollsten Ton!
Nimm alle Kraft zusammen, die Lust und auch den Schmerz!
Es gilt uns, heut zu rühren des Königs steinern Herz.“
5. Schon stehn die beiden Sänger im hohen Säulensaal,
und auf dem Throne sitzen der König und Gemahl;
der König, furchtbar prächtig, wie ordlichtschein,
die Königin, süß und milde, als blickte Vollmond drein.
6. Da schlug der Greis die Saiten, er schlug sie wundervoll,
daß reicher, immer reicher der Klang zum Ohre schwoll;
dann strömte himmlisch helle des Jünglings Stimme vor,
des Alten Sang dazwischen wie dumpfer Geisterchor.
7. Sie singen von Lenz und Liebe, von sel'ger goldner Zeit,
von Freiheit, Männerwürde, von Treu und Heiligkeit;
sie singen von allem Süßen, was Menschenbrust durchbebt,
sie singen von allem Hohen, was Menschenherz erhebt.
8. Die Höflingsschar im Kreise verlernet jeden Spott,
des Königs trotz'ge Krieger, sie beugen sich vor Gott;
die Königin, zerflossen in Wehmut und in Lust,
sie wirft den Sängern nieder die Rose von ihrer Brust.
9. „Ihr habt mein Volk verführet, verlockt ihr nun mein Weib?“
Der König schreit es wütend, er bebt am ganzen Leib;
er wirft sein Schwert, das blitzend des Juünglings Brust durchdringt,
draus, statt der goldnen Lieder, ein Blutstrahl hochauf springt.
10. Und wie vom Sturm zerstoben ist all der Hörer Schwarm,
der Jüngling hat verröchelt in seines Meisters Arm.
Der schlägt um ihn den Mantel und setzt ihn auf sein Roß,
er bind't ihn aufrecht feste, verläßt mit ihm das Schloß.
11. Doch vor dem hohen Tore, da hält der Sängergreis,
da faßt er seine Harfe, sie, aller Harfen Preis.
An einer Marmorsäule, da hat er sie zerschellt;
dann ruft er, daß es schaurig durch Schloß und Gärten gellt:
12. „Weh euch, ihr stolzen Hallen! Nie töne süßer Klang
durch eure Räume wieder, nie Saite, noch Gesangl
Nein, Seufzer nur und Stöhnen und scheuer Sklavenschritt,
bis euch zu Schutt und Moder der Rachegeist zertritt.
13. Weh euch, ihr duft'gen Gärten im holden Maienlicht!
Euch zeig' ich dieses Toten entstelltes Angesicht,
daß ihr darob verdorxret, daß jeder Quell versiegt,
daß ihr in künft'gen Tagen versteint., verödet liegt.
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14. Weh dir, verruchter Mörder, du Fluch des Sängertumsl!
Umsonst sei all dein Ringen nach Kränzen blut'gen Ruhmsl
Dein Name sei vergessen, in ew'ge Nacht getaucht,
sei wie ein letztes Röcheln in leere Luft gehaucht!“ —
15. Der Alte hats gerufen, der Himmel hat's gehört,
die Mauern liegen nieder, die Hallen sind zerstört;
noch eine hohe Säule zeugt von verschwundner Pracht,
auch diese, schon geborsten, kann stürzen über Nacht.
16. Und rings statt duft'ger Gärten ein ödes Heideland,
kein Baum verstreuet Schatten, kein Quell durchdringt den Sand.
Des Königs Namen meldet kein Lied, kein Heldenbuch:
Versunken und vergessen! Das ist des Sängers Fluch.
Gustav Schwab,
geboren 1792 in Stuttgart — studierte in Tübingen — wurde Professor
am Gymnasium in seiner Vaterstadt — nahm spãter eine Pfarrstelle
an und starb 1850 als Oberstudienrat in Stuttgart. Er steht Uhland am
nächsten in der Ballade. —, Das Gewitter“, „Der Reiter und der Boden
see“, „Johannes Kant“.
— — — e eQÔ— F AÆALL
Heinrich Heine.
geboren 1799 zu Dũsseldorf von jũdischen Eltern — war drei Jahre in
Hamburg, um sich dem Kaufmannsstande zu widmen — studierte dann
noch in Bonn, Göttingen und Berlin — trat 1825 zum Christentume
über — lebte abwechselnd in Berlin, München und Hamburg und vor
18331 an dauernd in Paris, wo er 1856 starb. Sehr hervorragend istee
als Lyriker. — „Belsazar, „Lorelei“, „Leise zieht durch mejn Gemun.
Du bist wie eine Blume.
Du bist wie eine Blume
so schön, so hold und rein:
Ich schau dich an und Wemut
schleicht mir ins Herz hinein.
Mir ist's, als ob ich die Hände
aufs Haupt dir legen sollt,
betend, daß Gott dich erhalte
so rein und schön und hold.
August von Platen,
geboren 1796 in Ansbach — besuchte die Kadettenschule zu München
— nahm 1815 am letzten Feldzuge gegen Napoleon teil studierte
alsdann in Würzburg und Erlangen — machte Rèisen durch die Schwei—
und dureh ltalien — hielt sich von 1826 an dauernd in ltalien auf und
starb 1835 zu Syrakus. Er gehört zu den besten nationalen Dichtern
und ist besonders Meister in der Form. — ‚Das Grab im Busento“
1
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Der Pilgrim vor St. Just.
1. Nacht ist's, und Stürme sausen für und für.
Hispan'sche Mönche, schließt mir auf die Tür!
2. Laßt hier mich ruhn, bis Glockenton mich weckt,
der zum Gebet euch in die Kirche schreckt!
3. Bereitet mir, was euer Haus vermag,
ein Ordenskleid und einen Sarkophag!
4. Gönnt mir die kleine Zelle, weiht mich ein, —
mehr als die Hälfte dieser Welt war mein.
b. Das Haupt, das nun der Schere sich bequemt,
mit mancher Krone ward's bediademt.
6. Die Schulter, die der Kutte nun sich bückt,
hat kaiserlicher Hermelin geschmückt.
7. Nun bin ich vor dem Tod den Toten gleich
und fall' in Trümmer — wie das alte Reich.
Nikolaus Lenau
(Nikolaus Niembsch Edler von Strehlenau), geboren 1802 in einem
ungarischen Dorfe unweit Temesvar — studierte 10 Jahre lang in
Prebburg und Wien Philosophie, die Rechte und Medizin — ging nach
Amerika, kam aber schon nach einem Jahre wieder zurück — lebte
abwechselnd in Wien, Stuttgart und an à. O. — ward 1844 wahnsinnig
und starb 1850 im Irrenhause. Er gehõrt zu den vorzüglichsten Lyrikern.
— „Die Zigeuner“, „Die Verbung“, „Die Heideschenke“.
Der Postillon.
1. Lieblich war die Maiennacht,
Silberwölklein flogen,
ob der holden Frühlingspracht
freudig hingezogen.
4. Heimlich nur das
Bächlein
schlich,
denn der Blüten Träume
dufteten gar wonniglich
durch die stillen Räume.
2. Schlummernd lagen Wies und
Hain,
jeder Pfad verlassen;
niemand als der Mondenschein
wachte auf der Straßen.
5. Rauher war mein Postillon,
ließ die Geißel knallen,
über Berg und Tal davon
frisch sein Horn erschallen.
3. Leise nur das Lüftchen sprach,
und es zog gelinder
durch das stille Schlafgemach
all der Frühlingskinder.
6. Und von flinken Rossen vier
scholl der Hufe Schlagen,
die durchs blühende Revier
trabten mit Behagen.
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7. Wald und Flur im schnellen Zug
kaum gegrüßt — gemieden,
und vorbei wie Traumesflug
schwand der Dörfer Frieden.
8. Mitten in dem Maienglück
lag ein Kirchhof innen,
der den raschen Wanderblick
hielt zu ernstem Sinnen.
9. Hingelehnt an Bergesrand
war die bleiche Mauer,
und das Kreuzbild Gottes stand
hoch, in stummer Trauer.
10. Schwager ritt auf seiner Bahn
stiller jetzt und trüber,
und die Rosse hielt er an,
sah zum Kreuz hinüber:
11. „Halten muß hier Roß und
Rad,
mag's Euch nicht gefährden;
drüben liegt mein Kamerad
in der kühlen Erden!
12. Ein gar herzlieber Geselll
Herr, 's ist ewig schade!
Keiner blies das Horn so hell
wie mein Kamerade!
13. Hier ich immer halten muß,
dem dort unterm Rasen
zum getreuen Brudergruß
sein Leiblied zu blasen!“
14. Und dem Kirchhof sandt' er zu
frohe Wandersänge,
daß es in die Grabesruh
seinem Bruder dränge.
