50 Das Zeitalter der Zerstörung des alten und der Entstehung des neuen Reichs. Thron bestieg, wurde er mit den größten Hoffnungen begrüßt. Man kannte seine geistvolle, witzsprühende Art, seine lebendige Phantasie, sein reiches Gemüt; man wußte, daß er ein begeisternder Redner war, daß er ein tiefes Verständnis für die Kunst besaß, daß ihn die vielseitigsten Interessen und ein hoher, idealgerichteter Sinn erfüllten. Die Erwartung war allgemein, daß mit seiner Thronbesteigung ein neues Zeitalter anbrechen, daß er ins> ■ besondere dem preußischen Volke die ersehnte Verfassung geben würde. Bald freilich sah man ein, daß Friedrich Wilhelm IV. nicht die Absicht hatte, eine Verfassung zu geben; er meinte, daß sie dem natürlichen Ver¬ trauensverhältnisse zwischen Fürst und Volk zuwiderliefe. „Kein Stück Papier", hat er gesagt, „soll sich zwischen den Herrgott im Himmel und dieses Land drängen wie eine zweite Vorsehung." Was aber die gesamte Persönlichkeit des neuen Königs anlangt, so wurde allmählich klar, daß diesem reichbegabten und edlen Herrscher das Maß von Willenskraft und Entschlossenheit abging, das für die großen Aufgaben, welche die Zeit ihm stellte, notwendig gewesen wäre. So ist die Regierungszeit Friedrich Wilhelms IV. nicht, wie man hoffte, eine Zeit der Erfüllung der nationalen Wünsche, sondern eine Zeit der vergeblichen Versuche gewesen; erst unter seinem Bruder Wilhelm I. kam die Zeit, in der Deutschland einig und mächtig wurde. Im Jahre 1847 glaubte der König der öffentlichen Meinung ein eretnt te Öro^eS Zugeständnis zu machen, indem er den „Vereinigten Land- Landtag, tag", der sich aus den Ständen der einzelnen Provinzen zusammensetzte, nach Berlin berief; auch Otto von Bismarck war Mitglied dieser Ver- sammlung. Aber die Beratungen verliefen ergebnislos. § 42. Die politische Lage in Deutschland. Indessen nahm in Deutsch- land die politische Erregung mächtig zu. Das nationale Gefühl hatte durch Französische Ereignisse der letzten Jahre kräftige Anregungen erfahren. Im Jahre brotiunaen 1840 hatten die F r a n z o s en, welche durch den Verlauf der orientalischen 14' Politik ihre nationale Ehre verletzt glaubten, zur Entschädigung die Ab- tretung des linken Rheinufers verlangt. Diese Anmaßung erregte einen gewaltigen Sturm der nationalen Entrüstung; Beckers Rheinlied „Sie sollen ihn nicht haben" wurde überall gesungen; Schneckenburgers „Wacht am Rhein", die ebenfalls damals entstand, sollte erst später zum National- lied werden. Der erregten Volksstimmung und der festen Haltung Preußens gegenüber gaben die Franzosen ihre Kriegspläne auf, und Louis Philipp verabschiedete sein kriegslustiges Ministerium. Die sc leswi Eine andere Angelegenheit, welche allmählich die ganze deutsche Nation holsteinische {n Erregung versetzte, war die schleswig-holsteinische Frage.