257 — 38. Der alte Sultan. Märchen. — Brüder Grimm.) Es hatte ein Bauer einen treuen Hund, der Sultan hieß; der war alt geworden und hatte alle Zähne verloren, so daß er nichts mehr fest packen konnte. Zu einer Zeit stand der Bauer mit seiner Frau vor der Hausthüre und sprach: „Den alten Sultan schieß ich morgen tot, der ist zu nichts mehr nütze.“ Die Frau, die Mitleid nin dem treuen Tiete hatte, antwortete: „Da er uns so lange Jahre gedient hat und ehrlich bei uns gehalten, so könnten wir ihm wohl das Gnadenbrot geben.“ „Ei was,“ sagte der Mann, „du bist nicht recht gescheit; er hat keinen Zahn mehr 10 im Maul, und kein Dieb fürchtet sich vor ihm, er kann jetzt abgehen. Hat er uns gedient, so hat er sein gutes Fressen dafür gekriegt.“ Der arme Hund, der nicht weit davon in der Sonne ausgestreckt lag, hatte alles mit angehört und war traurig, daß morgen sein letzter Tag sein solle. Er hatle einen guten Freund, das war der Wolf, zu 15 dem schlich er abends hinaus in den Wald und klagte über das Schicksal, das ihm bevorstände. „Höre, Gevatter,“ sagte der Wolf, „sei gutes Mutes, ich will dir aus deiner Not helfen. Ich habe etwas ausgedacht. Morgen in aller Frühe geht dein Herr mit seiner Frau ins Heu, und sie nehmen ihr kleines Kind mit, weil niemand im Hause zurückbleibt. Sie pflegen 20 das Kind während der Arbeit hinter die Hecke in den Schatten zu legen. Lege dich daneben, gleich als wolltest du es bewachen. Ich will dann aus dem Walde herauskommen und das Kind rauben. Du mußt mir eifrig nachspringen, als wolltest du mir es wieder abjagen. Ich lasse es fallen, und du bringst es den Eltern wieder zurück; die glauben dann, du hättest 25 es gerettet und sind viel zu dankbar, als daß sie dir ein Leid anthun sollten; im Gegenteil, du kommst in völlige Gnade, und sie werden es dir an nichts mehr fehlen lassen.“ Der Anschlag gefiel dem Hunde, und wie er ausgedacht war, so ward er auch ausgeführt. Der Vater schrie, als er den Wolf mit seinem Kinde 30 durchs Feld laufen sah; als es aber der alte Sultan zurückbrachte, da war er froh, streichelte ihn und sagte: „Dir soll kein Härchen gekrümmt werden, du sollst das Gnadenbrot essen, so lange du lebst.“ Zu seiner Frau aber sprach er: „Geh gleich heim und koche dem alten Sultan einen Weckbrei, den braucht er nicht zu beißen, und bring das Kopfkissen aus meinem 35 Bette, das schenl' ich ihm zu seinem Lager.“ Von nun an hatte es der alte Sultan so gut, als er sich's nur wünschen konnte. Bald hernach be⸗ suchte ihn der Wolf und freute sich, daß alles so wohl gelungen war. „Aber Gevatter,“ sagte er, „du wirst doch ein Auge zudrücken, wenn ich bei Gelegenheit deinem Herrn ein fettes Schaf weghole. Es wird einem 40