16 nur bittere Holzäpfel, aber der wenig empfindliche Gaumen der Germanen verschmäht sie ebensowenig wie die Früchte der Eichen und Buchen. Ein schmaler, nur wenig sichtbarer Pfad führt in das Innere des ungeheueren Waldes. Gewaltige Baumriesen erheben ihre Wipfel empor, so daß auch zur Mittagszeit selten ein Sonnenstrahl bis zum Boden durchdringt. Je weiter die Männer ins Innere vor¬ rücken, desto dunkler und wilder wird es im Walde. Aber erst hier fühlen sie sich recht heimisch und wohl. Sind sie doch seit frühester Jugend mit dem Waldleben und seinen Freuden und Gefahren ver¬ traut. Schon als Knaben streiften sie durch den Wald und sam¬ melten Beeren und Pilze, Holzäpfel und Hagebutten, Schlehen und Haselnüsse. An all den kleinen befiederten und behaarten Waldbe¬ wohnern machten sie ihre ersten Schießversuche mit Bogen und Pfeil, und die wachsende Kraft des Jünglings fand in dem Walde Gelegenheit, sich zu stählen und zu erproben. Denn das Dickicht bietet nicht bloß Rehen und Hirschen schützenden Aufenthalt, da haust auch der riesige Elenhirsch oder Elch mit dem breitschausligen Ge- weih, und der mächtige Auerochs oder Wisent, gleich ausgezeichnet durch Schnelligkeit der Bewegung wie durch Kraft der Glieder. Der Wald war ihre Zufluchtsstätte, wenn übermächtige Feinde drohten; dorthin brachten sie ihre Habe in Sicherheit; dorthin zog sich ihre streitbare Mannschaft zurück, wenn sie nichts gegen die überlegene Kriegskunst der gewappneten Römer auszurichten vermochte. Der Wald mit seinem Dickicht und seinen Sümpfen war der einzige Bundesgenosse im Kampfe gegen die fremden Unterdrücker; von hier aus konnten sie im günstigen Augenblick immer wieder hervor¬ brechen und die Feinde angreifen. Heute aber gilt es die Jagd auf einen Bären, der schon seit mehreren Tagen räuberisch in die Viehherden eingebrochen ist. Die Jagdgenossen teilen sich in kleinere Gruppen, um das Tier besser erspüren zu können. Nach langem Suchen sind endlich die Spuren gefunden, die sogleich mit gespannter Aufmerksamkeit iinmer tiefer in das Dickicht verfolgt werden. Man achtet nicht des dornigen Gestrüpps, nicht des sumpfigen Bodens, nicht des Stichs der aufgescheuchten Waldbienen und dringt vor, bis das laute Gebell der voraneilenden Meute die Nähe des Bären ver¬ kündet. Die großen Wolfshunde suchen das Tier in seiner Höhle auf, aber noch verläßt es die schützende Behausung nicht. Der Zu¬ gang zu derselben ist so eng, daß die Angreifer ihm nur einzeln nahen können. Sowie aber das Tier die Nahenden erblickt, springt es wütend auf, doch furchtlos wirft ihm der Vorderste mit geschickter Hand den Speer in die Seite. Der Bär ist nicht zu Fall gebracht; vielmehr erhebt er sich, aufs höchste gereizt, auf die Hinterfüße und