203 kranken Mitbruder durch teilnehmenden Besuch Liebe und Freundschaft beweisen und so den Tag des Herrn auszeichnen durch Werke der Barmherzigkeit. 4. Es ist unstreitig eine Schattenseite unserer heutigen Gewerbe— tätigkeit, daß sie die Bande des Familienlebens lockert. Als der Dampf noch nicht zu der Herrschaft gelangt war, die er jetzt ausübt, war der Handwerker meist in seiner Werkstatt beschäftigt; seine Söhne lernten das gleiche Handwerk, kurz, die ganze Familie lebte und schaffte unter demselben Dache. Heutzutage bringen Väter und Söhne den Tag in der Fabrik zu. Oft arbeiten sie an verschiedenen Stätten und haben weite Wege, und wenn sie abends im Kreise der Familie wieder zusammensitzen, eilen sie ermüdet zur Ruhe. Heil darum dem Tage, an dem die Schlote nicht rauchen und die Fabriktore geschlossen bleiben! Der Ausruf: „Morgen ist Sonntag!“ der dem Munde des fleißigen Arbeiters entschlüpft, verrät, wie freudig bewegt sein Herz ist. Am Vorabend des Feiertags macht der Schlaf seine Rechte nicht so streng geltend, wie an den übrigen Werktagen, und so kann der Arbeiter ein Stündchen länger plaudern und sich ergötzen im Kreise der Seinigen. Am Feiertage selber aber tauschen Vater und Mutter traulich ihre Gedanken aus und überlegen, was geschehen muß zum Wohle des Hausstandes und der Kinder. Nach— mittags macht die ganze Familie einen Spaziergang, und abends wiegt der Vater den kleinen Liebling auf den Knieen. Das Herz geht ihm dabei auf, und er faßt neuen Mut und frische Lust, rastlos zu schaffen für seine Lieben. 5. Nach solchen Betrachtungen sollte man es kaum für möglich halten, daß der Tag des Herrn dem Menschen auch zum Unsegen gereichen kann, und doch ist s leider so. Gar mancher Arbeiter, der die Woche hindurch nüchtern gelebt hat, glaubt am Sonntag sich durch Unmäßigkeit entschädigen zu müssen. Da bricht denn das Feuer der Leidenschaft, das in der Woche durch anhaltende, beschwerliche Arbeit gedämpft war, in hellen Flammen aus. Zu wie vielen Verbrechen die Ausschweifungen am Sonntag verleiten, kann leicht durch statistische Aufstellungen nachgewiesen werden. Im Jahre 1876 waren in 40 deutschen Strafanstalten 10823 Gefangene untergebracht, darunter 963 wegen Körperverletzung und Totschlag, und von den letzteren hatten 380 ihre Tat am Sonntag verübt. Wie traurig ist es doch, daß so manches Gut, welches der Schöpfer zum Heile der Menschen bestimmt hat, durch ihre eigene Schuld Unheil über sie bringt!