130 Körper so zart, daß man eine Schrift hindurch lesen kann. Aber dann geht eine seltsame Veränderung mit ihm vor: der flache Körper verdickt sich, wird rund wie ein Bindfaden, das Blut erhält eine gesundere Farbe, und auch die Haut wird dunkler. Nun ist das Alchen fertig. Vom April bis zum Juni tritt dann die junge Aalbrut in die Flußmündungen. Nach Millionen mögen die Tierchen zählen; denn ein dichtgedrängter Schwarm von mehreren Meter Breite und etwa ein Meter Tiefe ist es, der sich den Fluß hinaufschlängelt und sich dann verteilt in alle Zuflüsse, in alle Rinnsale, in die Teiche und Seen, die mit dem Strom in Verbindung stehen. Kein Wasser ist dem jungen Alchen zu reißend, es weiß dagegen anzukämpfen; selbst den Rheinfall überwindet es. Eine kurze Strecke wird wohl im Notfall auch einmal zu Fuß zurückgelegt, wenn man so sagen darf. Am Ziele der langen Wanderfahrt richten sich dann unsere Rei— senden — es sind lauter Weibchen — häuslich ein. Tagsüber halten sie sich meist verborgen im tiefen Schlamme; des Nachts aber gehen sie auf Raub aus, wobei ihnen tierische Stoffe aller Art willkommen sind: Würmer, Insekten, Kaulquappen, Frösche, kleine Fische; selbst Aas wird nicht verschmäht. Die liebste Mahlzeit scheint ihnen aber Fischbrut zu sein, weshalb in Zuchtteichen der Aal als schlimmer Gast gilt. Fünf bis sechs Jahre etwa währt dies beschauliche Leben, und nun ergreift die meterlangen Tiere eine unwiderstehliche Sehnsucht nach ihrer Heimat, daß sie sich von neuem auf die Reise machen. Besonders gern wandern sie im Herbst bei trübem, stürmischem Wetter. Nach Hause, nach Hause! das ist der Wunsch, der alle beseelt und dessen Erfüllung, ach! so viele nicht erleben, die in Aalreusen, in Netzen oder am Angelhaken die Beute des Menschen werden. In den Koch— topf, in die Räucherkammer führt die Fahrt; aber es sind doch noch ungezählte, die solch hartem Schicksal entgehen. Immer dichter werden die Schwärme nach den Flußmündungen zu, und nun geht es hinaus in die salzige Flut und hinab in die Tiefen, wo der Laich abgelegt wird. Wie lange die Reise währt, das weiß freilich kein Mensch, und was weiter aus den Reisenden wird, das kann auch niemand mit Bestimmtheit sagen. Nur das eine ist sicher, daß keines der Weibchen noch ein zweites Mal die Reise ins Binnen⸗ land unternimmt, wo es seine Jugendjahre verlebt hat. Nach Martin Bräß.