— 1560— „Was hast du mit dem alten Mann?“ fragte sein Herr. „Du bist so zärtlich besorgt für ihn: ist es vielleicht dein Vater?“ „Nein, Massa,“ sagte der Sklave, „es ist mein Vater nicht.“ — „Oder einer deiner Anverwandten?“ — „Nein, Massa, er ist kein Verwandter von mir.“ — „Wer denn, dein Freund?“ — „Nein, Massa, er ist auch nicht mein Freund.“ — „Nun was denn?“ fragte der Herr. — „Er ist mein Feind, Massa. Dieser Mann hat mich, als ich noch ein kleines Kind war, von meinem Vater und meiner Multer weggerissen und in die Sklaverei verkauft. Und im Worte Gottes habe ich gelesen: So deinen Feind hungert, so speise ihn; dürstet ihn, so 10 tränke ihn!“ 240. Till Eulenspiegel. O. Schulz.) In dem Munde des Volkes lebt noch jetzt nach 500 Jahren der Name eines durchtriebenen Schalks, Till Eulenspiegel mit Namen, der seine größte 15 Lust daran fand, die Welt zu durchwandern, lustige und ungezogene Streiche zu verüben und andern, wie man sagt, einen Schabernack zu spielen, am häufigsten dadurch, daß er ihre Aufträge buchstäblich verstand und auch buch— ftäblich ausrichtete. Ein Barbier, der ihn auf der Landstraße zum Gesellen annahm, bezeichnete ihm, weil er nicht selbst nach Hause ging, seine Wohnung. 20 „Sieh nur,“ sagte er, „nach dem roten Hause an der Ecke des Marktes, mit den hohen Fenstern von Spiegelglas, da geh nur hinein und warte, bis ich fomme!“ Till Eulenspiegel bezog die Worte „da geh nur hinein“ auf die Fenster; er ging nicht durch die Thür, wie andere Leute, sondern stieg durch ein Fenster, dessen kostbare Scheiben dabei zerbrochen wurden. Als der Herr 2b vernahm, was der neue Geselle vollführt hatte, hieß er ihn sofort des Weges gehen, den er gekommen sei, und Eulenspiegel brach ein zweites Fenster in Slücke, um nur des Weges zu gehen, auf dem er gekommen war. Ein anderer Meister nahm ihn mit den Worten in Dienst, bei ihm habe er nur die halbe Arbeit zu thun. Das nahm der Schalk abermals wörtlich 30 und that jegliche Sache nur halb. Wenn er nach der Stadt gehen sollte, kehrte er unverrichteter Sache auf der Hälfte des Weges um, und wenn er die Pferde vor den Wagen spannen sollte, spannte er nur ein Pferd vor, und wenn er ein Fuder Holz holen sollte, kam er zurück mit halber Ladung; denn es sei ihm ja geheißen, daß er immer nur die halbe Arbeit thun solle. Das wurde seinem Herrn am Ende doch verdrießlich, und er hieß ihn das Haus räumen. Das that der Schalk denn auch im eigentlichen Sinne und warf in Abwesenheit seines Herrn Stühle und Tische, Bänke und alles Hausgerät zum Hause hinaus. Einem Roßtäuscher kaufte er eines Tages ein Pferd für 24 Gulden ab und verabredete, er wolle ihm die Hälfte sogleich bar zahlen, die andern 12 Gul— den aber wolle er schuldig bleiben. Als nach längerer Zeit der Roßtäuscher an die rückständigen 12 Gulden erinnerte und zuletzt ernstlich auf die Bezahlung drang, da meinte Eulenspiegel, das sei ganz gegen die Abrede, denn sie wären ja einig geworden, daß er die 12 Gulden schuldig bleiben wolle. Viele seiner Abenteuer sind nach der Sitte damaliger Zeit sehr derb und 45 unanständig zu erzählen; aber zuweilen hatte er gar gute Einfälle, die seinen Namen berühmt machten.