15. Und des Hornes heller Ton
klang vom Berge wieder,
ob der tote Postillon
stimmt' in seine Lieder.
16. Weiter ging's durch de und
ag
mit verhängtem Zügel;
lang mir noch im Ohre lag
jener Klang vom Hügel.
Julius Nosen.
geboren 1803 in einem Dorfe des sãchsischen Vogtlandes — studierte
die Rechte in Jena und Leipzig — wurde Advott in Dresden ging
As Dramaturg ans Hoftheater zu Oldenburg und starb hier 67 naen
langiãhrigem Leiden. Er zeichnete sich als Lyriker und Dramatiker aus. —
„Der Trompeter an der Katzbach“, Die letzien Zebn vom nener
Regiment?.
Andreas Hoser.
1. Zu Mantua in Banden 3. Doch als aus Kerkergittern
der treue Hofer war, im festen Mantua
in Mantud zum Tode die treuen Waffenbrüder
führt ihn der Feinde Schar. die Händ' er strecken sah,
Es blutete der Brüder Herz, da rief er aus: „Gott sei mit euch,
ganz Deutschland, ach, in Schmach mit dem verratnen deutschen Reich
und Schmerz! und mit dem Land Tiroll!“
mit ihm das Land Tirol!
2
2. Die Hände auf dem Rücken,
Andreas Hofer ging
mit ruhig festen Schritten,
ihm schien der Tod gering,
der Tod, den er so manchesmal
vom Verg geschickt ins Tal
im heillgen Land Tirol.
4. Dem Tambour will der Wirbel
nicht unterm Schlägel vor,
als nun Andreas Hofer
schritt durch das finstre Tor.
Der Sandwirt, noch in dtn
dort stand er fest auf der Bastei,
der Mann vom Land Tirol.
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5. Dort soll er niederknieen.
Er sprach: „Das tu' ich nit!
Will sterben, wie ich stehe,
will sterben, wie i stritt,
so wie ich steh' auf dieser Schanz'.
Es leb' mein guter Kaiser Fraͤnz,
mit ihm sein i Tirol!“
6. Und von der Hand die Binde
nimmt ihm der Korporal;
Andreas Hofer betet
allhier zum letzten Mal. [recht!
Dann ruft er: „Nun, so trefft mich
Gebt Feuer! Ach, wie schießt ihr
Ade, mein Land Tirol!“ sschlecht!
Ferdinand Freiligrath,
geboren 1810 zu Detmold — ward Kaufmann — widmete sich 1839
ganz der Dichtkunst — erhielt vom Könige von Preuben einen Jahres-
gehalt, den er aber später ablehnte, um unabhängig zu bleiben — lebte
von 1844 - 48 als Flũchtling in Belgien, in der Schweiz und in London
— kehrte nach Deutschland zurück — floh 1851 abermals nach London
xkam 1868 wieder nach Deutschland und starb 1876 in Kannstatt.
Er leisstete Vortreffliches in der beschreibenden und malenden Poesie. —
„Die Auswanderer“, „Die Dromn von Vionville“, „Hurra, Germanial“
„Löwenritt“.
O lieb, solang du lieben kannst.
1. O lieb, solang du lieben kannst!
O lieb, solang du lieben magst!
Die Stunde kommt, die Stunde kommt,
wo du an Gräbern stehst und klagst.
2. Und sorge, daß dein Herze glüht
und Liebe hegt und Liebe trägt,
solang ihm noch ein ander Herz
in Liebe warm entgegenschlägt!
3. Und wer dir seine Brust erschließt,
o tu ihm, was du kannst, zu lieb!
und mach jede Stunde froh,
und mach ihm keine Stunde trüb!
4. Und hüte deine Zunge wohl,
bald ist ein böses Wort gesagt! —
O Gott, es war nicht bös gemeint,
der andre aber geht und klagt.
5. O lieb, solang du lieben kannst!
O lieb, solang du lieben magst!
Die Stunde kommt, die Stunde kommt,
wo du an Gräbern stehst und klagst.
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6. Dann kniest du nieder an der Gruft
und birgst die Augen, trüb und naß,
— sie sehn den andern nimmermehr —
ins lange, feuchte Kirchhofsgras.
7. Und sprichst: „O schau auf mich herab,
der hier an deinem Grabe weint!
Vergib, daß ich gekränkt dich hab'!
O Gott, es war nicht bös gemeint!“
8. Er aber sieht und hört dich nicht,
kommt nicht, daß du ihn froh umfängst.
Der Mund, der oft dich küßte, spricht
nie wieder: „Ich vergab dir längst!“
9. Er tat's, vergab dir lange schon,
doch manche heiße Träne siel
um dich und um dein herbes Wort, —
doch — still, er ruht, er ist am Ziel!
10. O lieb, solang du lieben kannst!
O lieb, solang du lieben magst!
Die Stunde kommt, die Stunde kommt,
wo du an Gräbern stehst und klagst.
Die Auswanderer.
1. Ich kann den Blick nicht von euch wenden,
ich muß euch anschau'n immerdar.
Wie reicht ihr mit geschäft'gen Händen
dem Schiffer eure Habe dar!
2. Ihr Männer, die ihr von dem Nacken
die Körbe langt, mit Brot beschwert,
das ihr aus deutschem Korn gebacken,
geröstet habt auf deutschem Herd!
3. Und ihr, im Schmuck der langen Zöpfe,
ihr Schwarzwaldmädchen braun und schlank,
wie sorgsam stellt ihr Krüg und Töpfe
auf der Schaluppe grüne Bank!
4. Das sind dieselben Töpf und Krüge,
oft an der Heimat Born gefüllt!
Wenn am Missouri alles schwiege,
sie malten euch der Heimat Bild:
5. Des Dorfes steingefaßte Quelle,
zu der ihr schöpfend euch gebückt,
des Herdes traute Feuerstelle,
das Wandgesims, das sie geschmückt.
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h
—
6. Bald zieren sie im fernen Westen
des leichten Bretterhauses Wand;
bald reicht sie müden braunen Gästen
voll frischen Trunkes eure Hand.
7. Es trintt daraus der Tscherokese,
ermattet, von der Jagd bestaubt;
nicht mehr von deutscher Rebenlese
tragt ihr sie heim mit Grün belaubt.
8. O sprecht, warum zogt ihr von dannen?
Das Neckartai hat Wein und Korn,
der Schwarzwald steht voll finstrer Tannen,
im Spessart klingt des Aplers Horn.
9. Wie wird es in den fremden Wäldern
euch nach der Heimatberge Grün,
nach Deutschlands gelben Weizenfeldern,
nach seinen Rebenhügeln ziehn!
10. Wie wird das Bild der alten Tage
durch eure Träume glänzend wehn!
Gleich einer stillen, Sage
wird es euch vor der Seele stehn.
11. Der Bootsmann winkt! — Zieht hin in Frieden!
Golt schützd' euch, Mann und Weib und Greis!
Sei Freude eurer Brust beschieden
ind euren Feldern Reis und Mais!
Emanuel Geibel.
geboren 1815 zu Lübeck — studierte zu Bonn und Berlin — ging auf
enrere jJjahre als Hauslehrer nach Athen — lebte nach seiner Rück-
curt in verschiedenen Stãdten — wurde 1852 Professor in München —
entsagte 1868 freiwillig dieser Stellung und zog nach Lübeck, wo er
I881 Slarb. Er gehõört zu den besten Lyrikern und ist besonders
Meister im Liede. — „Der Mai ist gekommen“, „Ostermorgen“, Der
Zigeunerbube im Norden“.
Hoffnung.
1. Und dräut der Winter noch so sehr
mit trotzigen Geberden,
und streut er Eis und Schnee umher,
es muß doch Frühling werden.
2. Und drängen die Nebel noch so dicht
sich vor den Blick der Sonne,
sie wecket doch mit ihrem Licht,
einmal die Welt zur Wonne.
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3. Blast nur ihr Stürme, blast mit Macht,
mir soll darob nicht bangen,
auf leisen Sohlen über Nacht
kommt doch der Lenz gegangen.
4. Da wacht die Erde grünend auf,
weiß nicht, wie ihr geschehen,
und lacht in den sonnigen Himmel hinauf
und möchte vor Lust vergehen.
5. Sie flicht sich blühende Kränze ins Haar
und schmückt sich mit Rosen und Ähren
und läßt die Brünnlein rieseln klar,
als wären es Freudenzähren.
6. Drum still, und wie es frieren mag,
o Herz, gib dich zufrieden;
es ist ein großer Maientag
der ganzen Welt beschieden.
7. Und wenn dir oft auch bangt und graut,
als sei die Höll' auf Erden,
nur unverzagt auf Gott vertraut!
Es muß doch Frühling werden. —
Am drilten Sepltember 1870.
1. Nun laßt die Glocken
von Turm zu Turm
durchs Land frohlocken
im Jubelsturm!
