— 172 — fahren!“ Der junge Graf schaute empor und sah die Jungfrau im schneeweißen Gewande am Felsenhange sitzen, und er lauschte ihrem himmlischen Gesange. Darauf erhob sie sich, wallte lächelnd zum Ufer herab und flocht, vom sanften Monde beschienen, sich einen Kranz von Wasserbluͤmen, Binsen und Schilf für ihre Locken. „O edler Herr,“ riefen wieder die Ruderer, „wie schön ist diese Wellen— fei! Welch langes, goldenes Haar! Aber ach, fahret nicht dorthin!“ Aber der Jüngling gebot: „Lenkt, ihr Schiffer, schnell und ohne Säumen den Kahn dorthin!“ Mit bangem Grauen folgten sie seinem Befehle, und als man dem Strande nahe kam und die Jungfrau freundlich winkte, da sprang der Graf aus dem Kahne in die Fluten des Rheins. Er erreichte aber das Ufer nicht, und die Wellen des Stromes, der sich grollend hier an dem Felsen brach, rissen ihn hinab. In angstvoller Eile fuhren die Knechte zurück und meldeten dem Pfalzgrafen die traurige Geschichte. Von unsäglichem Schmerze um den geliebten Sohn ergriffen, gebot der Vater in wildem Grimme seinen Reisigen: „Auf! Ergreift mir die Unholdin und bringt sie lebend oder tot in meine Gewalt!“ „Hochedler Herr,“ entgegnete der Hauptmann der Schar, „sollen wir nicht die Hexe gleich dort hin— unterstürzen in die Flut?“ „Wohl, tut das,“ versetzte der Pfalzgraf, und die Reiter zogen ab. Schon verblaßten die Sterne, und der junge Morgenstrahl begann, den Strom, die Auen und das wilde Gebirge zu erhellen, als der Ritter mit seinen Waffenknechten über den Rhein fuhr. Mit drei wackeren Kämpen erstieg er dann die Höhen des Lurleifelsens; da erschien auf der obersten Spitze die Jungfrau. Ihre goldenen Locken wehten im Winde, und in der lilienweißen Hand hielt sie eine Schnur von Bernstein. „Ihr Männer von jener Flur des Rheins,“ rief sie mit melodischer Stimme, „wen sucht ihr an dieser steilen Felsenwand?“ „Niemand als dich, verwünschte Zauberin!“ gab der Ritter zur Antwort, „du bist unsere Gefangene, darum sollst du sogleich den Sprung in den Rhein tun.“ Lachend erwiderte jene: „Wohlan, der Rhein hole mich!“ Und leichten Ganges wandelte sie dreimal auf und ab, warf dann ihre Bernsteinschnur in den Rhein und sang mit schauerlichen Tönen: „Die weißen Rosse schicke mir, o Vater, deinem Kind, auf daß ich reite fort von hier mit Wogenlauf und Wind!“ Da plötzlich war der Himmel rings umdüstert; ein gewaltiger Sturm⸗ wind brauste mit Regengüssen heran, hoch schäumte die Brandung