— 211 — Nun wurde einst das gesegnete Rheinland arg heimgesucht. Erst kam eine solche Hitze und Dürre, daß alles auf den Feldern versengte und vertrocknete; danach kam unaufhörlicher Regen, der das vollends vernichtete, was noch von der Hitze übrig geblieben war. Es entstand bald eine furchtbare Hungersnot, und man hörte viel Jammern und Klagen. Nur der Bischof Hatto empfand keine Not, seine Speicher waren noch zu guter Zeit von unten bis oben gefüllt worden; aber obwohl er einer der ersten Geistlichen der Christenheit war, so schümte er sich doch nicht, recht gemeinen Getreidewucher zu treiben. Das Volk strömte täg— lich nach seinem Palaste und bat um Brot; aber nur gegen Bezahlung wurde etwas von den Vorräten verabreicht, und wer kein Geld hatte, wurde ein Bettler und Müßiggänger gescholten und fortgetrieben. Da nun der Erzbischof wegen seiner Härte auch sonst nicht beliebt war, rottete sich eines Tages das erbitterte Volk zusammen, belagerte ihn in seinem Schlosse und wollte sich mit Gewalt Eingang erzwingen. Aber der König schickte eine bewaffnete Schar zu Hilfe, und so wurden die Empörer leicht bewältigt und eine Menge Gefangener in das Schloß geführt. Da sprach Hatto mit bitterem Hohne: „Diese Leute wollen meine Frucht haben, gut, man sperre sie dort in eine der Scheunen!“ Es geschah, und darauf gab er den Befehl, Feuer an die Scheune zu legen. Schnell loderte die Flamme rings empor. Verzweiflungsvoll sahen die Unglücklichen, welch ein Schicksal sie erleiden sollten; ein ent— setzliches Klaggeschrei drang durch Rauch und Feuer. Da rief der Erz— bischof mit teuflischem Gelächter: „Hört, hört, wie die Kornmäuse piepen!“ Die Unglücklichen verbrannten bis auf den letzten Mann. Aber den hartherzigen Erzbischof traf die verdiente Strafe. Als er abends nach köstlichem Schmause in sein prächtiges Schlaf— gemach ging, hörte er plötzlich ein unheimliches Pfeifen und Piepen, und sogleich drangen aus allen Ecken unzählige Mäuse hervor, die wütend um ihn herum fuhren und auf ihn eindrangen. Entsetzt rief er seine Diener zu Hilfe; aber sie konnten die Tiere nicht verscheuchen, es kamen ihrer immer mehr. Da erfaßte auch die Diener ein Grauen, sie be— kreuzten sich und flohen davon. Der Erzbischof warf sich in seiner Angst aufs Pferd und jagte mit einem Trupp Knechte nach der stromabwärts gelegenen Burg Ehrenfels; dort hoffte er Ruhe zu finden. Aber seine Quäler kamen ihm nach; bald wimmelte das ganze Schloß von ihnen, und sie wurden zur ekelhaften und entsetzlichen Plage. Da schlug dem Erzbischof das Gewissen; aber es war zu spät, die gerechte Strafe traf ihn fort und fort. Er floh darauf vor seinen Quälern nach dem festen Zollturme auf der Felseninsel im Rheine; er ließ dort sein Bett in Ketten aufhängen und meinte so zu verhindern, daß die Mäuse ihn auf seinem Lager peinigten. Aber die Mäuse schwammen ihm über den Rhein nach, schlüpften durch alle Löcher und Spalten und fraßen ihn 12*