199 II. 197. Wie es um Christi Geburt in einem germanischen Hause aussah. 1. Mitten im weiten Walde steht ein Haus; es ist das einzige auf eine halbe Stunde im Umkreise. Den alten Deutschen war nämlich nichts mehr zuwider, als das Leben in Städten; sie nannten diese große Ge— fängnisse und verglichen sie mit Höhlen, die mit Netzen umstellt wären. Das Haus ist aus Baumstämmen gebaut; die Fugen sind mit Moos ausgestopft und mit Lehm verklebt; die vordere Seite, an der die Thür angebracht i, t mit verschiedenen Arten glänzender Erde bestrichen, 10 so daß sie von weitem sich ausnimmt, als wäre sie mit den schönsten Farben bemalt. Rings um das Haus liegen die Felder; der eine Teil ist mit Gerste, der andere mit Hafer bestellt. Eben ist ein Knecht be— schäftigt, den Acker zu pflügen. Zwei starke Ochsen sind an einen Balken ohne Räder gespannt, an dessen unterm Ende mit Riemen die Pflugschar 15 befestigt ist; es ist ein Stein, der in seiner Gestalt einige Ähnlichkeit mit der eisernen Schar hat, die heutigen Tages unsere Bauern brauchen. Hinter den Feldern ziehen tief in den Wald hinein schöne Wiesen, auf denen Herden von kräftigen Pferden und guten Rindern weiden. 2. Treten wir in das Haus ein. Es ist ein einziger Raum ohne 20 Zwischenwände und Abteilungen, mit dem Dache als Decke und der festgetretenen Erde als Fußboden. Dieser Raum, die Halle, ist groß genug, den Hausherrn mit Weib und Kindern, Knechten und Mägden und den Haustieren zu beherbergen. Unter den Bewohnern verdient zu— nächst die Frau des Hauses unsere Beachtung; es ist eine große, stattliche 25 Gestalt mit glänzenden, blauen Augen, weißer Hautfarbe und roten Backen; ihr goldgelbes Haar fällt lose bis über die Hüften herunter. Sie ist an ihrem leinenen Kleide kenntlich, das mit bunten Bändern und mit Purpurstreifen geziert ist. Vor acht Tagen erst war der Kaufmann aus Italien da und hat ihr für ein paar Knechte etliche Ellen dieses 30 kostbaren Zeuges abgelassen. Sie zankt eine der Mägde aus, weil durch ihre Unachtsamkeit das Feuer, das mitten im Hause auf einem großen Steine zu brennen pflegt, verlöscht ist. Sogleich springt die Magd nach dem Feuerzeuge; es ist ein eichenes, in der Mitte mit einem Loche ver— sehenes Brett, an dem an einem Bastfaden ein Espenpflock hängt. Die 35 Magd versteht, was ihres Amtes ist. Sie steckt den Pflock in das Loch und dreht ihn mit dem Faden rasch um. Nach einer mühsamen Arbeit, die sie ein bis zwei Stunden hindurch im Wechsel mit einer andern Magd verrichtet, bildet sich durch die Reibung Kohlenpulver, das zuletzt glühend wird. Sie fängt die Funken mit einem Stücke Feuerschwamm 40 88