— 179 — den Bruch mit einer vielhundertjährigen Überlieferung und konnte darum nicht verfehlen, das allgemeinste Aufsehen zu erregen. Sie war der erste Versuch, die Lehrsätze des Defensor Pacis in Wirklichkeit umzusetzen. Für den Papst enthielt das Vorgehen Ludwigs die Aufforderung zu weiteren Schritten. Am 21. Januar versprach er allen, die sich gegen den Bayer mit dem Kreuze schmücken würden, die gleichen Gnaden, die den Jerusalemfahrern bewilligt waren.1) Am Gründonnerstag (31. März) folgten vier neue Prozesse, einer gegen Ludwig, die Bischöfe, die ihn geweiht und seine übrigen Anhänger, ein zweiter gegen die abtrünnigen Römer, denen eine Gnadenfrist bis zum 1. Juli zugestanden wurde, ein dritter gegen Castruccio, ein vierter gegen den Bischof von Castello; die beiden letztgenannten wurden gleichfalls für den 1. Juli zur Verantwortung vorgeladen.^) Unterdes schritt auch Ludwig auf dem einmal betretenen revolutionären Pfade unaufhaltsam vor- wärts. Nachdem er am 14. April in einer Volksversammlung ans dem Platze von St. Peter das Gesetz erlassen hatte, daß Personen, die der Häresie oder des Majestätsverbrechens oder beider Vergehen zugleich überführt seien, von den zuständigen Richtern ohne vorausgehende Ladung abgeurteilt werden dürsten,^) ließ er am 13. April in einer andern Volksversammlung, der er selbst, auf einem Throne sitzend, im vollen kaiserlichen Schmucke beiwohnte, eine Proklamation verlesen/) in welcher er den Jakob vonCahors wegen seiner offenkundigen Ketzereien und Majestätsverbrechen des Papsttums für entsetzt und aller kirchlichen Ämter und Benefizien für entkleidet, alle von ihm ausgegangenen Prozesse, Strafurteile und Edikte für ungiltig erklärte und ihn dem weltlichen Gerichte unterstellte. Niemand vermag in dem Ge- dankengange dieser Urkunde, in welcher die minoritische Armutslehre gegen- über der Lehre von der Hoheit des Staates sehr in den Hintergrund tritt, die Ideen des Defensor Pacis zu verkennen, dessen Verfasser Marfilio auch bei der Abfassung der Absetzungssentenz mitwirktet) Am 23. April bestimmte ein neues Gesetz, daß die Residenz der Päpste in Zukunft nur in Rom sein und kein Papst sich ohne Erlaubnis des römischen Volkes und Klerus über zwei Tagereisen von der Stadt entfernen dürfe. Wenn ein Papst den Termin nicht einhalte, auch auf dreimalige Aufforderung nicht zurückkehre, so sollte er der päpstlichen Würde verlustig sein.6) Das Gesetz (nach der Übersetzung bei Müller I, 179). Et nota che presunzione fu quella del detto Bavero che non troverai per nulla cronica antica o novella, che nullo Impeiadore cristiano mai si facesse coronare, se non al Papa o a auo Legato, tutto fossono molto contrarii della chiesa o prima, o poi, se non questo Bavero: la qual cosa fu molto da maravigliare. 1) Martene et Durand II, 716 flg. 2) Die Prozesse bei Martene II, 727 flg. 3) Böhmer, Reg. Lud. no. 980. Vgl. Vill. X, 67 (p. 640). 4) Böhmer, Reg. no. 981. Baluze, Vitae pap. Aven. II, 512 flg. Vgl. Vill. X, 68 (p. 641). 5) Muss. Ludov. Bav. 175 flg. 6) Ficker, Urk. p. 68, no. 112: quod talis huiusmodi summus pontifex in urbe Romana continuam residentiam facere teneatur nec extra urbem predictam se per duas vulgares dietas longe ab ipsa urbe possit ullo modo absentare absque cleri et populi Romani petita licentia et obtenta. Si vero talis summus pontifex contra prescriptam formam se absentare presumpserit et ab clero populoque Romano tertio monitus infra terminum eidem per dictum clerum et populum moderandum ad urbem Romanam non redierit celeriter, ibidem ut premittitur continue moraturus, ipso iure pontificatus sui honore et dignitate presentis constitutionis auctoritate volumus fore privatum, decernentes ad alterius summi pontificis electionem procedi 12*