349 O lieb', so lang du lieben kannst! O lieb', so lang du lieben magst! Die Stunde kommt, die Stunde kommt, Wo du an Gräbern stehst und klagst! Dann kniest du nieder an der Gruft Und birgst die Augen, trüb und naß, — Sie sehn den andern nimmermehr — Ins lange, feuchte Kirchhofgras. Und sprichst: „O schau auf mich herab, Der hier an deinem Grabe weint! Vergib', daß ich gekränkt dich hab'! O Gott, es war nicht bös gemeint!" Er aber sieht und hört dich nicht, Kommt nicht, daß du ihn froh umfängst: Der Mund, der oft dich küßte, spricht Nie wieder: „Ich vergab dir längst!" Er that's, vergab dir lange schon, Doch manche heiße Thräne fiel Um dich und um dein herbes Wort, — Doch still — er ruht, er ist am Ziel! O lieb', so lang du lieben kannst! O lieb', so lang du lieben magst! Die Stunde kommt, die Stunde kommt, Wo du an Gräbern stehst und klagst! Freiligrath. 259. Die fromme Magd. Die fromme Magd vom rechten Stand, Geht ihrer Frauen fein zur Hand, Hält Schüssel, Tisch und Teller weiß Zu ihrem und der Frauen Preis. Sie trägt und bringt nicht neue Mär, Geht still in ihrer Arbeit her, Ist treu und eines keuschen Muths Und thut den Kindern alles Guts. Sie ist stets munter, hurtig, frisch, Vollbringet ihre Geschäfte risch Und hält's der Frauen wohl zu gut, Wenn sie um Schaden reden thut. Sie hat dazu fein die Geberd, alt alles sauber an dem Herd, erwahrt das Feuer und das Licht Und schlummert in der Kirche nicht. B. Ringwaldt. 260. Melanchthon. Wie anderen Gotteshelden, so hatte der Herr auch Luther« helfende Freunde zur Seite gestellt, erst mit und nun auch nach ihm sein Werk zu fördern und zu pflegen. Der größte unter ihnen ist Philipp Schwarzerd, der seinen Namen nach der damaligen Gelehrten Sitte in den griechischen Melanchthon wandelte. Geboren (16. Februar 1497) in dem badischen Städtchen Breiten als eines kunstreichen Waffenschmiedes Sohn, war er bestimmt, der lutherischen Kirche in ihren ersten und vorzüglichsten Be¬ kenntnisschriften gleichsam Schild und Schwert als ein geistlicher Waffen¬ schmied zu bereiten. Darum war er von Gott mit so reichen Anlagen ausgestattet, daß Luther später von ihm sagte: „Es ist auf Erden keiner, der solche Gaben hat wie Philippus." Fast noch im Knabenalter bezog er die Hochschule zu Heidelberg; als siebzehnjähriger Jüngling war er bereits Schriftsteller und Lehrer griechischer Sprache und Weisheit. Seinen höch¬ sten Ruhm aber gewann er zu Wittenberg, wohin er während der ersten reformatorischen Kämpfe 1518 berufen worden war. Hier knüpfte er mit Luther jene wunderbar innige Freundschaft, die für die Verbesserung der Kirche ein unaussprechlicher Segen geworden ist. Denn ausgezeichnet durch reiches Wissen und tiefes Gemüth, durch milden Sinn und eine anmuthige Sprache, wußte Melanchthon die evangelische Wahrheit ebenso scharfsinnig zu erforschen als lichtvoll darzustellen, und während er bei seinem schüch¬ ternen Wesen nie allein ein Reformator geworden wäre, durfte er doch des großen Reformators berathender und liebender Gehülfe sein. Luther drückt dies also aus: „Ich bin dazu geboren, daß ich mit den Rotten und Teufeln muß zu Felde liegen, darum meine Bücher viel stürmisch und kriegerisch sind. Ich muß die Klötze und Stämme ausreuten, Dornen und Hecken wegräumen, die Pfützen ausfüllen und bin der grobe Waldrechter, der Bahn brechen und zurichten muß. Aber M. Philippus fährt säuberlich