251 140. Der Holzwurm. Der bunte Finke baut sein Nest dem schönsten Waldbaum ins Geäst. „Am Ersten soll die Hochzeit sein. Der Baum ist mein.“ Da kommt ein Mann im Jägerkleid und mißt den Baum, wie hoch, wie breit, und gräbt dem Baum ein Zeichen ein. „Der Baum ist mein.“ Ein kleiner Wurm, man sieht ihn kaum, guckt mit dem Köpflein aus dem Baum und lacht und spricht ganz leise: „Nein, der Baum ist mein.“ Rudolf Baumbach. 141. CLeistung und Gegenleistung im Reiche der Natur. Wenn ich durch Wald und Feld wandere und mir überlege, in welcher Weise all das bunte Volk, dem ich auf solchen einsamen Spaziergängen begegne, miteinander verkehrt, dann will es mir scheinen, als wenn es doch viel friedlicher zuginge, als es uns die Herren Naturforscher glauben machen möchten. Wohl besteht ein Wetteifer zwischen all den verschiedenen Geschöpfen, und fast jedes von ihnen strebt, meist im buchstäblichen Sinne des Wortes, nach dem Platz an der Sonne. Aber es will mir scheinen, als ließe sich dieser Wetteifer weit besser, als mit einem erbitterten und auf die Vernichtung des Geg- ners ausgehenden Kampfe, mit dem Wettbewerb vergleichen, wie er etwa in einem großen Handelsplatz besteht, wo auch jeder dem anderen den Rang abzulaufen sucht und doch alle sich miteinander verbunden fühlen und sich gegenseitig wohlgesinnt sind. Der große Unterschied dieses Kampfes von dem anderen besteht darin, daß hier die große Regel von der Ceistung und Gegenleistung die Nampfes⸗ weise bestimmt. Daß auch im Zusammenleben der Geschöpfe in der freien Natur diese Regel eine ungeheure Rolle spielt, das erkennt man um so deutlicher, je tiefer man in dasselbe eindringt. Der naturwissenschaftlich Unerfahrene, der im Walde die Baum— stämme von Flechten überwuchert findet, sieht in ihnen nichts