260 Draußen zieht die kalte Abendluft von den bleichen Gletschern herüber dureh die Mondnacht, oder es liegt ein Nebel über den nächt- lichen Firnen, oder es hebt sich in den Schluchten und Rissen der Hochschroffen ein brausender Gewittersturm und läßt seine Blitze lohen und schmettern über der einsamen Hütte; — sie schieben den Holzriegel vor die Tür und beten ein Vaterunser. Dann sagt sie zu lm: „Buberl, steig hinauf in dein Heu!“ Er lehnt eine Holz- leiter an die Vand und klettert duren eine Offnung hinauf zum Dachboden, zieht seine Schuhe und seine Jacke aus und legt sich ins duftende Heu. Sie tut desgleichen und legt sich in ihr Bett. Draußen im Stalle schellt oder brüllt eins oder das andre der Herde. 3. Die Sennhütten stehen häufig nahe beisammen, so daß sie fast Dörfer bilden; dann herrscht unter den Sennen grober Gemein- sinn. In jedem Senndorf ist eine Person gewaählt, die darauf zu sehen hat, daß die Parteien sich nicht gegenseitig an VWeideplãtzen, Heu und Streu benachteiligen. Meist ist das eine ältliche Magd oder ein Mann, der noch die Obliegenheit hat, die Bewohner der Hütten zu den Gebetstunden aufzurufen. Da tritt er des Abends, wenn sie ihr langes Tagewerk vollendet haben, und wenn in den entfernten Tälern die Glocken klingen, auf einen freien, erhöhten Platz und singt durch einen Milchtrichter, damit es einen lauten Ton gibt, ein frommes Lied. Darauf kommen sie, besonders an den Samstagen, alle zusammen und verrichten gemeinschaftlich ihre Andacht. 4. Gegen Abend ziehen die Sennerinnen aus und rufen den Kuhreigen: „Vo bist denn, mei Gamslo, mei Hirschloꝰ He do, he do! Kriagst an Klee, kriagst an woachi Streu, kriagst a Federl Heu!“ Auf solchen Ruf kommen sie von allen Seiten mit ihren Glocken und Schellen herangezogen, ernst und behäbig, besonders die Glockentrãgerinnen, die sich auf diesen ihren Beruf nicht wenig einbildoen. Beim Herannahen eines Gewitters verden die Herden oft scheu, und alle Kraft und Umsicht muß aufgeboten werden, um die in Sturm und Hagel wild umherfahrenden Rinder vor dem Abstürzen zu bewahren und sie in den Gewahrsam des Stalles zu bringen. Bös ist es auch, wenn Schneewetter eintritt. Dann leidet das Vieh sehr unter Hunger, Nässe und Kälte oder verirrt sieh an gefãhrliche Stellen, so daß die Leute Vache halten müssen. Ist es aber schon spãt im Herbst, so besinnen sich die Sennen nicht lange, sondern rüsten sich zum Aufbruch.