Poesie. — Die Zabel. 395 vberrathen dich. Du spielst den Uneigennützigen, bloß um dich desto gemächlicher, mit desto weniger Gefahr nähren zu können. 4. Der Wolf ward ärgerlich, faßte sich aber doch und gieng auch zu dem vierten Schäfer. Diesem aber war sein treuer Hund gestorben, und der Wolf nachte sich den Umstand zu Nutze. — Schäfer! sprach er, ich habe mich mit meinen Vrüdern im Walde veruneiniget, und so, daß ich mich in Ewigkeit nicht wieder mit ihnen aussöhnen werde. Du weißt, wie viel du von ihnen zu fürchten hast! Wenn du mich aber statt deines verstorbenen Hundes in Dienste nehmen willst, so sehe ich dir dafür, daß sie keines deiner Schafe auch nur scheel ansehen sollen. — wilist sie also, versetzte der Schäfer, gegen deine Brüder im Walde beschützen? — VDas meine ich denn sonsie Freiichlen Das ware nicht übell Aber wenn ich dich nun in meine Horden einnähme, sage mir doch, wer sollte mir alsdann meine Armen Schafe gegen dich beschützen? Einen Dieb in's Haus nehmen, um vor den Deben außer dem Hause sicher zu sein, das halten wir Menschen — Ich höre shon, sagte der Wolf, du fängst an zu moralisieren. Lebe wohl! 65. Waäre ich nicht so alt! knirschte der Wolf. Aber ich muß mich leider in de Zeit schien. Und so kam er eun dem funften Schäfer — Kennst du mich, Schäfer? ragte der Wolf. Deinesgleichen wenigstens kenne ich, versehte der Schäfer. Meinesgleichen? Daran zweifle ich sehr. Ich bin ein so sonderbarer Volf, daß ich deiner und aller Schäfer Freundschaft wohl werth bin. — Und wie sonderbar bist du denn? — Ich könnte kein lebendiges Schaf würgen und fressen, und wenn es mir das Leben kosten sollte. Ich nähre mich bloß mit todten Schafen. It das nicht loöblich? Erlaube mir also immer, daß ich mich dann und wann bei deiner Herde einfinden und nachfragen darf, ob dir nicht — Spare der Worte! sagte der Schäfer. Du müßtest gar keine Schafe fressen, auch nicht einmal todte, wenn ich dein Feind nicht sein sollte. Ein Thier, das mir schon todte Schafe frißt, lernt leicht aus Hunger: kranke Schafe für todt und gesunde Schafe für krank an— schen. Mache auf meine Freundschaft also keine Rechnung und geh! 6. Ich muß nun schon mein Liebstes daran setzen, um zu meinem Zwecke ju gelangen, dachte der Wolf und kam zu dem sechsten Schäfer. Schäfer, wie sefällt dir mein Pelz? fragte der Wolf. — Dein Pelz? sagte der Schäfer. Laß sehen! er ist schön; die Hunde müssen dich nicht oft unten gehabt haben. — Nun, o höre, Schäfer! ich bin alt und werde es so lange nicht mehr treiben. Füttere nich zu Tode, und ich vermache dir meinen Pelz. — Ei, sieh doch! sagte der Schäfer. Kommsi du auch himer die Schliche der alten Geizhälfe? Nein, nein! Dein Pelz würde mir am Ende siebenmal mehr kosten, als er werth wäre. Ist es dir aber ein Ernst, mir ein Geschenk zu machen, so gieb mir ihn gleich jetzt. — diermit griff der Schäfer nach der Keule, und der Wolf floh. J. O die Unbarmherzigen! schrie der Wolf und gerieth in die äußerste Wuth. So will ich auch als ihr Feind sterben, ehe mich der Hunger tödtet; denn sie wollen es nicht besser. — Er lief, in die Wohnungen der Schäfer ein, riß ihre Kinder nieder und ward nicht ohne große Mühe von den Schäfern erschla— sen. — Da sprach der weiseste voͤn ihnen: Wir thaten doch wohl unrecht, daß wir den alten Räuber auf das Aeußerste brachten und ihm alle Mittel zur Besse— rung, so spät und erzwungen sie auch war, benahmen! 180. G. E. Lessing: Der Esel mit dem Löwen. ¶ 8. Als der Esel mit dem Löwen des Aesopus, der ihn statt seines Jägerhorns brauchte nach dem Walde gieng, begegnete ihm ein andrer Esel von seiner Be—