2. 72 N. Aus der Geschichte unsers Vaterlandes. schaftsgebäude verfallen und unbrauchbar. Wer einen Brief befördern wollte, mußte einen besondern Boten schicken, denn es gab keine Post im Lande; freilich fühlte man in den Dörfern auch nicht das Bedürfnis danach; denn ein großer Teil der Edelleute konnte so wenig lesen und schreiben wie die Bauern. Wer erkrankte, fand keine Hilfe als die Geheimmittel einer alten Dorffrau; denn es gab im ganzen Lande keine Apotheken. Wer einen Rock brauchte, tat wohl, selbst die Nadel in die Hand zu nehmen; denn auf viele Meilen weit war kein Schneider zu finden, wenn nicht etwa einer wandernd durch das Land zog. Wer ein Haus bauen wollte, der mochfe zusehen, wo er von Westen her Handwerker gewann. Es war in der Tat ein verlassenes Land, ohne Zucht, ohne Gesetz, ohne Herrn; es war eine Einöde. Der König begann in seiner großartigen Weise, den Zustand des Landes zu bessern, und Westpreußen wurde, wie bis dahin Schlesien, fortan sein Lieblingskind. Die Landschaften wurden in kleine Kreise geteilt; jeder Kreis wurde mit einem Landrat, einem Gericht, mit Post und Ärzten versehen. Neue Kirchengemeinden wurden ins Leben gerufen, 187 Schullehrer in das Land gesandt, Scharen von deutschen Handwerkern, allen Gewerken entnommen, wurden geworben. Überall begann ein Graben, Hämmern, Bauen; die Städte wurden neu mit Menschen besetzt, und Straße auf Straße erhob sich aus den Trümmerhaufen. Im ersten Jahre nach der Besitznahme wurde der große Kanal ge— graben, welcher die Weichsel durch die Netze mit der Oder verbindet. Ein Jahr nachdem der König den Befehl erteilt hatte, sah er selbst beladene Oderkähne von 35 m Länge nach dem Osten zur Weichsel einfahren. Durch die neue Wasserader wurden weite Strecken Land entsumpft und sofort durch deutsche Kolonisten besetzt. Unablässig trieb der König, er lobte und schalt; wie groß auch der Eifer seiner Beamten war, sie vermochten selten ihm genug zu tun. Dadurch geschah es, daß in wenigen Jahrzehnten auch die polnischen Landstriche sich an die Ordnung des neuen Lebens gewöhnten, und daß Westpreußen in den Kriegen seit 1806 sich ebensogut preußisch bewährte wie die alten Provinzen. 213. Miedrich Wilhelm III. 1. „Meine Zeit in Unruhe, meine Hoffnung in Gott!“ So hat der König sein Leben selbst kurz und schön bezeichnet. Und es ist wahr, ein König, der es treu und gewissenhaft meint, hat nimmer Ruhe, wenn auch tiefster Friede die Schwerter in der Scheide hält. 43 Jahre hat Friedrich Wilhelm UI. die schwere Fürsorge getragen. Viel Frieden und viele Freuden hat Gott ihm in dieser Zeit geschenkt; aber auch schwere Unruhe und tiefer