232. Was die Großmutter von Anno 1806 und 1813 erzuhlt. Wilhelm Raabe. Also es war Anno sechs, als der Franzos im Lande rumorte und drunten schrecklich hausen sollte; denn er hatte einen großen Sieg erfochten und glaubte, das Recht dazu zu haben. Die Leute fürehteten sieh alle sehr, gruben ihre Löffel weg und nühten ihren Kindern jedem ein Goldstücek in den Rocksaum, auf den Pall, dab sis abhanden kämen oder mitgenommen würden. Aber mein Seliger tat gar nieht, als ob ihn das was anginge. „Wenn sie kommenh, sind sie da,“ sagte er, und dabei blieb er. Und wenn die Nachbarn kamen und klagten und jammerten, sagte er nur: „Einmal wir, einmal sie.“ Und wenn sie ihm die Ohren zu voll sehrieen, zog er eine weibe Zipfelmütze, die er zu meiner Verwunderung seit kurzer Zeit immer in der Tasche führte, darüber und tat, als ob er ein- sohliefe. Er war immer ein sonderlicher Mann, Annchen, dein Vater. Gut. Eines Morgens erhob sieh ein Lärm: „8Sie sind dal“ Heiliger Gott, mir fuhr's ordentlich in die Knie; meine Jungen (Gott hab' sie selig) in allen Gassen, Gott weiß wo, und nur mein Annchen hatt ich in der Wiege. Mein Alter hatte mal wieder die Zipfel- mütze hervorgekriegt und übergezogen und sügte im Hofe. „Gottfried, Gottfriedl“ schreie ich, „sie sind dal sie sind da!“ Er tat, als ob er's nicht hörte, obgleieh ieh diehte bei ihm stand. In meiner Angst und auch vor Irger riß ieh ihm die dumme Mütze ab, warf sie auf die Erde und sehrie wieder: „Und dio Jungen sind auf der Strabe! Heiliger Vater! Und unsere Löffel! Mann! Mann!“ Er hob ganz ruhig seine Mütze auf, klopfte die Sägespüne an mir ab, setzte sie ruhig wieder auf und sagtêâ: „Ja, wenn's s0 ist, werden sie wohl dureh's Wassertor kKommen; daber geht der Weg von Jena.“ Ieh glaube, so hieb es. Dann sägt' er weiter. Richtig, da trommelte es schon die lange Strabe vom Wassertor her herunter. Mir zitterte das Herz immer mehr. „Meister Karsten! Meister Karsten! Schnell, schnell!“ sehrieen plötzlich mehrere Nachbarn, die in den Hof stürzten im besten Sonntagsstaat. „Ihr sollt kommen, Ihr sollt mit zur Deputation an den französischen General!“ „So?* sagte mein Gottfried, stellte seine Säge hin und ging langsam in das Haus. Die Nachbarn folgten ihm. Alle zogen mit meinem Alten in die Stube, weil sie dachten, er vürde nun gleich in den Sonntagsrock fahren und mitrennen. Aber proste Mahlzeit! An den Tabakskasten ging mein Alter, stopfte sieh eine Pfeife, schlug langsam Veuer und sagte: „Nun, so kommt, meine Herren!“ 366