II. Die Heimat im Wechsel der Jahreszeiten. den Bach hinuntergeschwommen und wohnte jetzt auf einem Blatt in der Nähe; zuweilen kam er angerudert, steckte seinen flachen Kopf mit dem breiten Maule aus dem Wasser und glotzte sie an und quakte recht von Grund aus: „Koarrx, koarx!“ Und so glotzte und quakte er abwechselnd, bis es ihm langweilig ward und er wieder auf sein Blatt zurückschwamm. Dann bildete er sich ein, er hätte ihr etwas vorgesungen. Einmal warf sie ihm eine Erdbeere hinab. Er schwamm ihr nach und stieß mit dem Maule daran. „Koarr, koarx!“ sagte er, „Dummheiten!“ und ließ sie schwimmen. Nun ward es hoher Sommer; die Erdbeeren waren aufgezehrt, aber die Heidelbeeren saßen dunkelblau an ihren kleinen Bäumchen, und Marie bekam einen ganz blauen Mund von dem Heidelbeersaft. Ihre Kleider waren schad— haft geworden, und sie saß unter der Farnkrautlaube über dem Wasser und machte sich neue aus Blumenblättern. Eine getrocknete Glockenblume gab einen hübschen, blauen Rock. Sie nähte mit einem Wespenstachel und Spinn— fäden und besetzte ihre Kleider mit Fliegenflügeln und bunten Schilddecken von ganz kleinen Käfern, die sie tot auf der Insel gefunden hatte. Als Mütze trug sie eine kleine, rote Blüte auf dem Kopfe. Dann kam der Herbst heran, und es ward schon kalt des Nachts. Bei Tage aber war der Himmel blau, und die Sonne schien warm, und in der Luft flogen weiße Spinnenfäden. Einmal in der Nacht, als der Mond hell schien, wurde sie in ihrem Bettchen von Blumenwolle durch anmutiges Singen und Gelächter lieblicher Stimmen erweckt. Sie schaute aus dem Thürchen: da wimmelte die ganze Insel von zierlichen Gestalten, nicht größer als Marie, aber so leicht und luftig wie ein Hauch. Sie tanzten Ringelreihen, und fort— während kamen noch mehr durch die Luft auf Sommerfäden angefahren. Darauf saßen sie dichtgedrängt in langen Reihen, das sah Marie ganz deut— lich im Mondschein. Plötzlich erblickten die kleinen Gestalten Marie und umringten sie. „Wer bist du?“ riefen sie, „Bist du ein Zwerg?“ — „Nein, nein, das ist ein Menschlein, ein ganz kleines Menschlein!“ riefen andere. Dann kam ein wunderschönes Fräulein, das war gewiß die Königin, denn sie trug einen feinen Goldreif im Haar, und die andern machten ihr alle ehrerbietig Platz. „Wie kamst du hierher, kleines Menschenkind?“ fragte sie. Marie erzählte ihre Geschichte. „Willst du mit uns kommen?“ sprach das Fräulein; „wir sind Elfen und reisen nach den warmen Ländern.“ „Ach ja,“ sagte Marie, „denn wenn erst Schnee fällt, dann frieren mir hier die Beine ab, und ich habe auch nichts zu essen.“ Die ganze Nacht tanzten die Elfen auf der Insel im Mondschein, und Marie sah ihnen zu. Am Morgen aber setzten sie sich auf ihre Spinnenfäden, nahmen Marie zwischen sich und flogen mit ihr im Morgenwind davon. 13