55 — kirche, das sogenannte Chor der Griechen, ist der ansehnlichste und zugleich am prächtigsten geschmückte Raum. Drei Gitterthüren führen von da in die eigent⸗ liche Kirche des heiligen Grabes. Zwei Säulengänge, der eine über dem anderen, laufen längs ihrer runden Wände. Über ihnen wölbt sich eine majestätische Kuppel, durch deren große Offnung das Tageslicht prächtig hereinströmt. Seutrecht daruͤnter steht, wie eine kleine Kirche in einer großen, das heilige Grab, von weißem Maͤrmor aufgeführt. Im Innern enthält es zwei in den Kreidefelsen gehauene, aber gleichfalls mit Marmor überkleidete Gemächer. Durch die Eingangspforte, vor welcher vier hohe silberne Leuchter mit arm⸗ dicken brennenden Wachskerzen stehen, gelangt man zuerst in ein kleines Gemach, die Engelskapelle. Aus dieser tritt man tief gebückt durch ein enges Pförtchen in die eigentliche Grabkammer, deren größere Hälfte der Altar einnimmt, welcher den Felsensarg des Herrn bedeckt. Viele kleine Nischen umgeben den Altar, geschmückt mit goldenen und silbernen Leuchtern und Gefäßen. Viele Lampen — Geschenke von Päpsten, Kaisern und Königen — erleuchten die 15 Grotte Tag und Nacht. Die Luft ist erfüllt vom Dufte des Weihrauchs, der hier reichlich angezündet wird. Alles ist still. Niemand wagt ein lautes Wort zu sprechen. Unsere Seele versinkt in unaussprechliche Gedanken bei der Vorstellung des einzigen Grabes der Erde, welchem der jüngste Tag keinen Toten abzufordern hat. Wir durchschritten das nach dem Blutzeugen Stephanus benannte Thor, und vor uns lag das tiefgeschluchtete Thal Josaphat und gegenüber der Ölberg. Wir gingen den steilen Fußpfad hinab und über die Brücke des im Sommer wasserleeren Kidron. Jenseit stehen wir an einem ummauerten Garienraume. Wir klopfen an die kleine Pforle, ein Wächter öffnet uns, und 25 wir sind in Gethsemane. Es ist ein viereckiger Platz mit vielen Blumen⸗ beeten und acht zerstreut stehenden, uralten Olivenbäumen geschmückt. Eine feier⸗ liche Stille umgab uns. Kein Geräusch der Stadt drang zu unseren Ohren. Ein junger Franziskanermönch saß in einer Ecke des Gartens und betete leise aus einem Buche. Unwillkürlich schwebte das Bild des Erlösers vor die Seele, 30 wie er hier trauerte und zagte. Wir stiegen den Olberg hinauf. Drei Gipfel liegen neben einander, von denen der milllere vorzugsweise der Olberg genannt wird. An die vielen und trefflichen Olbäume, welche diesem Höhenzuge den Namen gaben, erinnern nur noch etwa 50 Stämme, welche wie eine irrende Herde sich über ihn hin zer— streuen. Hier und dort liegt ein Stück Getreidefeld, stehen vereinzelte Mandel⸗ und Feigenbäume. Nur in der Regenzeit gewinnt der Berg ein lachendes, erfreuendes Ansehen. Auf dem mittleren Gipfel liegen die Ruinen der Himmel⸗ fahrtskapelle, in deren Hofe ein kleines, rundes Gebäude mit einer Gebetsnische steht. Vor dieser liegt ein Stein, auf welchem eine Vertiefung die letzte Spur 40 bezeichnen soll, welche der Herr bei seiner Auffahrt von der Erde zurück— gelassen hat. 40. Schwäbische Kunde. hland.) Als Kaiser Rotbart lobesam zum heil'gen Land gezogen kam, p mußt' er mit dem frommen Heer durch ein Gebirge, wüst und leer. 22 — 2 d 5