236 Erzählende Gedichte. 22. „Und schaudernd dacht' ich's; da kroch's heran, Regte hundert Gelenke zugleich, Will schnappen nach mir; in des Schreckens Wahn Lass' ich los der Koralle umklammernden Zweig; Gleich faßt mich der Strudel mit rasendem Toben, Doch es war mir zum Heil, er riß mich nach oben.“ 23. Der König darob sich verwundert schier Und spricht: „Der Becher ist dein, Und diesen Ring noch bestimm' ich dir, Geschmückt mit dem köstlichsten Edelgestein, Versuchst du's noch einmal und bringst mir Kunde, Was du sahst auf des Meeres tiefunterstem Grunde.“ 24. Das hörte die Tochter mit weichem Gefühl, Und mit schmeichelndem Munde sie fleht: „Laßt, Vater, genug sein das grausame Spiel! Er hat Euch bestanden, was keiner besteht; Und könnt Ihr des Herzens Gelüste nicht zähmen, So mögen die Ritter den Knappen beschämen.“ 25. Drauf der König greift nach dem Becher schnell, In den Strudel ihn schleudert hinein: „Und schaffst du den Becher mir wieder zur Stell', So sollst du der trefflichste Ritter mir sein Und sollst sie als Eh'gemahl heut noch umarmen, Die jetzt für dich bittet mit zartem Erbarmen.“ 26. Da ergreift's ihm die Seele mit Himmelsgewalt, Und es blitzt aus den Augen ihm kühn, Und er siehet erröten die schöne Gestalt Und sieht sie erbleichen und sinken hin — Da treibt's ihn, den köstlichen Preis zu erwerben, Und stürzt hinunter auf Leben und Sterben. 27. Wohl hört man die Brandung, wohl kehrt sie zurück, Sie verkündigt der donnernde Schall; Da bückt sich's hinunter mit liebendem Blick: Es kommen, es kommen die Wasser all', Sie rauschen herauf, sie rauschen nieder — Den Jüngling bringt keines wieder. Schiller. 230. Ballade vom verkriebenen und zurückkehrenden Grafen. 1. „Herein, o du Guter! Du Alter, herein! Hier unten im Saale, da sind wir allein, Wir wollen die Pforte verschließen. Die Mutter, sie betet, der Vater im Hain Ist gangen, die Wölfe zu schießen.