218 162. Der Steinadler. Der Steinadler ist ein königlicher Vogel, der durch Größe und Hal¬ tung Bewunderung erregt. Er ist ungefähr ein Meter lang und.klaftert mit ausgespannten Flügeln gegen 2 >/2 Meter. Der abgerundete Schwanz mißt 36 Centimeter; die zusammengeschlagenen Flügelspitzen erreichen das Ende desselben nicht. Das Männchen (gewöhnlich etwas kleiner und heller gefärbt als das Weibchen) ist schwarzbraun, die Befiederung der Fuß- wurzeln und Schwanzdcckfedcrn lichtbraun, der spitzfedrige Hinterhals rost¬ braun, der Schwanz an der Wurzel weiß, dann aschgrau und schwarzgefleckt, mit breiter, schwarzer Endbinde. Je älter der Vogel wird, desto mehr bräunt sich sein Gefieder ab. Die Jungen sind kohlschwarz mit schmutzig¬ weißen Federfüßen. Der Schnabel ist hornblau, mit gelber Wachshaut gesäumt und 5 Centimeter lang, von der Wurzel an gekrümmt; die Iris ist goldfarbig, im hohen Alter feuerfarben. Der Lauf ist bis an die Zehen mit kurzen, derben, lichtbraunen Federn dicht besetzt; die Zehen sind hell¬ gelb, die Ballen groß und derb, die schwarzen Krallen groß und sehr spitz, die hintern fast 8 Centimeter lang. Das Gewicht eines alten Vogels steigt selten über 12 Pfund. Dieser schöne, mächtige Adler ist in der Schweiz durchaus nur Alpcn- thier und findet sich in allen Zügen unserer Hochgebirge zerstreut vor. Nur im Winter, wenn die Murmelthiere unter der Erde liegen, die Gemsen, Hasen, Schafe und Ziegen sich in die tieferen Wälder und ins Thal ziehen, verläßt er in den Alpen seinen Horst, um die Thäler und Niederungen zu durchstreifen, und auch dann nur auf kurze Zeit. Der Steinadler ist kühner, rüstiger und lebhafter als der Lämmergeier, von dem er sich auch durch seinen hüpfenden Gang unterscheidet. Stundenlang scheint er in un¬ ermeßlicher Höhe am blauen Himmel zu hangen und ohne Flügelschlag in weiten Kreisen dahinzuschwebcn. Muthig, kräftig, klug, scharfsichtig und von sehr feiner Witterung, ist er zugleich außerordentlich scheu und vorsichtig, selten einsam seiner Beute nachspähend, gewöhnlich mit seinem Weibchen das Revier regelmäßig zonenwcisc absuchend. Sein Helles „Pfülüf" oder „hiä — hiä" klingt weit durch die Lüfte und erfüllt das kleinere Geflügel mit Schrecken. Wenn er sich seiner Beute nähert, senkt er sich allmählich festen Blickes auf sein Opfer, stößt dann blitzschnell in schiefer Linie ans dasselbe und packt es mit der eisernen Klammer seiner tief eingeschlagenen Fänge. Kein kleineres Thier ist vor seiner Kralle sicher. Rehkälber, Hasen, wilde Gänse, Lämmer, Ziegen, die er kühn vor Ställen und Häusern weg¬ holt, Füchse, Dachse, Katzen, Feld- und Waldhühner, Hunde, Trappen, Störche, zahmes Geflügel, selbst Ratten, Maulwürfe und Mäuse sind ihm angenehm, vorzüglich aber Hasen, die er seinen Jungen stundenweit mit un¬ geschwächter Kraft zuträgt. Den Vierfüßer rettet der flüchtigste Lauf nicht, eher den kleinen Vogel der hastige Flug. Der Adler setzt seine Jagd mit eben so großer Beharrlichkeit wie List fort und ermüdet das flinke Reb¬ huhn und die rasche Waldschnepfe durch fortgesetzte Verfolgung. Oft jagt er dem Wanderfalken seine Taube, dem Habicht sein Haselhuhn ab. Wo er einmal gute Beute gemacht, dahin kehrt er gern zurück. Im Winter