495 weiter erstreckt sich sein eigenthümliches Dasein nicht; denn es hängt mit seinen Brüdern durch Gewebe und Kanäle so zusammen, daß die Säfte, welche ein jeder bereitet, dem ganzen Stocke zu gute kommen. Dieser muß demnach als eine lebende Schicht von thierischer Materie angesehen werden, welche durch zahlreiche Munde und eben so zahlreiche Magen er¬ nährt wird. Übrigens ist das feste, kalkige Gerüst oder Skelett stets von der gemeinschaftlichen Haut der Colonie überzogen, aus deren zahlreichen Öffnungen ein reicher Flor von strahligen Blumen hervorkeimt. Da die Steinkorallen ein den Pflanzen ähnliches Wachsthum haben, so finden sich unter ihnen auch alle Pflanzenformen nachgeahmt. Es gibt unter ihnen Flechten und Moose, Sträucher und Bäume, die eine Höhe von zwei bis drei Metern erreichen, zierliche Vasen und regelmäßig ge¬ wölbte Kuppeln, welche zuweilen einen Durchmesser von vier bis sechs Metern besitzen. Von den Korallenthieren der heißen Zone, welche mauerartige Riffe erzeugen, kann man in Wahrheit sagen, daß sie unzerstörbare Bauten auf- . richten. Das Knochengerüste der höheren Thiere verschwindet nach wenigen Jahren von der Erde, aber das steinerne Skelett des Polypen bleibt fest an der Stelle gewurzelt, welche es während des Lebens einnahm, und dient einem neuen Geschlechte zum Fundament, auf dem dasselbe weiter baut. — Wir staunen über die Größe der Pyramiden und Tempel, welche eine längst verschwundene Vergangenheit an den Ufern des Nils auf¬ türmte; aber was sind die kolossalen Prachtbauten der Pharaonen gegen die gewaltigen Mauern, welche von kleinen, schwachen Pflanzenthieren aufgeführt sind! Die Naturforscher theilen aber diese thierischen Felsbauten in drei Klassen ein. !Die Riffe der ersten Art hangen unmittelbar mit den Küsten des festen Landes zusammen, wie dieses namentlich bei allen Korallen¬ bänken des rothen Meeres der Fall ist. Eine zweite Art bildet in grö¬ ßeren Abständen vom Lande einen Wall, der entweder als eine sogenannte Barrière den Küsten entlang läuft, oder eine in seiner Mitte gelegene Insel umschließt. Die gewaltigste Barrière findet sich der Nordostküste Neuhollands gegenüber. Auf einer Strecke von über 200 Meilen Länge und in einer durchschnittlichen Entfernung von 30 bis 50 deutschen Meilen begleitet sie die Ufer des Continents. Die inselumschließenden Riffe sind in der Südsee in großer Zahl vorhanden. Tahiti, die Königin der weiten Jnselflur, ist in beträchtlicher Entfernung von einem solchen umzogen. Mit seinem Gürtel von Palmen und Brotfruchtbäumen erhebt sich das para¬ diesische, gebirgige Eiland in der Mitte einer ruhigen See, welche der ringförmige Korallenwall von der heftigen Brandung des Oceans abschneidet. Die Korallenbänke der dritten Klasse, Atolls genannt, unterscheiden sich von den vorigen nur dadurch, daß sie keine Centralinsel, sondern ringförmig einen Wasserspiegel oder Centralsee umgeben. Auch solche Riffe sind in verschiedenen Gruppen der australischen Jnselflur in großer Zahl vorhanden. Die sogenannten niedrigen Inseln weisen ihrer mehr als achtzig auf. Zwischen den Wendekreisen erzeugt die fortwährende Wirkung der Passatwinde auf die Meeresfläche Brandungen von nie nachlassender Wuth.