3 E. Briefe. waren dem höchsten Gipfel des Berges nahe; wilde, herrliche Baumgruppen, Felsen und duftendes Gras überall. Wir sliegen nun durch dickes, hohes Laub und Gesträuch einen engern Pfad wieder hinunter, der wegen des unaufhör— lichen Regens sehr schlüpfrig war. So kamen wir an eine hohe, rund um— schlossene Felsmauer; ein hoher Baum stand in der Mitte, und dickes Gesträuch hiug umher. Wir sahen an der Felsmauer eine künstliche Thüre und dicht dabei eine dicke Brustwehr von Fels über welche man lief in den bewachsenen Abgrund hinuntersieht. Unser Führer öffnete die Thür und stieg in die Tiefe hinein, indem er uns bat, außen zu verweilen, bis er rufen würde. Wir war— teten beinahe eine halbe Stunde und fühlten kaum den Regen, da wir uns auch etwas an den Fels lehnen konnten. Ich pflückte der Prinzessin beiliegen— des schlankes Blümchen ab, das ich an dem Felsen fand, weil ich ihr gern etwas von dieser Stelle schicken wollte. Steine hab' ich auch vom Felsen ge— schlagen, aber die kann ich nicht wohl in den Brief bringen. Endlich hörten wir einen tiefen schallenden Ruf. Wir stiegen augenblicklich hinab an einer festen Leiter von vierzig weiten Sprossen, gerade wie man in einen Schacht hinabsteigt. Als ich unten war — was sah ich? — was ich nie gesehen, nie mir vorgestellt hatte. Hier ist der geheiligte geheime Tempel der Natur, sagt ich mir sogleich. Das Innere dieser bewundernswürdigen Höhle gleicht voll— kommen dem Schiffe einer geräumigen Kirche von ungefäͤhr siebzig Schuh Höhe und verhältnismäßiger Breite und Länge. Der Einstieg ist an dem tiefsten Ende, von da erhebt sich der Boden Ileichsam in wolkigen Stufen, mit tau— senderlei Figuren und Erhebungen geziert, bis zu der Decke des entgegengesetzten Endes, so daß man diese zuleßt mit den Händen ergreifen kann. Unser Führer hatte alle Abstufungen mit Lichtern geziert, so daß es einen herrlichen Änblick gab. Die allerschönste Kirche hält mit dieser Pracht keinen Vergleich aus, und wunderbarer Weise gleicht das ganze einer Kirche so sehr, daß der erhbhtere Teil dem Chor vollkommen ähnlich ist und nian in der Mitte ohne große Anstrengung der Phantasie eine Kanzel erkennt. Aber was soll ich von allen den wunderbaren Gestalten sagen, die sich durch dieses seltsame Tropfwerk in Jahrhunderten gebildet habend Hier muß man durchaus sehen, man kann es nicht sagen. Die ganze Decke oder das obere Gewölbe ift mit Zapfen und Krystallen von unterschiedlicher Form und Länge, auf mannigfaltige Art ver— ändert, ausgeziert. Sie hangen zuweilen gleichsam in breiten zusammengeflossenen Tüchern herunter und haben ganz das Ansehen von Fahnen oder Trophäen. Wenn man das Licht dahinter hält, zeigen sie eine rötliche Farbe, und schlägt man mit dem Hammer daran, so giebt es einen hellen Metallton. Trauben— und tropfenartige Bildungen sieht man überall, und von dem Boden wachsen Altäre und hohe Kerzenhalter einpor. Solltest Du die Beschreibung des Pater Tournefort — wo ich nicht irre — von der Höhle von Autiparos lesen, so wirst Du das finden, was ich Dir hier sagen will. Einer unserer Reisenden, der mit mir war und die Baumannshöhle gesehen hatte, zieht diefer die Muggen— dorfer bei weitem vor. Sie ist wert, daß man ihrethalben einige Mällen umreist, und Du wirst künftig nie nach Baireuth kommen, ohne diese Höhle besucht zu haben. Was Schrecken erregen könnte, ist der Umstand, daß man bei Eröffnung derselben zwei Menschengerippe gefunden hat; der Hirnschädel des einen war völlig überkrustet und so an den Boden angesteint. Man hat sie nach Erlangen in die Sammlung gebracht. Knochen sah ich noch liegen. Keiner aus der Gegend weiß, daß früher Menschen in dieser Höhle gewesen seien. Vielleicht haben sich ein paar Unglückliche hierher retten wollen und 78