Des Flammenstoßes
Geleucht facht an!
Der Herr hat Großes
an uns getan!
Ehre sei Gott in der Höhe!
Die Banner flogen,
und über ihm
in Wolken zogen
die Cherubim.
Ehre sei Gott in der Höhe!
4. Drei Tage brüllte
die Völkerschlacht,
ihr Blutrauch hüllte
die Sonn' in Nacht.
drei Tage rauschte
der Würfel Fall,
und bangend lauschte
der Erdenball.
Furchtbar dräuete der Erbfeind.
5. Da hub die Wage
des Weltgerichts
am dritten Tage
der Herr des Lichts
und warf den Drachen
vom güldnen Stuhl
mit Donnerkrachen
hinab zum Pfuhl.
Ehre sei Gott in der Höhe!
2. Es zog von Westen
der Unhold aus,
sein Reich zu festen
in Sturm und Graus.
Mit allen Mächten
der Höll' im Bund
die Welt zu knechten,
das schwur sein Mund.
Furchtbar dräuete der Erbfeind.
3. Vom Rhein gefahren
kam fromm und stark
mit Deutschlands Scharen
der Held der Mark.
6. Nun bebt vor Gottes
und Deutschlands Schwert
die Stadt des Spottes,
der Blutschuld Herd.
Ihr Blendwerk lodert
wie bald! zu Staub,
und heimgefodert
wird all ihr Raub.
Nimmermehr dräut uns der Erbfeind.
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1.
7. Drum laßt die Glocken
von Turm zu Turm
durchs Land frohlocken
im Jubelsturm!
Des Flammenstoßes
Geleucht facht an!
Der Herr hat Großes
an uns getan.
Ehre sei Gott in der Höhe!
Robert Reinick.,
len 1803 zu Danzig — bildete sich in Berlin und Düsseldorf zum
aler aus — lebte 3 dh in Rom — wohnte seit 1844 in Dresden
und starb 1852. Er ist ein beliebter Lyriker. — „Versuchung“,
„Deutscher Rat“, „Sonntags am Rhein“.
Sonntagsfrũhe.
1. Aus den Tälern hör' ich schallen
Glockentöne, Festgesänge,
helle Sonnenblicke fallen
durch die dunklen Buchengänge.
immel ist von Glanz umflossen,
eil'ger Friede rings ergossen.
2. Durch die Felder still beglücket
wallen Menschen allerwegen,
frohen Kindern gleich geschmücket,
gehn dem Vater sie entgegen,
der auf goldner Saaten Wogen
segnend kommt durchs Land gezogen.
3. Wie so still die Bäche gleiten,
wie so hell die Blumen blinken!
Und aus fernen lichten Zeiten
weht ein Grüßen her, ein Winken.
Ist's entschwundner Kindheit Mahnung?
Ist es schönrer Zukunft Ahnung?
Philipp Spitta,
geboren 1801 in Hannover — studierte in Göttingen Theologie — wurde
Prediger in Hameln und starb 1859 als Superintendent in Burgdorf bei
Celle. Er gehört zu den bedeutendsten geistlichen Liederdichtern. Am
bekanntesten ist seine Gedichtsammlung „Psalter und Harfe“.
1
32
Geduld.
1. Es zieht ein stiller Engel
durch Erdenland;
zum Trost für Erdenmängel
hat ihn der Herr
In seinem Blick ist Frieden
und milde, sanfte Huld;
o folg ihm stets hinieden,
dem Engel der Geduld!
2. Er fubrt dich immer treulich
durch alles Erdenleid
und redet erfreulich
von einer schönern Zeit.
Denn willst du anz nerzagen,
hat er doch guten Mut;
er hilft das Kreuz dir tragen
und macht noch alles gut.
3. Er n zu linder Wehmut
den herbsten Seelenschmerz
und taucht in stille Demut
das ungestüme Herz.
Er macht die finstre Stunde
allmählich wieder hell;
er heilet jede Wunde
gewiß, wenn auch nicht schnell.
4. Er zürnt nicht deinen Tränen,
wenn er dich trösten will;
er tadelt nicht dein Sehnen,
nur macht er's fromm und still.
Und wenn iu Sturmestoben
du murrend fragst, warum?
so deutet er nach oben,
mild lächelnd, aber stumm.
5. Er hat für jede Frage
nicht Antwort gleich bereit;
sein Wahlspruch heißt: „Ertrage —
die Ruhstatt ist nicht weit!“
So geht er dir zur Seite —
und redet gar nicht viel —
und deukt nur in die Weite
ans schöne, große Ziel.
Hoffmann von Fallersleben.
geboren 1798 zu Fallersleben in Hannover — studierte in Göttingen
und Bonn — machte Reisen durch Belgien und Holland — wurde
Professor in Breslau. Wegen seiner politischen Gedichte aus dem
Amte entlassen, folgte er einem Rufe als Bibliothekar nachn Weimar —
bekleidete spãter eine gleiche Stelle beim Herzog von Ratibor auf
Schlob Corvey, wo er 1874 sstarb. Er ist hervorragend als Vaterlands
und kinderlieéderdichter. Der Mond und die Steèrne“, „Deutschland,
Deutschland ũüber alles“.
Abschied.
1. Morgen müssen wir verreisen,
und es muß geschieden sein.
Traurig ziehn wir unsre Straßen:
Lebet wohl, gedenket mein!
2. Kommen wir zu jenem Berge,
schauen wir zurück ins Tal,
schaun uns um nach allen Seiten,
sehn die Stadt zum letzten Mal.
3. Wann der Winter ist vorüber
und der Frühling zieht ins Feld,
will ich werden wie ein Vöglein,
fliegen durch die ganze Welt.
4. Dahin fliegen will ich wieder,
wo's mir lieb und heimisch war.
Freudig, muß ich jetzt auch wandern,
kehr' ich heim doch übers Jahr.
83
—
Karl Gerok,
geboren 1815 in einem württembergischen Städtehen an der Enz — be-
guehte das Gymnasium zu Stuttgart — studierte in Tübingen Theologie —
wurde als Geistlicher in Stuttgart angestellt — starb daselbst 1890 als
Oberhofprediger und Oberkonsistorialrat. Gerok war namhafter Kanzel-
redner und Dichter religiösser und patriotischer Lieder. — „Palmblãtter
und Pfingstrosen“, „Die Rosse von „Zwei Berge Schwabens“,
„Das Gewitter“, „Der Jordan“.
Der Sturm im Meer.
1. Es braust der See Tiberias,
es schwankt das leichte Boot,
die Jünger kämpfen schreckenblaß
mit schwerer Sturmesnot,
er aber schläft mit Frieden,
als wie im sichern Haus,
in seligem Ermüden
vom heißen Tagwerk aus.
2. Er schläft, umrollt vom Don⸗
nerhall,
vom Wetterschein umblitzt,
er schläft, gewiegt vom Wogenschwall,
von Gischt und Schaum umspritzt,
er schläft, die Wellen decken
das schwache Schifflein schier,
da kreisch's in jähem Schrecken:
„Herr, hilf, sonst sinken wir!“
3. „Kleingläubige, was zagt ihr
doch?“
Sieh dal vom Sturm umwallt,
ersteht im Schifflein still und hoch
die herrliche Gestalt,
reckt in die Wetternächte,
reckt in das Sturmgebrüll
die königliche Rechte,
und Wind und Meer wird still.
4. Und ob der See noch leise
schäumt
und tief im Grunde kocht,
die Elemente sind gezäumt,
der Abgrund unterjocht.
Der Doͤnner kennt die Stimme,
davor die Welt erbleicht,
daß er in dumpfem Grimme
sich ins Gebirge schleicht.
5. Mit blankem Segel, wie ein
Schwan,
en schwebt das Boot
ahin auf spiegelheller Bahn
im milden Abendrot.
Die Menschen aber
„Was ist das für ein Mann,
bor dem die Stürme zagen?“
und beten Jesum an.
6. Ja, bet ihn an, und wenn
dein Schiff
auf wilden Wogen schwebt,
und wenn vor Klipp und Felsenriff
dein schwaches Herze bebt,
und wenn im Sturm und Wetter
auf Menschen kein Verlaß,
dann, Seele, ruf den Retter
vom See Tiberias!
7. Und schweigt er dir und schläft
er noch,
halt an und ruf mit Macht,
zur rechten Stunde hört er doch,
ist nie zu spät erwacht,
reckt in die Wetternächte,
reckt in das Sturmgebrüll
die königliche e —
und Wind und Meer wird still.
8. Und wenn durchs Herz das
wilde Heer
der Leidenschaften stürmt,
die Seele wie ein zornig Meer
sich hoch in Wogen türmt,
dann weck vom Schlummerkissen
im Herzensgrunde tief,
im innersten Gewissen
den Meister, der da schlief.
