2 Ergreifend ist der Anblick des vom Sturme bewegten Meeres. So wie man gedankenlos oder vielmehr seiner Gedanken unbewußt die verheerende Glut eines Brandes anstarrt, entsetzt vor dem fürchterlichen Elemente zurück- bebt und doch immer wieder hinblickt, um sich an dem erhabenen Schauspiele der entfesselten Flammen zu ergötzen, so steht auch der Wanderer wie fest gebannt am Meeresstrande, hinausstarrend in die tobenden Wassermassen. Als wären sie erzürnt, auf Grenzen zu stoßen, schmettern sie schäumend an die Felsen oder rollen pfeilschnell, eine Woge die andere treibend, auf dem Sande dahin und ziehen sich dann für einen Augenblick zurück, als wollten sie mit erneuten Kräften den Sturm versuchen, um die sie festbannenden Ufer 10 zu zermalmen. Einem Träumenden gleich versinkt der Mensch in der An— schauung der nie geahnten Pracht des entfesselten Wassers, bis ihn ein da— hingleitendes Segel oder ein brausender Dampfer aus seiner stummen Be— wunderung aufweckt und an die Wirklichkeit erinnert. 288. Das Schifflein. Uhland. 1. Ein Schifflein ziehet leise A4. Das Mädehen sab so blöõde, 15 den Strom hin seine Gleise. als fehlt ihr gar die Rede; Ps schweigen, die drin wandern, jetzt stimmt sie mit Gesange denn keiner kennt den andern. 2zu Horn und Hlötenklange. 2. Was zieht hier aus dem Felle 5. Die Rudrer auch sieh regen der braune Weidgeselle? mit taktgemäben Schlägen, 20 Ein Horn, das sanft erschallet; das Schiff hinunter flieget, das Ufer wiederhallet. von Melodie gewieget. 3. Von seinem Wanderstabe 6. Hart stöbt es auf am Strande, schraubt jener Stift und Habe man trennt sieh in die Lande. und mischt mit Hötentönen Wann treffen wir uns, Brüder, 25 sich in des Hornes Dröhnen. auf einem Schifflein wieder? 289. Der rechte Steuermann. Caspari. Ein Geistlicher in einem Seestädtchen fuhr auf einem kleinen Schifflein vom Ufer nach der gegenüberliegenden Insel. Am Hintertheil des Schiffes stand der Steuermann; vorn saßen zwei Matrosen, Vater und Sohn, und handhabten die Ruder. „Ihr seid heute wieder traurig, Jack,“ sagte der s0 Geistliche zu dem Vater. „Freilich,“ antwortete der Matrose; „der Winter ist vor der Thüre, und wie wird's werden mit meinen fünf Kindern? Ich bin den ganzen Tag voller Sorge.“ — „Das sollt ihr aber nicht sein; denn der Heiland sagt: Sorget nicht!“ — „Den Spruch versteh' ich nimmer und nimmer; also soll ich mich jetzt auf die faule Haut legen, von meinen 35 paar ersparten Groschen mir einige gute Tage machen und es darauf an— kommen lassen, ob der liebe Gott etwas beschert für Weib und Kind, oder ob sie hungern und frieren müssen?“ „Bas nicht, aber — holla, Jack! was ist denn das?“ rief plötzlich der 29