182 9- Wie Gudrun die letzte Nacht in der Normandie verlebte. In der Burg verbreitete sich das Gerücht, daß Gudrun jetzt Königin der Normandie werden wolle. Auch zu Hartmut drang es, und freudig eilte er zu der Geliebten, um sie zu umarmen. Aber stolz trat sie zurück mit den Worten: „Halt! das wäre für euch eine Schande, eine arme, schlecht gekleidete Wäscherin zu umarmen; steh' ich erst im königlichen Schmucke, dann ziemt es euch, mich als euresgleichen zu begrüßen." Da befahl Hartmut, daß Gudrun gebadet und prächtig gekleidet würde; auch wurden "ihre Schicksalsgefährtinnen (natürlich mit Ausnahme der ungetreuen Hergart) zu ihr gelassen und glänzend bewirtet. Diese aber waren traurig über den vorgeblichen Entschluß ihrer Herrin, in der Normandie zu bleiben. Da lachte die schalkische Gudrun, die sich jetzt so glücklich fühlte, hell auf, sie, der doch seit dreizehn Jahren das Lachen fern gewesen war. Lauscher hinterbrachten dies Gerlinden, und diese gerieth in große Angst wegen des unbegreiflichen Lachens; wohl kam sie jetzt auf den Gedanken, ob die Feinde in der Nähe sein sollten, aber Ludwig und Hartmut beruhigten sie. Gudrun hatte inzwischen die Aufwärter fortgeschickt und die Thüren verriegelt und offenbarte sich jetzt ihren Freundinnen. „Hört", sagte sie, „ich habe heute Herwig und Ortewin geküßt; morgen früh sind sie mit Heeresmacht vor der Burg. Diejenige von euch, die mir zuerst am frühen Morgen die Feldzeichen der Friesen erblickt, werde ich königlich belohnen." 10. Wie die Friesen die Normannenburg nahmen. Beim ersten Grauen des Tages war wirklich die Burg rings einge¬ schlossen. Der Türmer blies; Gerlindc fuhr aus unruhigem Schlaf empor und rüttelte Ludwig auf: „Gudruns Lachen", rief sie, „werden deine Helden heute mit dem Leben bezahlen." Nachdem sic von der Mauer aus die Massen der Feinde beobachtet hatte, bat sie Hartmnt, sich nicht gegen jene ins Freie zu wagen, man könne ja von oben herab Steine schleudern und mit Armbrüsten schießen; aber ihr ritterlicher Sohn hielt nur den Kampf im offenen Felde für ehrenwerth und weigerte sich, ans die Rath¬ schläge der Mutter einzugehen. Man zog aus den Burgthoren. Nun begann aber Wate zum Angriff zu blasen: dreißig Meilen weit hörte man cs längs dem Strande klingen, und als er zum dritten Male blies, da wallten die Meercswellen und der Ufergrund wankte und die Ecksteine wollten aus den Mauern springen. Im ersten Anlauf verwundete Hartmut Ortewin und den ihm zu Hülfe eilenden Horand. An einer andern Stelle trafen Herwig und Ludwig auf einander. Der starke Alte schlug seinen Gegner so, daß er zu Boden sank, aber Herwig raffte sich schnell wieder auf, und indem er mit Scham emporblickte, ob Gudrun auch seine Schmach gesehen habe, sammelte er alle seine Kraft, verfolgte Ludwig und schlug ihm das Haupt herunter. In der Burg verkündete der Wächter den Fall des Königs, und Schreien und Wehklagen erscholl. Das hörte Hartmut, und von schlimmen Ahnungen erfüllt, wollte er jetzt die Seinen hinter die festen Mauern zurück¬ führen. Aber er fand das Thor vom riesigen Wate besetzt. „Das ist mir ein schlimmer Pförtner", rief Hartmnt, aber unverzagt warf er sich auf den