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8. Ersteht im Herzen still und
mild
die himmlische Gestalt,
dann legt vor seinem Friedensbild
sich Sturm und Unruh bald;
dann schwebt auf ebnem Pfade
dein gottgelass'ner Sinn
im Friedenshauch der Gnade
sanft ob dem Abgrund hin.
10. Herr Jesu, bleibst du nur
an Bord
mein göttlicher Pilot, pln fort,
dann schwinimt mein Schifflein fröh
dann fürcht' ich keine Not.
In deinem Gottesschirme
land' ich auf ebner Bahn
durch ene und Stürme
im Port des Friedens an.
Julius Sturm,.
geboren 1816 zu Köstritz im Fürstentum Reub — studierte in Jena
Theologie — vwurde Erzieher eines reubissenen Prin-en ind spãter
Pfarrer in Köstritz, wo er 18906 starb. Er dichiete viels- religiõse und
patriotische Lieder.
1. Wenn deine Lieben von dir
gehn,
blick auf in deinen Tränen!
Gott will, du sollst gen ee
ehn
WBenn deine Lieben von dir gehn.
3. Ein Pilger gehst du durch
die Welt,
die Heimat aufzufinden.
Bricht ab der Tod dein Wander—
zelt,
wird all dein Kummer schwinden.
und dich nach oben sehnen.
2. Und schied er durch des To—
des Hand
dich von den Lieben allen,
so wirst du nach dem Vaterland
nur um so leichter wallen.
4. Die letzten Tränen sind ge—
weint,
nichts kann dich mehr betrüben,
du bist auf Ewigkeit vereint
mit allen deinen Lieben.
Eduard Mörike,
geboren 1804 in Ludwigsburg in Württemberg — studierte Theologie
— wurde 1834 Pfarrer in Kleversulzbach und 1851 Lehrer der Lieratur
geschichte am Katharinenstift in Stuttgart. — Er Slarb dagelbet 1833
Sebet.
Herr! schicke, was du willt,
ein Liebes oder Leides;
ich bin vergnügt, daß beides
aus deinen Händen quillt.
Wollest mit Freuden
und wollest mit Leiden
mich nicht überschütten!
Doch in der Mitten
liegt holdes Bescheiden.
65
Priedrich Hebbel,
geboren 1813 als Sohn eines Maurers in Wesselburen — studierte
nach einer entbehrungsreichen Jugend in Heidelberg und München
lieb sich spater in Wien nieder und starb ãäort 1863.
Das alle Naus.
1. Der Maurer schreitet frisch heraus,
er soll dich niederbrechen;
da ist es mir, du altes Haus,
als hörte ich dich sprechen:
„Wie magst du mich, das lange Jahr'
der Lieb und Eintracht Tempel waͤr,
wie magst du mich zerstören?
2. Dein Ahnherrhat mich einst erbaut
und unter frommem Beten
mit seiner schönen, stillen Braut
mich dann zuerst betreten.
Ich weiß um alles wohl Bescheid,
um jede Lust, um jedes Leid,
was ihnen widerfahren.
3. Dein Vater ward geboren hier
in der gebräunten Stube,
die ersten Blicke gab er mir,
der muntre, kräftge Bube.
Er schaute auf die Engelein,
die gaukeln in der Fenster Schein,
dann erst auf seine Mutter.
4. Und als er traurig schlich am Stab
nach manchen schönen Jahren,
da hat er schon, wie still ein Grab,
in meinem Schoß erfahren;
in jener Ecke saß er da,
und stumm und händefaltend sah
er sehnlich auf zum Himmel.
b. Du selbst — doch nein, das sag'
ich nicht,
ich will von dir nicht sprechen;
hat dieses alles kein Gewicht,
so laß nur immer brechen.
Das Glück zog mit dem Ahnherrn ein,
zerstöre du den Tempel sein,
damit es endlich weiche.
Deutsche Sprachschule J. Literaturheft.
6. Noch lange Jahre kann ich stehn,
bin fest genug gegründet;
und ob sich mit der Stürme Wehn
ein Wolkenbruch verbündet,
kühn rag' ich wie ein Fels empor,
und was ich auch an Schmuck verlor,
gewann ich's nicht an Würde?
7. Und hab' ich denn nicht manchen
Saal
und manch geräumig Zimmer?
Und glänzt nicht mein Portal
in alter Pracht noch immer?
Noch hat's in mir behagt,
kein Glücklicher hat sich beklagt,
ich sei zu klein gewesen.
8. Und wenn es einst zum letzten geht,
und wenn das warme Leben
in deinen Adern stille steht,
wird dies dich nicht erheben,
dort, wo dein Vater sterbend lag,
wo deiner Mutter Auge brach,
den letzten Kampf zu streiten?“
9. Nun schweigt es still, das alte Haus,
mir aber ist's, als schritten
die toten Väter all heraus,
um für ihr Haus zu bitten,
und auch in meiner eignen Brust,
wie ruft so manche Kinderlust:
Laß stehn das Haus, laß stehen!
10. Indessen ist der Mauermann
schon ins Gebälk gestiegen,
er fängt mit Macht zu brechen an,
und Stein und Ziegel fliegen.
Still, lieber Meister, geh von hier,
gern zahle ich den Taglohn dir,
allein das Haus bleibt stehen.
5
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Theodor Storm,
rn 1817 in Husum, studierte in Kiel und Berlin — mubte infolge seiner
eteiligung an der deutschen Bewegung 1853 die Heimat verlassen —
Var ene Zeilang Kreisrichter in Heiligenstadt, kehrte aber 1864 in
Jehe Valensadi Tusum zurũck. Er starb in Hademarschen bei Husum 1888.
Abseils
1. Es ist so still. Die Heide liegt
im warmen Mittagssonnenstrahle.
Ein rosenroter Schimmer fliegt
um ihre alten Gräbermale.
Die Kräuter blühn. Der Heideduft
steigt in die blaue Sommerluft.
3. Ein halbverfallen Schindelhaus
steht einsam hier und sonnbeschienen.
Der Kätner lehnt zur Tür hinaus,
behaglich blinzelnd nach den Bienen.
Sein Junge auf dem Stein davor
schnitzt Pfeifen sich aus Kälberrohr.
2. Laufkäfer hasten durchs Ge—
sträuch
in ihren goldnen Panzerröckchen.
Die Bienen hängen Zweig um Zweig
sich an der Edelheide Glöckchen.
Die Vögel schwirren aus dem
Kraut.
Die Luft ist voller Lerchenlaut.
4. Kaum zittert durch die Mit—
tagsruh
ein Schlag der Dorfuhr, der ent—
fernten.
Dem Alten fällt die Wimper zu,
er träumt von seinen Honigernten.
Kein Klang der aufgeregten Zeit
drang noch in diese Einsamkeit.
Die Verrgosftskinder.
Von oben sieht der Herr darein;
ihr dürft indes der Ruhe pflegen;
er gibt der Arbeit das Gedeihn
und träuft herab den Himmelssegen.
Und wenn dann in Blüte die Saaten stehn,
so läßt er die Lüftlein darüber gehn.
auf daß sich die Halme zusammenbeugen
und frisch aus der Blüte das Korn erzeugen,
und hält am Himmel hoch die Sonne,
daß alles reife in ihrer Wonne.
Da stünd' es den Bauern wohl prächtig an,
das alles in ihre Scheuern zu laden!
Gott Vater haͤt auch seinen Teil daran,
den will er vergeben nach seinen Gnaden.
Da ruft er die jüngsten Kinder sein,
die nährt er selbst aus seiner Hand,
die Rehlein, die Häslein, die Würmlein klein
und alles Getier in Luft und Land;
das flattert herbei und keucht und springt,
ist fröhlich all zu Gottes Ehr
und all genügsam, was er bringt.
Des freut sich der Herrgott mächtig sehr,
er breitet weit die Arme aus
und spricht in Liebe überaus:
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All, was da lebet, soll sich freun,
seld alle von den Kindern mein;
und will euch drum doch nicht vergessen,
daß ihr nichts könnt als springen und fressen,
hat jedes seinen eignen Ton!
Ihr sollt euch tummeln frisch im Grünen;
doch mündig ist der Mensch, mein Sohn;
drum mag er selbst sein Brot verdienen!“
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Friedrich Bodenstedt,
geboren 1819 zu Peine — war anfangs Kaufmannslehrling in Braun-
sehweig — studierte spãter in Göttingen — wurde Professor in Mün-
chen, dann Theaterdireèktor in Meiningen und starb 1892 in Wiesbaden.
Im Frũhlinge.
