— 219 — weise lange ort. Noch bei einer Erkrankung und Wiedergenesung im Jahr 1744 gab sich eine unbegreifliche Anhänglichkeit an den „vielgeliebten" König kund. Er sprach sehr wenig und erschien wegen dieses schüchternen Schweigens undurchdringlich. Zu viel Gutes barg dieser wenig aus sich herausgehende Fürst nicht. Er war gescheit und scharfsinnig. Wiederholt erklärte er, keinen Prinzipalminister ernennen zu wollen; er hat doch nie selbst regiert, auch nicht, nachdem der langjährige Hauptminister Kardinal Fleury (1743) gestorben war. Doch fehlte es ihm nicht an Interesse für die Ge- schäste: sein Geheimnis (le „secret du Roi") bestand darin, daß er hinter dem Rücken seiner Minister und Diplomaten seine eigenen Agenten hatte, ohne aber darum eine eigene Politik zu verfolgen. Dazu war er viel zu schüchtern, zu trag, zu blasiert. Im Krieg zeigte er furchtlose Tapferkeit. Sonst traten wenig bedeutende Züge hervor. Er war ein leidenschaftlicher Jäger, ein Freund von Genüssen der Tafel, vor allem hat er durch ein Leben in unerhörter sittlicher Schmach die Liebe und Achtung seines Volkes vollständig verscherzt. Unter den Frauen, denen er — in frechster Schau¬ stellung — seine Gunst zuwendete, war die Marquise de Pompadour po¬ litisch die wichtigste. Daß Ludwig XV. bei seinem unwürdigen Leben die äußeren Formen der Frömmigkeit pünktlich beobachtete, ist ein besonders widerlicher Zug. c. Außere und innere Politik. 1) In der äußeren Politik ging es unter ihm immer weiter abwärts. Sein Eintreten für seinen Schwiegervater Stanislaus Lesziuski im polnischen Erbfolgekrieg 1733 —1735 (S. 149) verschaffte diesem die Herzogtümer Lothringen und Bar, die nach Stanislaus' Tod an Frankreich fielen (1766). Der österreichische Erbfolgekrieg 1741—1748 (S. 160) brachte den Franzosen, die an dem Marschall von Sachsen einen hervorragenden Feldherrn hatten, namentlich auf dem niederländischen Kriegsschauplatz manche glänzenden Erfolge, aber schließlich im Frieden von Aachen keinerlei dauernden Gewinn. Noch weniger das österreichisch-französische Bündnis von 1757, das Frankreich im 7jährigen Krieg für eine fremde Sache ungeheure Opfer auferlegte und seinen Waffen Schande über Schande eintrug. Indessen gingen durch den Krieg mit England (S. 166, 175) die amerikanischen Ko¬ lonien an England verloren. Auch die günstige Gelegenheit in Vorder- indien (S. 212) wurde versäumt. Die Erwerbung von Korsika 1769 war der einzige, kleine Gewinn. Die Insel, von Genna lange ausgebeutet, lehnte sich gegen die genuesische Herrschaft auf, und Genua überließ schließ- lich (1768) vertragsweise die Insel an Frankreich: sie mußte freilich gegen die nach Unabhängigkeit strebenden Korsen unter dem Freiheitshelden Pas- quäle Paoli erst erkämpft werden (1769). Der Einfluß Frankreichs nach außen war tief gesunken in den letzten Jahren Ludwigs XV. Bei allen großen Ereignissen, wie der Zerstücklung Polens, spielte das Kabinett in Versailles keine Rolle. Das Volk verzieh diese Erniedrigung dem König nicht. 2) Die inneren Zustände hatten sich nur verschlimmert. Die Finanz- läge war trostlos: die Verschwendungen des Hofes, so groß sie waren, trugen dazu doch weniger bei als die Kosten der Kriege. Beides zusammen mit der schlechten Verwaltung machte die Besserung der Finanzen zu einer Aufgabe, an der ein Finanzminister um den andern scheiterte. Die Un- ruhen im Osten und in Amerika schädigten den Handel. Schlechte Ernten mehrten das Elend, das an manchen Orten zu Aufständen führte. Die