74 — Totengräber eine Schaufel angesetzt hatte. Aber Gott schützte die Kleinen vor wilden Tieren und vor dem tödlichen Froste, und, eng an einander gedrängt, schliefen sie zuletzt ein. Ihre Eltern schliefen zu Hause auch ruhig, denn sie meinten, die Kinder z wären bei der Pate wohl aufgehoben. Als sie aber am andern Morgen einen Boten ausschickten, der die Mädchen holen sollte, und dieser sie nicht fand, da ging sogleich jedes, das laufen konnte, mit Schaufeln und Schippen hinaus in den Schnee, um die Kinder zu suchen. Man kam bei diesem Suchen auch an den Hohlweg, und dort sah man das Notzeichen der Kleinen, die beiden zu— sammengesteckten Spinnrocken mit dem roten Tüchlein, das gerade noch ein wenig aus dem Schnee herausstand. Da konnte man sich nun denken, daß die Mädchen auch nicht weit davon verborgen sein müßten; deshalb rief und schrie man sehr laut. Und die Kinder drinnen in ihrer kalten Kammer hörten das Rufen, sie antworteten und versuchten zugleich, mit ihren Händen sich herauszuarbeiten. Dies aber wäre ihnen wohl unmöglich gewesen, wenn nicht die Männer außen, die den Laut von innen vernommen hatten, mit Schaufeln den großen Schnee— haufen, der um die Mädchen her lag, hinweggearbeitet hätten. Denn der ganze Hohlweg war in der Nacht zugeschneit, und es war nur gut, daß die kleinen Tannenbäumchen das schwere Dach von Schnee noch getragen hatten, 2 sonst wären die Kinder erstickt. So aber kamen sie ganz wohlbehalten heraus ins Freie, keines ihrer Glieder war vom Frost beschädigt, denn der Schnee hatte sie gegen den scharfen Wind zugedeckt, und sie hatten sich eines am andern erwärmt. Die Eltern aber und alle Leute im Dorfe freuten sich gar herzlich über die Rettung und Bewahrung der guten Kinder und dankten Gott inniglich dafür. 116. Die sonderbare Mauer. Caspari.) In einem Dorf war zur Winterszeit der Feind angesagt worden. Der hatte überall grausam gewirtschaftet und nahte in großen Haufen, und die Leute im Dorfe hatten selber nicht viel mehr, als das nackte Leben und ihre leeren Häuser. 30 Drum rannten sie ratlos hin und her mit Jammern und Klagen, wußten nicht was anfangen, und hielten sich alle für verloren. Gerade im ersten Hause des Dorfes wohnte eine alte Großmutter mit ihrem jungen Enkel; die dachte, als sie die Hiobspost vernahm: „In Gottes Namen! Ich will beten,“ nahm ihr Gesang— buch, legte die Hände zusammen, betete ihr Lied, und drin kamen die Worte vor: Eine Mauer um uns bau', daß dem Feinde davor grau'. „Ach, Großmutter,“ sagte der Enkel, „es wäre wohl gut, wenn unser Herrgott eine Mauer um uns bauen wollte, wir hätten's am allernötigsten, denn in unser Haus werden sie am ersten fallen, die hungrigen Wölfe, aber das ist 10 doch nichts geredet!“ — „Ei wohl,“ sagte die Alte, „er kann alles, er wird's wohl können!“ Draußen fing's an still aber heftig zu schneien, der Nordwind blies dazwischen, und endlich zogen die Feinde heran. Bald hörte man ihr Geschrei durchs ganze Dorf, es wurde an die Läden geklopft, geflucht und um Hilfe gerufen, und eine ganze Stunde lang hörte man immer neue 5 Scharen ins Dorf reiten. Vor dem Hause der Großmutter aber blieb alles still — die Feinde ritten wohl lärmend vorbei, aber ans Haus rührte keiner;