1. Nun keimt und blüht es aller— 2. Dort sinnend wandelt eine Frau,
wärts, schon furcht sich alternd ihr Gesicht;
die Drossel singt im Waldesgrün. das schwarze Haar wird silber—
Mir ist, als fühlt' ich auch mein grau —
Herz sie denkt der Jugendzeit und spricht:
neu mit des Lenzes Blumen blühn. Die Vöglein wieder
Die ganze Welt erneut sich, die alten Frühlingslieder,
und jedes Würmchen freut sich. sie kennen nicht Veränderung
Wie alles duftet, treibt und ringt in Antlitz und Geberden —
in wonnevollem Werden! — doch bleibt man auch nicht immer
Was auch das Leben Trübes bringt: jung:
es ist doch schön auf Erden! es ist gar schön auf Erden!
3. Es fiel vom Baum ein welkes Blatt,
ein Greis schloß seine Augen zu,
ein Trauerzug wallt aus der Stadt,
man trägt den Leib zur ew'gen Ruh;
der Geist auf lichtern Bahnen
sieht schon, was wir nur ahnen —
er geht zu neuem Frühling ein,
frei aller Not zu werden.
Wohl wird's im Himmel schöner sein,
doch schön ist's auch auf Erden.
Theodor Fontane,
es 1819 zu Neu-Ruppin — wurde Apotheker, gab aber diesen
eruf bald wieder auf — bereiste England und widmete sich aus
schlieblich schriftstellerischer Tãtigkeit. — Er starb 1898 zu Berlin.
Kaiser Friedrich III. letzle Fahrt.
G. Juni 1888.)
„Ich sähe wohl gern (er sprach es stumm)
noch einmal die uin hier herum,
am liebsten auf Alt-Geltow zu, —
und ihr kommt mit, die Kinder und du.“
R
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Das Dorf, es lag im Sonnenschein;
in die stille Kirche tritt er ein,
die Wände weiß, die Fenster blank,
zu beiden Seiten nur Bank an Bank;
und auf der letzten er blickt empor
auf Orgel und auf Orgelchor
und wendet sich und spricht: „Wie gern
vernähm' ich noch einmal Lobe den Herrn;
den Lehrer im Feld, ich mag ihn nicht stören,
Vicky, laß du das Lied mich hören!“
Und durch die Kirche, klein und kahl,
als sprächen die Himmel, erbraust der Choral;
und wie die Töne sein Herz bewegen,
eine Lichtgestalt tritt ihm entgegen,
eine Lichtgestalt, an den Händen beiden
erkennt er die Male: „Dein Los war leiden.
Du lerntest dulden und entsagen,
drum sollst du die Krone des Lebens tragen.
Du siegtest, nichts soll dich fürder beschweren:
Lobe den mächtigen König der Ehren..
2
Die Hände gefaltet, den Kopf geneigt,
so lauscht er der Stimme.
Die Orgel schweigt.
Wo Bismarck liegen soll.
(81. Juli 1898.)
Nicht in Dom oder Fürstengruft,
er ruh' in Gottes freier Luft
draußen auf Berg und Halde,
noch besser tief, tief im Walde.
Widukind läd't ihn zu sich ein:
„Ein Sachse war er, drum ist er mein,
im Sachsenwald soll er begraben sein“
Der Leib zerfällt, der Stein zerfällt,
aber der Sachsenwald, der hält;
und kommen nach dreitausend Jahren
Fremde hier des Weges gefahren
und sehen, geborgen vorm Licht der Sonnen,
den Waldgrund in Efeu tief eingesponnen,
und staunen der Schönheit und jauchzen froh,
so gebietet einer: „Lärmt nicht sol —
Hier unten liegt Bismarck irgendwo.“
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Otto Roquette,
geboren 1824 zu Krotoschin in Posen — studierte in Halle, Berlin und
eidelberg — var Lehrer in Dresden und Berlin — starb 1896 in
4t als Professor für deutsche Sprache und Literatur am Poly⸗
technikum daselbst.
Am Neckax, am Rhein.
1. O wär' ich am Neckar,
o wär' ich am Rhein,
im blühenden Rebenland,
da möcht' ich sein!
Wo das Leben ein sprudelnder Becher der Lust,
wo ich wandert und wohnt an Freundes Brust,
am Neckar, am Rhein,
im blühenden Rebenland,
ja da möcht' ich sein!
2. Ihr Städtchen, ihr Mädchen
am Ufer hinab,
ihr, des Lust,
ihr, des Herzens Lab,
ihr klingenden, singenden Wellen des Rheins,
ihr Lüfte des Lebens, ihr Düfte des Weins,
durch die jubelnde Brust
geht mir alle das Leben
und alle die Lust.
3. Laßt mich wandern und singen
wohl durch die Welt,
laßt mich wohnen und weilen
da, wo mir's gefällt:
dann zieh ich zum Neckar, dann zieh' ich zum Rhein,
don den Tälern zu Berg, von den Bergen talein,
helljauchzend hinaus;
bo mein Herz und mein Lieb ist,
da bin ich zu Haus!
Josef Viktor von Scheffel,
geboren 1826 in Karlsruhe — Fudierte in Heidelberg, München und
Benin Reciiswissenschaft, bekleidete eine Zeitlang juristische Amter,
Pbie aber bald nur seinem Dichterberuse. 1865 wurde er zum weima—
ischen Hofrat ernannt und 1876 in den erblichen Adelsstand erhoben.
Er lebie lels in Rarlsruhe, teils auf seinem Besitztum in Radolfszel
am Bodensee und starb 1886 in Karlsruhe.
Alt Deidelberg.
(Aus dem „Trompeter von Säckingen?.)
1. Alt Heidelberg, du feine, 2. Stadt fröhlicher Gesellen,
du Stadt an Ehren reich, an Weisheit schwer und Wein,
am Neckar und am Rheine klar ziehn des Stromes Wellen,
ein' andre kommt dir gleich. Blauäuglein blitzen drein.
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3. Und kommt aus lindem Süden
der Frühling übers Land,
so webt er dir aus Blüten
ein schimmernd Brautgewand.
4. Auch mir stehst du geschrieben
ins Herz gleich einer Braut,
es klingt wie junges Lieben
dein Name mir so traut.
5. Und stechen n die Dornen,
und wird mir's drauß zu lahl,
geb' ich dem Roß die Spornen
und reit' ins Neckartal.
— — —
Paul Heyse,
geboren 1830 in Berlin — studierte dort und in Bonn Philologie —
bereiste ltalien — wurde 1854 nach München berufen, wo er nocñ lebt.
Aber ein Slündlein.
Dulde, gedulde dich fein!
Über ein Stündelein
ist deine Kammer voll Sonne.
Über den First, wo die Glocken hangen,
ist schon lange der Schein gegangen,
ging in Türmers Fenster ein.
Wer am nächsten dem Sturm der Glocken,
einsam wohnt er, oft erschrocken,
doch am frühsten tröstet ihn Sonnenschein.
Wer in tiefen Gassen gebaut,
di an Hüttlein lehnt sich traut,
locken haben ihn nie erschüttert,
Wetterstrahl ihn nie umzittert,
aber spät sein Morgen graut.
Höh' und Tiefe hat Lust und Leid.
Sag ihm ab, dem törigen Neid:
andrer Gram birgt andre Wonne.
Dulde, gedulde dich fein!
Über ein Stündelein
ist deine Kammer voll Sonne.
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Felix Dahn,
geboren 1834 in Hamburg — studierte in München und Berlin Rechts-
wissenschaft — wurde Professor in Würzburg, spater in Kkönigsberg
und lebt jetzt als Professor in Breslau.
Golenzug.
1. „Gebt Raum, ihr Völker, 2. Mit Schild an Schild und
unserm Schritt, Speer an Speer,
wir sind die letzten Goten, wir ziehn nach Nordlands Winden,
wir tragen leine Krone mit. bis wir im fernsten grauen Meer
wir tragen einen Toten. die Insel Thule finden.
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3. Das soll der Insel
ein,
dort gilt noch Eid und Ehre;
dort wir den König ein
im Sarg der Eichen⸗Speere.
4. Wir kommen her — gebt Raum
dem Schritt —
aus Romas falschen Toren:
wir tragen nur den König mit ——
die Krone ging verloren.“
Johannes Trojan,
geboren 1837 zu Danzig, studierte erst Medizin — machte dann sprach-
siehe Studien und wanädte sieh später ausschlieblich der schriftstel-
erisschen Tatigieit zu. Er lebt jetzt in Berlin als Leiter des Witz-
blattes Rladderadatsch.
Mulflter.
1. „Mutter,“ schallt es immerfort Jedes ruft, und auf der Stell'
und fast ohne Pause, will sein Recht es kriegen,
„Mutter“ hier und „Mutter“ dort und sie kann doch nicht so schnell
in dem ganzen Hause. wie die Schwalben fliegen.
