254 — „Ist deine Mutter schon eine alte Frau?“ — „Ach nein, noch nicht gar sehr alt.“ — „Sie ist wohl eine gute Frau?“ — „O ja, meine Mutter ist mir lieber als alle anderen Mütter; aber sie ist so furcht— bar streng! Einmal hat sie mich wegen einer Nuß, die eigentlich meinem Bruder gehörte, so geschlagen, daß das Blut mir vom Rücken floß.“ — „Hast du nun auch ein warmes Stübchen, wenn du nach Hause kommst?“ — „Nein, ich darf meinen Mantel nicht ausziehen, oder ich muß gleich ins Bett kriechen.“ 5. Lange sah ihn Frau Cotta an, endlich nahm sie ihn an die Hand, führte ihn über den Hausflur zu einer Treppe und stieg mit ihm zu dem oberen Stockwerke empor. Hier brachte sie Martin Luther in ein freundliches Zimmer, das angenehm durchwärmt war. „Möchtest du hier in meinem Hause wohnen und an meinem Tische essen?“ fragte sie ihn. Als er sie verwundert ansah und nicht ant— wortete, setzte sie hinzu: „Dies ist das Zimmer meines Sohnes, der auch wie du das Gymnasium besucht und den du wohl kennst. Er ist ein gar lieber und braver Junge, aber er hat keine rechte Lust zum Lernen. Ich habe mir deshalb gedacht, du könntest gut mit ihm zusammen wohnen und zusammen lernen und ihn zum Fleiß an— halten, daß er auch ein tüchtiger Mann wird, wie es sein verstorbener Vater war. Wenn du sein Freund sein willst und willst ihn zum Guten anhalten und zum Lernen ermuntern, so will ich dich halten, als wärest du sein Bruder. — Überleg dir's, ob du willst.“ — O ja, er wollte; mit Tränen dankte er, dann stürzte er davon, um seine Bücher zu holen. H. Scharrelmann. 175. Die Tischreden. 1. Wenn der freundliche Leser auf seiner Reise von Nürnberg aus, der Heerstraße nach, immer gerade gen Süden wandert, kommt er sogleich jenseits der Altmühl in ein kurzes Seitental derselben. Ein Hunger— bach, den die Landleute lieber leer als voll sehen, weil trockene Jahr— gänge mehr für die Scheune liefern als nasse, hat darin sein Bett, und ein hoher Berg schließt es gegen Mittag. Rechts von der Straße, die an des Berges Seite hinauf liegt, steht ein Bauernhof mitten unter den Äckern und Wiesen, die zu demselben gehören. Gewaltige Apfelbäume und Nußbäume legen zum Teil ihre Arme auf die Schieferdächer des Wohnhauses und der Scheune. Eine Quelle hinter dem Garten, die in eine Rinne gefaßt ist, hält nicht nur den eichenen Tränktrog für das Vieh, sondern auch eine kleine Pfütze für einige Frösche und Unken immer voll. 2. Dieses Bauerngut stand schon im Jahre 1618, und wie es