Poesie — Die Parabel. 203. F. A. Krummacher: Der Hollunderstab. Ein Jäger wandelte mit seinem Knaben auf dem Felde, und es war ei Bach wischen beiden. Da wollie der Knabe zu seinem Vater hinüber, aber vermochte es nicht; denn der Bach war breit. Da schnitt er sich einen Stab au dem Gebüsche und setzte den Stab in das Bächlein und lehnte sich keck darauf un gab sich einen gewaltigen Schwung. Aber siehe! Der Stab war von einen Iliederbaum, und als der Knabe über dem Bache schwebte, da brach der Su itten entzwei, und der Knabe that einen tiefen Fall in das Wasser, und die Wil len brauseten und schlugen über ihm zusammen. — Dieses sah ein Hirte und u hinzu und erhob ein Geschrei. Aber der Knabe blies das Wasser von sich un schwamm lachend an das Land. — Da sprach der Hirt zu dem Jäger: Ihr shein euren Sohn manches wohl gelehrt zu haben; aber eines habt ihr derges Warum habt ihr ihn nicht auch gewöhnet, daß er vorher das Innere erforsche, 9 er dem Zutrauen sein Herz eröffnet? Hätte er das weiche Mark inwendig geprif so würde er der täuschenden Rinde nicht getraut haben! — Freund! erwiderte Jäger, ich habe sein Auge geschärft und seine Kraft geübt — und so kann ihn der Erfahrung anvertrauen. Das Mistrauen mag ihn, wenn es sein muß, geit lehren. Aber er selbst wird auch dann gerade und aufrichtig bleiben. 3 Denn wer mit geübter Kraft und hellem Auge die gerade Bahn wandelt, de wandelt die richtige Bahn. 204. W. v. Goethe: Parabel. Bis ihm endlich ein derber Geist Ungeduldig die Thüre weist. Ein Meister einer ländlichen Schule Möge doch mancher in seinen Sündel Erhub sich einst von seinem Stuhle, Hievon die Nutzanwendung finden! Und hatte fest sich vorgenommen, In bessere Gesellschaft zu kommen. 2 Deswegen er im nahen Bad Da er nun seiner Straße gieng, In den sogenannten Salon eintrat. Dacht' er: ich machte mich zu gering Verblüfft war er gleich an der Thür, Will mich aber nicht weiter schmiegen Als wenn's ihm zu vornehm widerführ': Denn wer sich grün macht, den sen Macht daher dem ersten Fremden rechts die Ziegen. g0 Finen tiefen Bückling, es war nichts So gieng er gleich frisch querfeldein Schlechtʒ; 10. Und war nicht über Stock und Sten Aber hinten hätt' er nicht vorgesehn, Sondern über Aecker und gute Wiesel Daß da auch wieder Leute stehn; Zertrat das alles mit latschen Füßen. Gab einem zur linken in den Schoß Ein Besitzer begegnet ihm so Mit seinem Hintern einen derben Stoß. Und fragt nicht weiler wie, noch w Das hätt' er schnell gern abgebüßt; Sondern schlägt ihn tüchtig hintet Doch wie er eilig den wieder begrüßt, Ohren. Da stößt er rechts einen andern an: „Bin ich doch gleich wie leugeboren Er hat wieder jemand was Leids gethan. Rust unsrer Wanderer hoch entzüdt, e Und wie er's diesem wieder abbittet, Wer bist du, Mann! der mich 4 Er's wieder mit einem andern ver— glückt? schüttet. 20. Möchte mich Gott doch immer segnen Und complimentiert sich zu seiner Qual Daß mir so fröhliche Gesellen begegnen Von hinten und vorn so durch den Saal, 104 9