2. Überall zugleich zu sein,
ist ihr nicht gegeben,
sonst wohl hätte 63 ich mein',
ein bequemes Leben.
4. Ich fürwahr bewundre sie,
daß sie noch kann lachen;
was allein hat sie für Müh,
alle satt zu machen!
5. Kann nicht einen Augenblick
sich zu rühn erlauben,
und das hält sie gar für Glückl!
Sollte man es glauben?
— — — —
Ernst v. Wildenbruch,
geboren 1845 zu Beirut in Syrien — wurde in Deutschland erzogen —
Var erst Ofzier, widmete sich aber spãter dem Rechtsstudium - lebt
seit 1887 als Legationsrat in Berlin.
Weihnacht.
. Die Welt wird kalt, die Welt wird stumm,
der Winter-Tod geht schweigend um;
er zieht das Leilach weiß und dicht
der Erde übers Angesicht —
Schlafe — schlafe.
2. Du breitgewölbte Erdenbrust,
du Stätte aller Lebenslust,
hast Duft genug im Lenz gesprüht.
im Sommer heiß genug geglüht,
nun klomme ich, nun bist du mein,
gefesselt nun im engen Schrein —
Schlafẽ — schlafe.
7.
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3. Die Winternacht hängt schwarz und schwer,
ihr Mantel fegt die Erde leer,
die Erde wird ein schweigend Grab,
ein Ton geht zitternd auf und ab:
Sterben — sterben.
4. Da horch — im totenstillen Wald
was für ein süßer Ton erschallt?
Da sieh in tiefer dunkler Nacht,
was für ein süßes Licht erwacht?
Als wie von Kinderlippen klingt's
von Ast zu Ast wie Flammen springt's,
vom Himmel kommt's wie Engelsang,
ein Flöten- und Schalmeienklang:
Weihnacht! Weihnacht!
5. Und siehe — welch ein Wundertraum:
Es wird lebendig Baum an Baum,
der Wald steht auf, der ganze Hain
zieht wandelnd in die Sladt hinein.
Mit grünen Zweigen pocht es an:
„Tut auf, die selge Zeit begann,
Weihnacht! Weihnacht!“
6. Da gehen Tür und Tore auf,
da kommt der Kinder Jubelhauf,
aus Türen und aus Fenstern bricht.
der Kerzen warmes Lebenslicht:
Bezwungen ist die tote Nacht,
zum Leben ist die Lieb' erwacht,
der alte Gott blickt lächelnd drein,
des laßt uns froh und fröhlich sein!
Weihnacht! Weihnacht!
Ferdinand Avenarius,
geboren 1856 in
gröbere Reisen —
Berlin — studierte in Leipzig und Zürich — machte
lieb sich später in Dresden nieder und gibt hier den
Kunstwart“ heraus.
Der goldene Tod.
1. Kein Wind im Segel, die See liegt still —
kein Fisch doch, der sich fangen will.
So ziehen die Netze sie wieder herein
und mürren, schelten und fluchen drein
Da neben dem Kutter wird's heller und licht
wie weißliches Haar, wie ein Greisengesicht,
und ein triefendes Haupt taucht auf aus der Flut:
„Ei, drollige Menschlein, ich mein's mit euch gut. —
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2. Ich gönn' euch von meiner Herde ja viel,
doch heut ist mein Jüngster als Fisch beim Spiel,
den mußt' doch ich alter Neck,
drum jagt ich sie all miteinander weg —
doch schickt ihr den Jungen mir wieder nach Haus,
so werft nur noch einmal das Fangzeug aus:
Der schönste ist mein Söhnchen klein,
das übrige mag euer eigen sein!“
3. Hei, flogen die Netze jetzt wieder in See!
Ho, kaum daß ihr' Lasten sie brachten zur Höh'!
Wie lebende Wellen, so fort und fort
von köstlichen Fischen, so quoll's über Bord.
Und patscht und schnappt und zappelt und springt —
und bei den Fischern, da tollt's und singt.
Nun plötzlich blitzt es — seht, es rollt
ein Fisch über Bord von lauterem Gold!
4. Eine jede Schuppe ein Geldesstückl
Wie edelsteinen, so funkelt's im Blick!
Die Kiemen sind aus rotem Rubin,
Perlen die Flossen überziehn,
mit eitel Demanten besetzt, so ruht
auf seinem Häuptlein ein Krönchen gut,
und lnen wispert's vom Schnäuzlein her:
„Ich bin Prinz Neck, laßt mich ins Meer!“
5. Den Fang ins Meer? Sie rühren ihn an,
die Fischer, und tasten und stieren ihn an.
„Laßt 3 ins Meer!“ Sie hören nicht drauf.
Saßt mich ins Meer!“ Sie lachen nur auf.
Sie wägen das goldene Prinzlein ab,
sie schähen's und klauben ihm Münzlein ab.—
Wie wiegt das voll, wie gleißt das hold!
Sie denken nichts weiter, — sie denken nur Gold.
6. Und seht: ein Goldschein überfliegt
jetzt alles, was von Fisch da liegt,
und wandelt's, daß es klirrt und rollt:
Seht: all die Fische werden Gold!
Sinkt das Schiff von blitzender Last?
„Schaufelt, was die Schaufel faßtl
Wie lustiges Feuerwerk sprüht das umher —
dann e über alles zusammen das Meer
I. Von den Redefiguren und Redebildern.
Die poetische Darstellung verlangt Anschaulichkeit und Lebendigkeit,
und diese erzielt der Dichter besonders durch Anwendung von Figuren
und Bildern.
A. Die wichtigsten Redefiguren sind:
1. Die Frage, z. B. ‚Wer zählt die Völker, nennt die Namen,
die gastlich hier zusammen kamen?“
2. Der Ausruf, z. B. „O Trank voll süßer Label!“ „O wunder—
schön ist Gottes Erde und wert, darauf vergnügt zu sein!“
3. Die Anrede, z. B. ‚Weh euch, ihr stolzen Hallen!“ „Lebt
wohl, ihr Berge, ihr geliebten Triften, ihr traulich stillen Täler, lebet
wohl!“
4. Die Weglassung und Häufung der Bindewörter, z. B. „Alles
rennet, rettet, flüchtet, taghell ist die Nacht gelichtet.“ „Der König sprach's,
der Page lief, der Knabe kam, der König rief.“ — „Und es wallet
und siedet und brauset und zischt.“ „Und wiegen und tanzen und singen
dich ein.“
5. Das schmückende Beiwort, z. B. „Und mit des Lorbeers
muntern Zweigen bekränze dir dein göttlich Haar.“ „Und rings statt
duft'ger Gärten ein blütenreicher Kranz, drin sprangen frische
Brunnen im Regenbogenglanz.“
6. Der Gegensatz, z B. Der Wahn ist kurz, die Reu' ist lang.“
„Du jubelst, und ich zittre in Gefahr.“
7. Die Steigerung, z. B. „Tapfer ist der Löwensieger, tapferer
der Weltbezwinger, tapfrer, wer sich selbst bezwang.“ „Gefährlich
istss, den Leu zu wecken, verderblich ist des Tigers Zahn, jedoch der
schrecklichste der Schrecken, das ist der Mensch in seinem Wahn“
8. Die Übertreibung, z. B. „Es ruht die ganze Welt.“ „Er
hatte Knochen wie ein Gaul.“ „Und der wilde Strom wird zum
Meere.“
B. Die wichtigsten Redebilder (Tropen) sind:
1. Die Vergleichnng. Sie fügt dem gemeinten Begriffe noch ein
ähnliches sinnliches Bild bei, z. B.„Der König, furchtbar prächtig, wie
blut'ger Nordlichtschein, die Königin, sanft und milde, als blickte
Vollmond drein.“
7b —
2. Die Übertragung. Sie vertauscht ähnliche Begriffe, z. B.
„Die güldnen Sternlein prangen am blauen Himmelssaal.“ „Süßer
Wohllaut schläft in der Saiten Gold.“ „Der Mutterliebe zarte
Sorgen bewachen seinen goldnen Morgen.“
3. Die Personifizierung. Sie stellt etwas Unpersönliches als
Person dar, z. B. „Es lächelt der See, er ladet zum Bade.“ „Die
hoffnung führt ihn ins Leben ein.“
4. Die Vertauschung. Sie setzt für einen Begriff einen andern,
der zu ihm eine gewisse Beziehung hat, als: a. Den Teil fürs Ganze,
z. B. „Wir flehen um ein wirtlich Dach.“ „Er zählt die Häupter
seiner Lieben, und sieh, ihm fehlt kein teures Haupt.“ b. Die bestimmte
Zahl für die unbestimmte, z. B. „Tausend fleiß'ge Hände regen, helfen ꝛc.“
e. Die Einzahl für die Mehrzahl, z. B. „Meister rührt sich und
Geselle in der Freiheit ꝛc.“ d. Das Einzelwesen für die Art, z. B.
