103 Im allgemeinen fließt die Lahn durch ein enges Thal, das in ihrem oberen Laufe nur zweimal, in der Gegend von Marburg und von Gießen, sich zu größeren Thalcbenen öffnet. In Nassau ist an manchen Stellen das Thal fast schluchtenartig; in der Mitte des Landes aber, zwischen Runkel und Diez, dehnt sich das dritte Lahnbecken aus. Es wird durch die breiten Mündungen des Ems-, Aar- und Elbthals noch erweitert und hat die alte, gewerbreiche Stadt Limburg zum Mittelpunkt. Vor nicht langer Zeit waren die nassauischen Städte der Lahn noch durch keine im Thale selbst hingehende Straße verbunden; denn die vielen Windungen des Flusses und die Enge des Thales setzten dem Verkehr nicht geringe Schwierigkeiten entgegen. Die Landstraße, die von Gießen durch die Lahngegcnd nach dem Rheine führt, berührt nur an drei Punkten das eigentliche Flußthal: bei Wetzlar, Weilburg und Limburg; im übrigen geht sie meist über die seitwärts das Thal begleitenden Höhen, und zwar anfangs auf der linken, von Weilburg an auf der rechten Seite der Lahn. Manche Strecken des Thales kann man nur auf schmalen Fußpfaden durchwandern. Seit 1862 aber ist eine für die Lahngegend höchst wichtige Verkehrsstraße in Betrieb: die von Wetzlar bis Lahnstein sich hinziehende Lahneisenbahn, bei deren Anlagen zur Vermeidung der vielen kurzen Krümmungen 18 Tunnel und 9 Lahnbrücken nötig wurden. — Wer auf dieser Bahn das Lahnthal im Fluge durcheilt, wird sich an den freundlichen Landschaftsbildern, die in raschem Wechsel an ihm vorüberziehen, von Herzen erfreuen; den vollen Reiz derselben aber genießt in höherem Maße, wer es auf stillem Pfade zu Fuß durchwandert. Da führt ihn sein Weg bald durch fruchtbare Flächen mit Wiesen und Ackerland, bald an sanft ansteigenden Hügeln und schroff ab¬ fallenden Felsgehängen vorbei, im Schatten von Busch und Wald, die sich an den Abhängen hinabziehen bis zum Ufer des Flusses. Aus dem Grün der Fluren und Obsthaine grüßen ihn freundliche Dörfer und altehrwürdige Städte mit Kirchen und Schlössern, auch malerisch gelegene Klosterbauten und altersgraue Burgen mit hohen Türmen. Das Lahnthal erfreut sich, namentlich in seinem mittleren und unteren Teile, durchgehends eines milden Klimas und ist gesegnet mit einer Fülle nützlicher Erzeugnisse. Die gewöhnlichen Obstartcn gedeihen von Marburg abwärts überall aufs beste, ganz besonders aber in der Gegend von Nassau und Ems. Hier, in der Glut des engen Thales, reifen auch Aprikosen, Pfirsiche und anderes edles Obst, und an den schroffen, sonnigen Abhängen wächst ein nicht zu ver¬ achtender Wein. Auch der Rotwein, welchen man bei Runkel zieht, wird von Weiukennern gerühmt. Der mittlere und obere Teil der nassauischen Lahngegend ist bekannt als ein reiches Fruchtland.