185. Die Croberung Jerusalems. 129 Antiochia wurde nach monatelanger Belagerung mit Sturm genommen. Nach drei Jahren unermeßlicher Mühseligkeiten, welche Hunger, Hitze und Verrath der Griechen herbeigeführt hatten, erreichten die Kreuzfahrer Jerusalem. Nur 20,000 streitbare Männer begrüßten die Stadt, aber alle Mühsale waren vergessen. Namenlose Wonne ergriff sie; sie weinten vor Freude und küßten den Erdboden und wären gern gleich eingezogen. Aber die Stadt war befestigt und von 60,000 Mohamedanern besetzt. Man schickte sich zum Sturme an; aber die Türken schlugen ihn ab. Wochenlang wurde die Stadt belagert— Brennender Durst quälte die Belagerer, da weit und breit die Brunnen ver— schüttet waren. Meilenweit mußte das Holz zu den Belagerungswerkzeugen berbeigeschafft werden. Man bereitete einen neuen Sturm. Leitern, Wurf— maschinen und Belagerungsthürme wurden gezimmert. In feierlichem Zuge, die Priester voran, bewegte sich das Heer, von den Türken verhöhnt, um die Stadt. Am 14 Juli 1099 näherte man sich den Stadtmauern. Ein Hagel von Steinen und Wurfspießen empfängt die Angreifenden. Ueber Leichenhüßel hinweg schreiten sie voll Todesverachtung. Die Kriegsmaschinen werden heran— gebracht. Schon jubelt das christliche Heer. Da bricht die Nacht herein und macht dem Kampfe ein Ende. Kaum dämmert der Morgen, so beginnt die blutige Arbeit von neuem. Mit Erbitterung vertheidigen fich die Türken. Töpfe mit brennendem Pech und Schwefel, Steine, Balken, selbst Leichname werden auf die Köpfe der Belagerer hinabgeschleudert. Sie weichen. Ein Iubelruf der Türken erschallt. Da erblickt Gottfried von Bouillon auf dem Delberg eine Rittergestalt in weißer Rüstung und den hellstrahlenden Schild schwingend. „Seht da,“ ruft er, „ein Cherub mit flammendem Schwerte, den Gott uns zum Milstreiter sendet.“ — „Gott will es! Gott will es!“ antwortete die Schaar der Christen, und mit wildem Ungestüm dringt sie vorwärts. Gotl— fried erklimmt zuerst die Mauer. Die Seinen folgen; Schaar drängt sich auf Schaar, und Jerusalem ist erobert. Ein schreckliches Morden beginnt. Maͤnner und Weiber, Greise und Kinder tödtet erbarmungslos das Schwert der Chuisten. Von Gasse zu Gasse wälzt sich der Mord. In den weiten und festen Mauern des Tempels haben Tausende Rettung gesucht; aber der Tempel wird erstürmt, und die Unglücklichen werden erschlagen. Das Blut fließt in Strömem 10,000 Feinde sind getödtet; aber noch ist das Morden nicht zu Ende. Nur Gottfried hält sich fern von diesem Würgen. Barfuß, ohne Helm und Panzer eilt er in die Kirche zum heiligen Grabe, um dem Herru für den errungenen Sieg zu danken. Nach dreien Tagen endlich endet Mord und Plünderung. Nun werden die Straßen gereinigt; die Sieger waschen das Blui von ihren Händen, und, in weiße Gewänder gehüllt, wandeln sie in feierlichem Zuge nach dem heiligen Grabe. Die Geistlichkeit kommt ihnen entgegen mit hoch⸗ erhobenen Kreuzen und mit frommen Gesängen, und voll Andacht sinkt die siegreiche Schaar in den Staub. Gottfried wurde zum Könige von Jerusalem erwählt. Allein er weigerte sich beharrlich, da eine Königskrone zu tragen, wo sein Heiland die Dornen— krone getragen hatte, und begnügte sich damit, Beschützer des heiligen Grabes zu heißen. Er starb schon nach einem Jahre und ward in der Kirche des heiligen Grabes zu Jerusalem begraben. Auf sein Grab schrieben die rauernden Kreuzfahrer die einfachen Worten „Hier liegt Gottfried von Bouillon, welchen Keck, Deutsches Lesebuch J. 2. Aufl.