„Den Morgen grüßt der Lerche frohes Lied.“ o. Die Ursache für die
Wirkung und umgekehrt, z. B. „Aus der Wolke quillt der Segen.“
„Wer nie sein Brot mit Tränen aß.“ f. Den Stoff für das daraus
Verfertigte z. B. „In rauhes Erz sollst du die Glieder schnüren, mit
Stahl bedecken deine zarte Brust.“ g. Das Zeichen für die Sache,
z. B. „Soweit das Szepter meines Vaters reicht.“ h. Den Ort für das
in ihm Befindliche, z. B. „Wie ist die Welt so stille.“ i. Die Zeit für
die in ihr Lebenden, z. B. „Arm in Arm mit dir, so fordr' ich mein
Jahrhundert in die Schranken.“
II. Von den poetischen Formen.
Die Verslehre (Metrik) lehrt die Gesetze kennen, die bei Ein—
kleidung der Gedanken und Empfindungen in poetische Formen zu be—
obachten sind.
A. Von den Silben. Die Silben sind a. lang oder betont (9),
z. B. Rose, Gesäng; b. kurz oder unbetont (9), z. B. danken, geruht;
e. mittelzeitig oder mitteltonig (5). Mitteltonig ist eine Silbe, wenn man
sie lang und auch kurz gebrauchen kann, z. B. „Auch mir ist alles wohl
geraten.“ „Den nahm mlr Gott, ich sah ihn sterben.“
Unter Rhythmus versteht man den regelmäßigen Wechsel von be—
tonten und unbetonten Silben.
B. Vom Versfuße. Ein Versfuß ist die Verbindung von zwei
oder mehreren Silben zu einer Einheit. Ein fallender Versfuß ist
ein solcher, welcher mit einer betonten Silbe (Hebung) beginnt, z. B.
singen, peinigen; ein steigender Versfuß dagegen ist ein solcher, welcher
mit einer unbetonten Silbe (Senkung) anfängt, z. B. Gefühl, empfänd.
Nach der Zahl der Silben unterscheidet man: 1. zweisilbige Vers-
füße: a. Der Trochäus (-29), z. B. Aebe, Gdethe; b. der Jambus ())
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z. B. Gesãng, Verlust; e. der Spondeus (9, z. B. Wãldstrom;
2. dreisilbige Versfüße; a. Der Daktylus (—), z. B. Königin, fröhliche,
fallende; b. der Anapäst (25), z. B. Melodie in der Nacht.
0. Vom Vers. Durch Aneinanderreihung von 2, 3, 4 und mehr
Versfüßen entsteht ein Vers. Längere Verse haben in der Mitte, je—
doch stets am Ende eines Wortes, einen Einschnitt (Cäsur), bei dem die
Stimme ein wenig ausruhen kann. Es gibt:
trochäische Verse, z. B.
Von dem Dome Bunt sind schon die Wälder,
schwer und bang ꝛc. gelb die Stoppel felder ꝛc.
Nochtlich am u senlbd lispeln J bei Ko senza dumpfe Neder,
aus den Wassern schallt es Antwort und in Wirbeln klingt es wieder ꝛc
2. jambische Verse, z. B
Ih ging im Wal de Der al ie Bar barossa,
so für mich hin 2c. * der Kai ser Frie derich ꝛc.
Das Leben ist der Güter höch stes nicht,
der ün bel größ tes alber ist die Schuld.
Ver Va ter straft sein Kind und fũh let selbst den Streich;
die darne ist ein Verdienst. wenn dir das Herz ist weich.
3. daktylische Verse, z. B.
Ehret die Frauen, sie flechten und weben
himimlischel Rosen ins irdische Leben 2
Wbet den Herren den mãchgen König der Ehren ꝛc.
Der Hexameter ist ein sechsfüßiger daktylischer Vers, dessen vier
ersten Füße mit Trochäen und Spondeen vertauscht werden können, dessen
fünfter Fuß ein reiner Daktylus sein muß, und dessen sechster Fuß immer
ein Trochäus oder Spondeus ist, und der im dritten Fuße entweder
nach der Hebung oder nach der ersten Senkung einen Einschnitt hat, z. B.
Auf die Pol snllẽ ge bũct h zur Sele des wãrmenden Er—
Dienen lerne bei Zeiten s das Weib nach seiner ve stimmung.
*. anapästische Verse, z. B. —
nnd c wal let und sie det nud brau set und zischt ꝛc.
D. Vom Reime. Der Reim ist der Gleichklang betonter Silben
in den Vokalen und Konsonanten mit Ausnahme der Anlaute.
Nach der Zahl und Art der Stammsilben gibt es: 1. männliche
(einsilbige), z, B. Macht, Nacht; singt, klingt; 2. weibliche (zweisilbige)
z. B. leben, geben; geboren, verloren; 3. gleitende (dreisilbige) Reime,
z. B lebende, schwebende; sonnige, wonnige.
Nach der Stellung der Reimwörter in den Strophen gibt es:
1. gepaarte Reime, wenn zwei oder mehr aufeinander folgende
Strophen sich reimen, z. B. in „Erlkönig“ von Goethe, „Des Sängers
Fluch“ von Uhland.
S————— ——
23 — A*
J
—
—
e
Sen
e
GLA. ——
ehν a,
— 77 —
2. gekreuzte oder wechselnde Reime, wenn die 1. und 3., die
2. und 4 Zeile sich reimen, z. B. in „Einkehr“ von Uhland, „Wanderers
Nachtlied“ von Goethe;
3. umarmende oder einschließende Reime, wenn die 1. und 4.
die 2. und 3. Zeile sich reimen, z. B. iu „Die Bürgschaft“ von Schiller;
1. unterbrochene Reime, wenn reimlose mit gereimten Zeilen ab—
wechseln, z. B. in „Der reichste Fürst“ von Kerner, „Schloß Boncourt“
von Chamisso.
Außerdem unterscheidet man noch: a) Stimmreim oder Assonanz,
d. i. der Gleichklang der Vokale in aufeinander folgenden Wörtern,
z. B.: „Die Schollen rollten Stoß auf Stoß.“ (Bürger.) Nun dappelts
und rappelts und klapperts im Saal.“ (Goethe) b. Stabreim oder
Allitteration, d. i. der Gleichkang der Konsonanten am Anfange mehre—
rer aufeinander folgender Wörter, z. B.: „Und hohler und hohler hört
man's heulen.“ (Schiller) „Es dröhnt' und dröhnte dumpf heran.“
B. Von den Strophen. Eine Strophe ist die Verbindung meh—
rerer Verse zu einem Ganzen. Nach der Zahl der Verszeilen, die eine
Strophe enthält, unterscheidet man zwei-, drei-, vier-, fünfzeilige
Strophen usw.
Die alte Nibelungenstrophe besteht aus vier nur nach Hebungen
gemessenen Versen. Die ersten drei Verse haben je 6, der vierte Vers
dagegen hat 7 Hebungen. Zwischen der 3. und 4. Hebung ist ein Ein—
schnitt. Beisp. „Nibelungenlied“.
Die neue Nibelungenstrophe besteht aus vier sechsfüßigen jam—
bischen Versen mit einer überzähligen kurzen Silbe nach dem 3. Fuße.
Beisp. „Sängers Fluch“ von Uhland.
Das Sonett ist ein vierzehnzeiliges Gedicht, welches aus 2 vier—
und 2 dreizeiligen Strophen besteht. Beisp. „Der Himmel“ von Rückert
III. Von den Dichtungsarten.
Es gibt drei Hauptarten der Poesie:
1. Die lyrische oder Liederdichtung, die Gefühle und Empfin⸗
dungen darstellt;
2. Die epische oder erzählende Dichtung, die bedeutsame Be—
gebenheiten darstellt;
3. Die dramatische oder Schauspieldichtung, die ernste oder
heitere Handlungen durch Personen als gegenwärtig darstellt.
