1 Vorrede zur ersten Auflage. Die vorliegende Auswahl von Beispielen und Lesestücken aus der deutschen Literalur alter und neuer Zeit ist zunächst für solche Lehranstalten berechnet, welche die deutsche Likeraturgeschichte in die Zahl ihrer Lehrgegen⸗ stände aufgenoͤnmen haben, ohne jedoch die für das Erlernen der altdeut— schen Spraͤche erforderliche Zeit darauf verwenden zu können; und bei der hohen Bedeutung, welche diese Wissenschaft in unsern Tagen unter allen gebildeten Sländen erlangt hat, möchten wohl wenige Schulen, die sich nicht uf die ersten Elemente beschränken, dieses Lehrzweiges für die Zukunft sich entschlagen dürfen. Wit glauben daher, keine überflüssige Arbeit unter— nomnmen zu haben, wenn wir aus dem großen Schatze unserer nationalen Lileratur solche Theile auswählten und der Jugend zugänglich machten, die sich theils durch das allgemein menschliche oder vaterländische Interesse auszeichnen, theils einen großen Einsluß auf die Gesinnung und Ansichten ihrer Zeitgenossen geübt haben oder für die Erkenntniß der geistigen Rich— lung anes Zellalters von Bedeutung sind. Die Mühe der Auswahl war um so größer, als dabei verschiedene Rücksichten zugleich ins Auge gefaßt werden mußten. Es kam weniger darauf an, die Zusammenstellung mög— lichst vollständig zu machen, als vielmehr solche Schriftsteller auszuwählen, die in der Geschichte unserer Literatur bereits einen anerkannten Rang be— haupten und eine feste Stellung einnehmen, und aus ihren Werken vor— zugsweise solche Partien hervorzuheben, die ihre Richtung und Eigenthüm— lichkeit kennzeichnen und zugleich durch ihren Inhalt das Interesse der jugendlichen Leser zu wecken und zu sesseln geeignet sind. Ohne irgend ine bedeutende literarische Erscheinung ganz zu übergehen, haben wir doch den groͤßten Nachdruck auf diesenigen Werke gelegt, die durch Gediegenheit des Inhalts oder durch künstlerische Vollendung in der Form für alle Zeiten von gleichem Werthe sind, die nicht blos auf die Zeit, in der sie ensstan— den, sondern auch für die nachgebornen Geschlechter einen veredelnden und bilvenden Einfluß hatten, und dabei unser Augenmerk auf solche Stücke gerichtet, die den Vorzug leichter Verständlichkeit an sich tragen oder ein in sich abgeschlossenes Ganze bilden. Zugleich suchten wir Alles zu ver— meilden, was irgend Anstoß erregen konnte, sei es in religiöser oder poli— scher, sei es in sittlicher oder socialer Beziehung. Die Jugend soll nicht vorzeilig auf den Kampfplatz geführt werden, wo Leidenschaft oder Par— seleifer die Waffen führen, oder wo sich derbe Natürlichkeit in verletzender oder Leichtfertigkeit und Lüsternheit in verderblicher Gestalt und Wirkung zeigen. Und zum Glück gibt es kein hervorragendes Buch in irgend einem Zeltalter, aus dem nicht auch reines Gold ohne entstellende Beimischung geschöpft werden könnte, mögen auch solche Lichtseiten nicht gerade immer am besten geeignet sein, einen Schriftsteller oder ein Werk in seinem wah— ren Wesen zu charaklerisiren. Das Buch kann also unbedenklich der männlichen Und weiblichen Jugend in die Hände gegeben und in jeder Anstalt dem Unterrichte in der Literaturgeschichte zu Grunde gelegt werden. Wie das „Lehrbuch der Weltgeschichte“ selbst, dem es in den Abschnitten über Cultur und Literatur als Ergänzung zur Seite tritt, und von dem