Die Nebel zerreißen, es rührt sich der Schiffer der Himmel ist helle, Geschwindel Geschwinde! und Äolus löset Es teilt sich die Welle, das ängstliche Band. es naht sich die Ferne; Es säuseln die Winde, Schon seh' ich das Land. v. Goethe 233. Die Meerestiefe. Das Meer hat gleich der Erdoberfläche seine Berge und tiefen Thal— schluchten, die gefüllt sind mit zusammengeschwemmtem Geröll, mit Schiffs⸗ immern und Menschenleichen. Da liegt, halb von Kalk und Schlamm überzogen, die grünlich schillernde Kanone und das kostbare Kistchen mit Gold neben den leeren Schalen verwester Muscheltiere; da der kahle Schädel des Seekapitäus neben dem zerbrochenen Panzer der Schildkröte, oder der losgerissene Anker neben dem Walroßzahn. Da hausen in den Ballen indischer Seidenzeuge Tausende von Fischsamllien, während darüber hin die stillen Meeresströmungen ziehen, und mit ihnen Millionen winziger Schleimtiere, riesige Walfische und Fierige Haie, vor denen her in großer Angst dichtgedrängte Scharen von Heringen flüchten. Hier schäumt das Meer an seltsam gestalteten, wild duͤrcheinanderliegenden Felsstücken hin, dort schleist es mürrisch über weite, weißglänzende Sandbänke; und an einem andern Orte schleift es leisen Schrittes über die Spalten meilen— tiefer Abgründe, oder es kreist um die hohen Berge, welche in die un— ermeßlichen Wasserfluten hineinragen, wie die riesigen Alpengebirge ihre Häupter in das endlose Luftmeer erheben. Das Meer ist der Schauplatz endlosen Mordens und wilder Kämpfe, die Heimat der gierigsten Raubtiere. Im Meere ist ein freud⸗ und fried⸗ losed Dasein, ein unaufhörliches Jagen und Entfliehen, Fassen und Ver— schlingen. Unendlicher Haß wohnt in den kalten, gefühllosen Gewässern; denn nur durch nie ruhendes Zerstören erhält sich das unendliche Leben der Meereswelt. Da ziehen die Löwen, Tiger und Wölfe der Tiefe, die Krokodile und Riesenschlangen des Ozeans tagtäglich auf Raub aus Und morden ganze Geschlechter; da breiten Polhpen und Medusen oder Quallen ihre Fangnetze aus nach dem unvorsichtig umhertändelnden Raͤdertierchen, da verschlingt der Walfisch Millionen von Quallen auf Anen Schluck, da haschen flüchtige Adler und Möven nach dem luft— atmenden Seehahn mit den bunten, schmetterlingsartigen Flügelflossen. Alles jagt und mordet; aber kein Kampfgebrüll, kein Schmerzensschrei, kein Jubellaut des Siegers wird gehört. Die Schlachten werden in unheimlicher Stille geführt, die nur das Plätschern der gepeitschten Wellen, das zuckende Äufspringen der zum Tode Verwundeten unterbricht. Uud doch ist das Meer auch wiederum das eigentliche Lebenselement zahlloser Tier- und Pflanzenarten. Wo an den Felsenklippen Spitz- bergens, an dem Victorialand des Sudpols keine Flechte mehr klebt, wohin kein Renntier sich verirrt, wohin kein Eisbär jagen geht, da gedeihen in den Fluten des Meeres die riesenhaften Seegräser, da Dimmelt es von Infusorien in meilenweiter Ausdehnung. Zehn Kilo— meter breit färben sie das ultramarinblaue grönländische Meer grün, so daß 100 000 Menschen, und wenn sie vom Aufang der Schöpfung gezählt hälten, nicht imstande sein würden, diese Menge kleiner Tierchen zu 19*