A. dDie lyrische Dichtung.
1. Das Lied ist ein Gedicht, das in einfacher und für den Ge—
sang geeigneter Form eine bestimmte Empfindung ausdrückt, z. B. „Abend⸗
lied von Claudius, „Wanderers Nachtlied“ und „Ein gleiches“ von
Goethe. — Das geistliche Lied ist der Ausdruck einer andachtsvollen
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Stimmung, die aus dem Verhältnis des Menschen zu Gott ent—
springt. Diejenigen geistlichen Lieder, welche sich zum Gebrauche beim
Gottesdienste eignen, heißen auch Kirchenlieder, z. B. „Vom Him—
mel hoch, da komm ich her“ ꝛc. von Luther, „In allen meinen Talen“ e.
von Paul Flemming, „Wer nur den lieben Gott läßt walten“ ꝛc. von
Georg Neumark, Befiehl du deine Wege“ ꝛc. von Paul Gerhardt,
„Wie groß ist des Allmächt'gen Güte“ ꝛc. von Gellert. Das veln
liche Lied ist ist der Ausdruͤck einer Empfindung, die aus dem Ver—
hältnis des Menschen zum Menschen oder zu der Natur entspringt. Die
weltlichen Lieder teilt man ein in: Gesellschafts-, Vaterlands- Wander
und Naturlieder. Außerdem hat jeder Sland, jedes Alter, jede Zeit
seine Lieder, wie Soldaten-, Studenten- Jäger⸗, Fischer-, Hirten- Müller-
Handwerksburschen⸗/ Kinder⸗ Frühlings- Sommer-⸗, Herbst- Winter⸗
Weihnachtslieder usv. Die Lieder, die im Volke eine große Ver—
breitung gefunden haben und von ihm gern und viel gesungen werden,
nennt man Volkslieder, z. B. „O Straßburg, o Straßburg“ ꝛc., „Soviel
Stern am Himmel stehen“ ꝛc, „Es ist bestimmt in Gotles Rat e.
2. Die Ode ist ein Lied, das in schwungvoller Sprache einen
erhabenen Gegenstand besingt, z. B. „Die Macht des Gesanges“ von
Schiller.
3. Die Hymne (Religiöse Ode) ist ein Lied, das in schwung⸗
voller begeisterter Sprache religiöse Dinge, namentlich die Herrlichkeit
und Erhabenheit Gottes besingt, z. B. „Psalm“ von Klopstock. Der
Ode nahe verwandt ist der Pfalm.
4. Die Elegie (Klaggedicht) ist ein Lied, das wehmütige Ge⸗
fühle zum Ausdruck bringt, . B. „Bei dem Grabe meines Valers“ von
Claudius.
5. Das didaktische oder Lehrgedicht stellt allgemein wichtige
Wahrheiten, sittlich-religiödse Lehren und Gegenstände der Kunst und
Wissenschaft dar, z. B. „Das Lied von der Glocke“ von Schiller, „Die
Weisheitd es Brahmanen“ von Rückert.
6. Das Epigramm (ESinngedicht) ist ein Gedicht, das in mög⸗
lichster Kürze und in vollendeter Form einen sinnreichen Gedanken dar—
stellt. Vergl. Epigramme von Schiller.
B. Die epische Dichtung.
1. Sagen sind Erzählungen wunderbarer Begebenheiten, deren In—
halt geschichtlich nicht begründet ist, die sich aber im Munde des Volkes von
Geschlecht zu Geschlecht fortgepflanzt haben und sich an eine bekannte
Person (z. B. „Barbarossa“ von Rückert) oder an einen bekannten Ort
(3. B. „Lorelei“ von Heine) anschließen.
2. Die Legende ist eine poetisch dargestellte Sage aus dem Leben
Christi oder der Apostel oder der christlichen Heiligen und Märthrer,
z. B. Polylarpus“ von Herder.
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3. Märchen sind Erzählungen wunderbarer Begebenheiten, die
unter Einwirkung übermenschlicher Wesen (Feen, Nixen, Kobolden, Riesen,
Zwergen usw.) oder Kräfte erfolgen. Märchen in prosaischer Form
sind: „Kinder - und Hausmärchen“ von Grimm, „Märchen“ von Bech—
stein, von Andersen, „Tausend und eine Nacht“; in poetischer Form:
„Vom Bäumlein, das andre Blätter gewollt“ von Rückert, „Waldmeisters
Brautfahrt“ von Roquette.
4. Fabeln sind kurze Erzählungen, in denen willenlose, aber als
geistbegabt gedachte Wesen, namentlich Tiere, redend eingeführt und all—
gemeine Klugheits- und Lebensregeln veranschaulicht werden, z. B.
„Kutschpferd und Ackergaul“ von Gellert.
5. Parabeln sind Erzählungen aus dem ernsten Menschenleben,
erdichtet, um höhere Wahrheiten der Vernunft oder Religion zu veranschau—
lichen, z. B. „Leben und Tod“ von Rückert.
6. Die poetische Erzählung ist ein Gedicht, das eine Begeben—
heit aus dem wirklichen Leben in bequemer dichterischer Form zu Belehrung
oder Erheiterung darstellt, z. B. „Der Wilde“ von Seume, „Schwäbische
Kunde“ von Uhland, „Das Schwert des Damokles“ von Gellert. —
It der Inhalt der poetischen Erzählung scherzhaft, so nennt man sie
auch Schwank, z. B. „Schlaraffenland“ von Hans Sachs.
7. Die Idylle ist ein erzählendes Gedicht, welches das Leben guter,
einfacher, frommer Menschen schildert, z. B. „Irin“ von Kleist, „Der
siebzigste Geburtstag“ von Voß.
8. Balladen und Romanzen sind erzählende Gedichte, die eine
abenteuerliche oder ernste Begebenheit in gehobener Sprache und in kurzem,
leichtem Versmaße darstellen, z. B. von Schiller: „Der Ring des Polykrates“,
„Der Taucher“, „Die Bürgschaft“, „Die Kraniche des Ibykus“, „Der
Graf von Habsburg“ „Der Gang nach dem Eisenhammer“, „Der
Kampf mit dem Drachen“; von Goethe: „Der Erlkönig“, „Der Fischer“,
„Der Zauberlehrling“ „Der Sänger“; von Uhland: „Des Sängers
Fluch“, „Der blinde König“, „Die Rache“
9. Das Epos Geldengedicht) ist ein größeres erzählendes Gedicht,
das den Kampf eines oder mehrerer Helden mit dem Schicksale darstellt.
Das Volks- oder Nationalepos beruht auf der Helden- oder Götter—
sage und stellt die Großtaten von Helden, zugleich aber auch das Denken,
Empfinden und die Erfahrungen eines ganzen Volkes dar. Die zwei
großen Volksepen der Deutschen sind: „Nibelungenlied“ und „Gudrun“
Das Kunstepos ist später entstanden, behandelt meistens fremde Stoffe
und ist das Erzeugnis eines einzelnen Dichters. Arten des Kunstepos
sind: a. Das religiöse Epos, das großartige Stoffe der religiösen
Überlieferung darstellt, z. B. „Die Messiade“ von Klopstock; b. das
romantische Epos, das abenteuerliche und wunderbare Begeben—
heiten aus der Zeit des Ritterwesens behandelt, z. B. „Oberon“ von
Wieland; e. das komische Epos, das den Zweck hat, eine heitere
Empfindung zu erwecken und angenehm zu unterhalten, z. B. „Die
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Jobsiade“ von Kortüm, „Reineke Fuchs“ von Goethe; d. das idyllische
und bürgerliche Epos, das einfache, aber glückliche Vorgänge aus dem
Landleben oder solche aus dem bürgerlichen Leben vorführt, z. B. Luise
von Voß, „Hermann und Dorothea“ von Goethe
O. Die dramatische Dichtung.
Das Drama stellt längere, verwickeltere Handlungen als gegenwärtig
dar und führt Personen nicht bloß denkend und empfindend, sondern auch
sprechend und handelnd vor. Es wird eingeteilt in Alte und Aufzüge
und diese in Szenen oder Auftritte. Jedes Drama stellt in drei bis
fünf Akten oder Aufzügen Einführung, Verwicklung und Entwicklung der
Handlung dar. Bei einer kurzen Handlung sind diese drei Teile in einem
Aufzuge vereinigt.
1. Das Trauerspiel (Tragödie) schildert den Kampf eines aus—
gezeichneten Menschen gegen die Macht des Schicksals und die eigenen
Leidenschaften und zwar mit dem Ausgange, daß der Held äußerlich
unterliegt, aber sittlich siegt, z. B. „Wallenstein“ „Maria Stuart“, „Jung
frau von Orleans“, „Braut von Messina“ von Schiller, Egmont“ von
Goethe, „Emilia Galotti“ von Lessing.
2. Das Schauspiel (Drama im engeren Sinne) schildert ebenfalls
den Kampf eines Helden gegen das Schicksal oder die eigenen Leidenschaften,
aber mit dem Ausgange, daß der Held dabei nicht untergeht, z. B. „Wil-
helm Tell“ von Schiller, „Iphigenie“ von Goethe, Nathan der Weise“
von Lessing.
3. Das Lustspiel Komödie) schildert den Kampf eines Menschen,
der kein großer Charakter zu sein braucht, gegen die Schwächen und
Einseitigkeiten des menschlichen Lebens und endigt mit einem glücklichen
Ereignis. Der Stoff ist dem geselligen Leben entnommen; die Sprache
ist einfach, der Fortgang frisch, .. B. ‚Minna von Barnhelm“ von Lessing
und „Die Journalisten“ von Freytag.
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