55 Die Lerche sich zum Himmel schwingt und lobet Gott, dab laut es klingt; sie singt und ruft mir schmetternd zu: «Mein Kind, nun bet und sing auch dul» 77. Das Himmelblau. Die düsteren Regenwolken haben sich verzogen, nur eine kleine Schar niedlicher, weißer Lämmerwölkchen ist noch zu sehen. Ringsum leuchtet der Himmel im herrlichsten Blau. Über unserm Haupte ist die köstliche Färbung am tiefsten und kräftigsten. Je weiter abwärts nach dem Hori— zonte wird das Blau lichter, und an den fernen Bergen erscheint es als weißlicher Duft. Wir gehen hinaus auf den sonnigen Bergeshang und legen uns hin in den weichen, warmen Moosrasen. Wir schauen hinauf und mitten in das dunkle Blau über uns hinein. Tief, tief und immer tiefer dehnt sich der Himmelsraum, und es ist, als müßte man alle die gestorbenen Lieben dort oben im wonnigen Blau wiederfinden und als Engel am Throne Gottes spielen sehen. Ein wunderbares Gefühl wird rege, wenn wir so in den tiefblauen Himmel hineinschauen. Wie hoch ist der Himmel? Wie weit reicht das blaue Gewölbe? Wer hat es gemessen? Wer kann es sagen? Niemand. Aber das wissen wir: Je reicher das Luftmeer an wässerigen Dünsten ist, desto heller blau wird seine Färbung. Je weniger Wasserdampf in ihm ist, je mehr sich der Himmel abgeregnet hat, desto dunkler und reiner ist das Himmelblau. Das ist aber nur selten der Fall, weil unaufhörlich von der Erde unsichtbare Wasserdämpfe hinaufsteigen in den unendlichen Himmelsdom. Vom weiten Meere, vom kleinen Weiher, vom trüben Moore und von der klaren Quelle schweben feine Nebel auf und ziehen höher und höher. Die Tauperle am Grase, die Thräne im Auge, der Schweiß des Angesichts — auch sie steigen empor in die reine Himmelsluft. Jenseits des Luftmeeres gibt es kein Himmelblau. Die höchsten Berge der Erde ragen eine Meile in die Höhe; 10 Meilen hoch ist das Luftmeer, auf dessen Grunde wir wandeln. Kühne Männer sind im Luftballon eine Meile hoch emporgestiegen, aber dort war das schöne Blau fast ganz verschwunden; die Luft war trocken und dünn, scharf und kalt, selbst wenn drunten auf der Erde der blühende Sommer waltete.