10 jeder verachtet sie, und wenn sie auch steinreich wären. Freund— liches Wesen und Dienstfertigkeit ist der Schlüssel zum Herzen aller Menschen. Wenn ein Fremder ins Dorf kam, war Hänschen immer der erste, welcher lächelnd grüßte. Die andern Knaben standen indessen da wie Brunnenpfähle und konnten die Kappe oder den Hut nicht vom Kopfe bringen, als wären sie angepicht. Es kam wohl zu— weilen, daß ein Fremder nach dem Wege fragte. Statt ordentlich zu antworten, standen sie wohl stumm und dumm da und sahen einander an, und lachten und machten alberne Gesichter wie Gänse, wenn's donnert. Hänschen war aber gleich bei der Hand, antwortete und begleitete den Fremden selbst auf den Weg, bis er nicht mehr irren konnte. Dafür erntete er manchen freundlichen Dank ein; denn Almosen zu nehmen, schämte sich Hans. Das gefiel der Mutter, die eine anständige Frau war, und sie sprach: „Du hast recht! Könige und Fürsten grüßen ihren ge— ringsten Unterthan freundlich, warum sollen wir nicht desgleichen thun?“ Nun, was geschah? Hans war sechszehn Jahre alt, stark und groß und half seiner Mutter durch Tagelohn das Brot verdienen, das er mit ihr teilte. Wegen seiner Höflichkeit hatte ihn jedermann lieb. An einem Sonntage saß er mit andern Leuten vor dem Wirtshause an der Landstraße. Da kam des Weges ein alter Herr aus der Stadt, welcher spazieren ging. Ein Betrunkener ging ihm entgegen, fluchte und schwor lästerlich und wollte mit dem alten Herrn tanzen. Nun lachten die andern aus vollem Halse; aber keiner ging, den Fremden vor den Beleidigungen des Trunkenboldes zu schützen. Da sprang Hans hin, warf den Betrunkenen auf die Seite und führte den alten Herrn zum Pfarrer, zu welchem er begehrte. Kaum eine Viertelstunde nachher kamen zwei Karossen voller Herren und Damen. Die Leute saßen da und gafften und sperrten die Mäuler auf, als sollten ihnen Kutsche und Pferde da hineinfahren. Endlich sagte einer: „Das ist gewiß der Oberherr, der zum Schlosse fährt!“ — Da zogen sie alle, einer nach dem andern, den Pfanndeckel vom Kopfe, obgleich die Wagen schon längst vorbei waren und am Schlosse hielten. Nun gingen sie hin und gafften aus der Ferne wie die Schafe, wenn ein fremder Hund kommt. Da sahen sie den alten Herrn, vom Pfarrer begleitet, zum Schloß gehen und Hans neben ihm. Der alte Herr war der