107 82. Die Stimme des Gewissens. Ein reicher Mann, Namens Pohl, der mehrere Häuser besaß, befahl seinen Dienern, aus einem derselben eine arme Witwe sammt ihren Kindern zu vertreiben, weil sie die jährliche Miete nicht zu zahlen vermochte. Als die Diener nun kamen, sprach die Witwe: Ach verziehet ein wenig! viel¬ leicht daß euer Herr sich unser erbarme, ich will zu ihm gehen und ihn bitten. Darauf gieng die Frau mit den vier Kindern zu dem reichen Manne, das eine aber blieb zu Hause, denn es war sehr krank. Alle flehten in¬ brünstig, sie nicht zu verstoßen, und selbst das kleinste rief: „Bitte, bitte!" — Pohl aber sprach: „Meine Befehle kann ich nicht ändern; es sei denn, daß ihr eure Schuld sogleich bezahlet." Da weinte die Mutter bitterlich und sagte: „Ach, die Pflege des kranken Kindes hat all' meinen Verdienst verzehret und meine Arbeit gehindert." Und die Kinder flehten mit der Mutter, sie nicht zu verstoßen. Aber Pohl wendete sich weg von ihnen, gieng in sein Gartenhaus und legte sich auf das Polster, zu ruhen, wie er pflegte. Es war aber ein schwüler Tag, und dicht am Gartensaale floß ein Strom, der verbreitete Kühlung, und es war eine Stille, daß kein Lüftchen sich regte. Da hörte Pohl das Gelispel des Schilfes am Ufer, aber es tönte ihni gleich dem Gewinsel der Kinder der armen Witwe; und er ward unruhig auf seinem Polster. Darnach horchte er auf das Rauschen des Stromes, und es dänchte ihm, als ruhte er an dem Gestade eines öden, großen Meeres, und er wälzte sich auf seinem Pfühle. Als er nun wieder horchte, erscholl aus der Ferne der Donner eines aufsteigenden Gewitters; da war ihm, als vernähme er die Stimme des göttlichen Gerichtes. Nun stand er plötzlich auf, eilte nach Hause und gebot seinen Knechten, die arme Witwe wieder ins Haus zurückzuführen. Aber sie war sammt ihren Kindern in den Wald gegangen und nirgend zu finden. Unterdeß zog das Gewitter herauf, und es donnerte und fiel ein gewaltiger Regen. Pohl aber war voll Unmuth und hatte keine Ruhe, wo er auch gieng, und wo er auch saß. Am andern Tage vernahm er, das kranke Kind sei im Walde gestorben, und die Mutter mit den andern hinweggezogen. Da ward ihm sein Garten sammt dem Saale und Polster zuwider, und er genoß nicht mehr die Kühlung des rauschenden Stromes. Bald darnach fiel er in eine Krankheit, und in der Hitze des Fiebers vernahm er immer des Schilfes Gelispel und den rauschenden Strom und das dumpfe Tosen des aufsteigenden Wetters. Also verschied er. Krummachcr 83. Tod und Leben. Es gieng ein Mann im Syrerland, Er lief und einen Brunnen sah Führt' ein Kameel am Halfterband. Von ungefähr am Wege da. Das Thier mit grimmigen Gebärden Das Thier hört' er im Rücken schnauben, Urplötzlich anfieng, scheu zu werden, Das mußt' ihm die Besinnung rauben. Und that so ganz entsetzlich schnaufen, j Er in den Schacht des Brunnens kroch, Der Führer vor ihm mußt' entlaufen. Er stürzte nicht, er schwebte noch.