Friedrich Nietzsche. „Die Sonne ist lange schon hinunter, sagte er endlich; die Wiese ist feucht, von den Wäldern her kommt Kühle. Ein Anbekanntes ist um mich und blickt nachdenklich. Was! Du lebst noch, Zarathustra? Warum? Wofür? Wodurch? Wohin? Wo? Wie? Ist es nicht Torheit, noch zu leben? — Ach, meine Freunde, der Abend ist es, der so aus mir fragt. Vergebt mir meine Traurigkeit! Abend ward es: vergebt mir, daß es Abend ward!“ Also sprach Zarathustra. Von Kind und Ehe. Ich habe eine Frage für dich allein, mein Bruder: wie ein Senk— blei werfe ich diese Frage in deine Seele, daß ich wisse, wie tief sie sei. Du bist jung und wünschest dir Kind und Ehe. Aber ich frage dich: bist du ein Mensch, der ein Kind sich wünschen darf? Bist du der Siegreiche, der Selbstbezwinger, der Gebieter der Sinne, der Herr deiner Tugenden? Also frage ich dich. Mer redet aus deinem Wunsche das Tier und die Notdurft? Oder Vereinsamung? Oder Anfriede mit dir? Ich will, daß dein Sieg und deine Freiheit sich nach einem Kinde sehne. Lebendige Denkmale sollst du hinausbauen. Aber erst mußt du mir selber gebaut sein, rechtwinkelig an Leib und Seele. Nicht nur fort sollst du dich pflanzen, sondern hinauf! Dazu helfe dir der Garten der Ehe! Einen höheren Leib sollst du schaffen, eine erste Bewegung, ein aus sich rollendes Rad, — einen Schaffenden sollst du schaffen. Ehe: so heiße ich den Willen zu Zweien, daß Eine zu schaffen, das mehr ist, als die es schufen. Ehrfurcht voreinander nenne ich Ehe als vor den Wollenden eines solchen Willens. Dies sei der Sinn und die Wahrheit deiner Ehe ... Ueber euch hinaus sollt ihr einst lieben! So lernt erst lieben. Und darum mußtet ihr den bittern Kelch eurer Liebe trinken. Bitternis ist im Kelch auch der besten Liebe: so macht sie Sehn— sucht zum Uebermenschen, so macht sie Durst dir, dem Schaffenden! Durst dem Schaffenden, Pfeil und Sehnsucht zum Uebermenschen: sprich, mein Bruder, ist dies dein Wille zur Ehe? Heilig heißt mir solch ein Wille und solche Ehe. — Also sprach Zarathustra. 49