129. Waldlilie im Schnee. I. 193 ihn der Wärme immer näher und erweckte ihn endlich wieder. Darauf nahm er ihn mit sich in die Stadt und teilte sein Holz und seinen Tisch, obgleich er selbst nicht viel hatte, mit dem Handwerksburschen so lange, bis derselbe imstande war, weiter zu reisen. Mit dankbarem Herzen schied jener von seinem Retter. 129. Waldlilie im Schnee. Peter Rosegger. Droben im Bergwalde lebt Bertold, der Holzer, mit seinem Weib und einer Schar von Kindern einsam in der Blockhütte. Es ist ein trüber Wintertag. Die Fensterchen sind mit Moos vermauert; draußen fallen frische Flocken auf alten Schnee. Die Frau liegt krank und Not ist Herrscherin in der Hütte. Ängstlich wartet die ganze Familie auf die Heimkehr des ältesten Mädchens, der Lili oder Waldlilie, wie die Eltern liebkosend das Töchterchen nennen. Sie war hinübergegangen zu einem Nachbar, Milch zu erbetteln. Denn die Ziegen im Hause sind geschlachtet und verzehrt. Aber es wird dunkel und Lili kehrt nicht zurück. Der Schneefall wird dichter und schwerer; die Nacht bricht herein und Lili kommt nicht. Die Kinder schreien schon nach der Milch und d. Mutter richtet sich auf in ihrem Bette. „Lili!“ ruft sie, „Kind, wo trot?t du herum im stockfinstern Wald? Geh heim!“ We kann die schwache Stimme der Kranken durch den wüsten Schneesturm das Ohr der Irrenden erreichen? Je finsterer und stürmischer die Nacht wird, desto höher steigt die Angst in den Herzen der Eltern. Lili ist ein schwaches, zwölfjähriges Mädchen; es kennt zwar die Wald— steige und Abgründe; aber die Steige verdeckt der Schnee, den Abgrund die Finsternis. Endlich verläßt der Mann das Haus, um sein Kind zu suchen. Stundenlang irrt und ruft er in der sturmbewegten Wildnis; der Wind bläst ihm Augen und Mund voll Schnee; seine ganze Kraft muß er anstrengen, um wieder die Hütte erreichen zu können. Und nun ver— gehen zwei Tage; der Schneefall hält an; die Hütte des Bertold wird fast verschneit. Sie trösten sich, Lili werde wohl bei dem Nachbar sein. Diese Hoffnung wird zunichte am dritten Tage, als Bertold nach stunden— langer Mühe dessen Haus zu erreichen vermag. Lili sei vor zwei Tagen wohl dagewesen und habe sich dann beizeiten mit dem Milchtopf auf den Heimweg gemacht. „So liegt mein Kind im Schnee begraben!“ sagt Bertold. Dann geht er zu andern Holzern und bittet, wie der Mann noch nie gebeten