2 22 552 12. Der Mont Blane. Der Weg über die Gletscher war von der Gefahr des Ausgleitens und Hinabstürzens bedroht und in jeder Hinsicht äußerst mühsam. Aber welche Beschwerden überwindet nicht das Verlangen, mehr zu sehen und zu lernen! Wir hielten uns, 10 bis 12 Fuß von einander entfernt, einer den andern an einem langen Seile fest. Von den Felsen war die Pflanzenwelt verschwunden, und nur etliche Grashalme sproßten einsam hier hervor. Endlich kamen wir an eine Lagerstelle, wo wir uns niederließen, um auszuruhen. Beim Weiter— gehen griff der Schnee und der Wind meine Augen so an, daß ich kaum noch um mich sehen konnte. Wir stießen noch auf mehrere Gletscher und mußten über gefährliche Klüfte springen. Ueber die größeren Spalten hatten sich Schnee- und Eis— brücken gelegt, die wir passiren mußten, obgleich sie einen augenblicklichen Einsturz drohten und unermeßliche Abgründe unter ihnen sich uns entgegen sperrten. Den Schnee fand ich ungemein rein und von blendender Weiße. Alles Leben hörk hier auf, und es herrscht Tod und Grabesschweigen, das nur durch den knarrenden Schnee unterbrochen wurde. Weiter nach dem Gipfel zu thaten sich nach allen Seiten hin Abgründe auf; der Schnee wurde auch so eisig und hart, daß die vorangehenden Führer mit Aexten Fußtritte zum Weitersteigen einhauen mußten. Die Luft wurde so dünn, daß ich kaum Athem schöpfen konnte. Es übermannte mich eine große Müdigkeit und eine Abspannung aller Kräfte. Ein kleine Bewegung verursachte, daß mein Puls schneller ging, und mein Herz heftig klopfte. Alle Eßlust hatte ich verloren, und jede Speise war mir zuwider. Die zunehmende Dünne der Luft war jedoch die Hauptbeschwerde, die ich empfand. Ich fühlte mich so abgemattet, daß ich keinen Schritt mehr thun zu können glaubte, aber vorwärts! sagte ich zu mir selbst, ein Weichling nur verzagt — — und siehe, es ging. Der Schnee wurde nun wellenförmig, und jetzt — jetzt stand ich auf dem Gipfel des Mont-Blanc, auf dem höchsten Punkte eines ganzen Welttheils. Alles Lebendige war tief unter mir. Dem Himmel, aber auch dem Schopfer dieses Berges, stand ich näher. So begeistert, so groß als hier, hab' ich mich nie gefühlt. Ach, von jeder Sünd' und Schwäche wünschte ich jetzt rein zu sein wie die Luft, die ich einathmete. Meine Seele war freier, sie schien alle Fesseln, die ihr der Körper anlegt, abgestreift zu haben. Selig fühlt' ich mich wie die Unsterblichen. Die Luft war hell und klar, und die Aussicht, die ich von dem schmalen Rücken des Berges hatte, war unbeschränkt und unbeschreiblich. Oestlich lag das mailändische, südöstlich das piemontesische Gebiet und südlich Genua vor meinen Blicken. Einen Theil des südlichen Frankreichs, eine Kette Schweizergebirge, Gletscher, Alpen, wie Maulwurfshügel, das Chamouny-*) Thal sah ich zu meinen Füßen. Den Mont-Rosa ausgenommen, welcher fast ebenso hoch als der Mont-Blanc ist, erschien mir das andere Ganze mit seinen Berggipfeln wie ein hügeliger Boden. Die Sonne war gesunken, als ich den Dromedar verließ, von dem ich auf ewig Abschied nahm. en rmson. ) Schamuni.