140 65. Kannitverstan. Der Mensch hat wohl täglich Gelegenheit, in Emmerdingen und Gundelfingen so gut als in Amsterdam, Betrachtungen über den Unbe— stand aller irdischen Dinge anzustellen, wenn er will, und zufrieden zu werden mit seinem Schicksale, wenn auch nicht viel gebratene Tauben für ihn in der Luft herumfliegen. Aber auf dem seltsamsten Umwege kam ein deutscher Handwerksbürsche in Amsterdam durch den Irrtum zur Wahrheit und zu ihrer Erkenntnis. Denn als er in diese große und reiche Handelsstadt vboll prächtiger Häuser, wogender Schiffe und ge— schäftiger Menschen gekommen war, fiel ihm sogleich ein großes und schönes Haus in die Augen, wie er auf seiner ganzen Wanderschaft von Dutilingen bis nach Amsterdam noch keins gesehen hatte. Lange betrachtete er mit Verwunderung dies kostbare Gebaude, die 6 Kamine auf dem Dache, die schönen Gefimse und die hohen Fenster, größer als an des Vaters Haus daheim die Thür. Endlich konnte er sich nicht entbrechen, einen Vorübergehenden anzureden. „Guter Freund“ redete er ihn an, „könnt ihr mir nicht sagen, wie der Herr heißt, dem dies wunderschone Haus gehört mit den Fenstern voll Tulipanen, Sternen— blumen und Levkoien?“ — Der Mann aber, der vermutlich etwas Wichtigeres zu thun hatte und zum Unglück gerade so viel von der deutschen Sprache verstand als der Fragende von der holländischen, nämlich nichts sagte kurz und schnauzig: „Kannitverstan!“ und schnurrte vorüber. Dies war nun ein holländisches Wort oder drei, wenn man's recht betrachtet, und heißt auf deutsch so viel als: „Ich kann euch nicht verstehn. Aber der gute Fremdling glaubte, es sei der Name des Mannes, nach dem er gefragt hatte. Das muß ein grundreicher Mann sein, der Herr Kanmtverstan,“ dachte er und ging weiter. Gass' aus, Gass ein, kam er endlich an den Meerbusen, der da heißt Het Ey“ oder auf deutsch „das Ysilon.“ Da stand nun Schiff aͤn Schiff und Mastbaum an Mastbaum, und er wußte anfänglich nicht, wie er es mit seinen zwei einzigen Augen durchfechten werde, all diese Merkwürdigkeiten genau zu sehen und zu betrachten, bis endlich ein großes Schiff seine Aufmerksamkeit an sich zog, das vor kurzem aus Ost— indien angelangt war und jetzt eben ausgeladen wurde. Schon standen ganze Reihen von Kisten und Ballen auff und nebeneinander am Lande. immer wurden mehrere herausgewälzt, und Fässer voll Zucker und Kaffee, voll Reis und Pfeffer. Als er aber lange zugesehen hatte, fragte er endlich einen, der eben eine Kiste auf der Achsel heraustrug, wie der che Mann heiße; dem das Meer alle diese Waren an das Land ringe. „Kannikverstan!“ war die Antwort. Da dachte er: „Haha, schaul's da heraus? Kein Wunder, wem das Meer solche Reichtümer an das Land schwemmt, der hat gut solche Häuser in die Welt stellen und solcherlei Tulipanen vor die Fenster in vergoldeten Scherben.“ Jetzt ging er wieder zurück und stellle eine recht traurige Betrachtung bei sich