§ 69: Die Kultur der Zeit von des Augustus Tod bis auf Diocletiau. 329 2) Die Goten: Eine noch gefährlichere Geißel des Reiches, weil näher dem Sitz der Herrschaft, waren die Goten. Dreizehn Jahre, nachdem sie sich zum erstenmale an der dakischen Grenze gezeigt hatten, 251, verlor Kaiser Decius bei Abritt us in Mösien gegen sie Schlacht und Leben, und sein Nachfolger suchte die gefährlichen Feinde durch schmähliche Tributzahlungen zu be¬ schwichtigen. Einige Jahre vor Aurelians Erhebung suchten die Goten ver¬ wüstend Griechenland heim und plünderten und zerstörten Athen, Korinth und andere Städte. Erst als das Reich im Innern bessern Halt gewann, wurden auch die Bedrohungen von seiten der Goten mit Erfolg zurückgewiesen. § 69. Die Kultur der Zeit von des Augustus Tod bis auf Diocletian. Wem materielles Wohlergehen als das höchste Ziel mensch¬ lichen Strebens erscheint, der müßte die ersten Jahrhunderte des römischen Kaisertums zu den glücklichsten Zeitaltern der Geschichte rechnen. Denn selten lagen die Vorbedingungen hierfür günstiger als damals: eine bis ins einzelne kunstvoll gebaute, pünktlich arbeitende Staatsmaschine — denn die gewaltsamen Änderungen in ihrer Leitung berührten die Schicksale des großen Ganzen selten und nur ober¬ flächlich —, eine Zusammenfassung fast aller Kräfte der ganzen damaligen Kulturwelt in einem einzigen, gewaltigen Staatswesen zum Nutzen und Frommen der Gesamtheit! Dagegen gewährt der Mangel an sittlicher Kraft, die Gleichgültigkeit gegen alles Edlere, Höhere einen trostlosen Anblick. Daß Scheusale, wie ein Elagabal, zeitweise die schrankenlose Herrschaft über dieses Ganze ausübten, war eben nur möglich, wenn der alte, selbstbewußte Sinn für bürgerliche Freiheit und Ordnung, für Sitte und Recht in den breiten Massen der Bevölkerung erstorben war und der Trägheit und Genußsucht das Feld geräumt hatte. Das zeigte sich vor allem in I. Religion und Sitte. Die Entwickelung des religiösen Lebens blieb im ganzen in der gleichen Bahn, wie sie Seite 306 gezeichnet ist. Die Verehrung der zu Göttern und Göttinnen erhobenen Menschen, der Kaiser und Kaiserinnen, wurde allmählich Untertanenpflicht. Daneben gewann das Christentum in immer weiteren Kreisen Anhang. Die Üppigkeit und Verschwendung in der Lebensführung, welche zur Zeit Neros am ärgsten gewesen waren, machten seit Vespasian