Von dem Staatsleben ausgeschlossen, wandte man sich zu den Genüssen des Privatlebens, in dessen Sittenlosigleit das kaiserliche Rom verkam- nie war die Stellung der Frau tiefer herabgewürdigt und das Familienleben gründlicher zerrüttet. Aus Rom drang das Gist der Entsittlichung in die Provinzen; der kriegerische Sinn verschwand, die körperliche wie geistige Lebens- kraft versiegte; bei der Zersetzung der nationalen Religionen und der allgemeinen Göttermischung gab es keinen Halt und keinen Trost mehr auf der Erde. Das Gefühl der Ohnmacht, mit eigener Kraft sich emporzuragen, kam über die Menschheit und damit das Suchen und Sehnen nach einer neuen, be- lebenden Religion. Da erklang der Ruf durch das römische Reich. t>afe der wahre Gott seinen Sohn gesandt habe, die Menschen aus aller Not zu retten und zu erlösen, ihnen den Frieden zu geben und sie zu seinen Kindern zu machen; erworben aber wurde diese Gotteskindschaft in der Nachfolge Christi durch Sitten- reinheit und Keuschheit, sie bewährte sich in der allgemeinen Bruderliebe, die auch den Geringsten nicht ausschloß. So wurde den vielen lokalen und nationalen Gottheiten gegenüber der eine allgemeine Gott verkündet, vor dem es keinen Unterschied der Ge- schlechter, Stände und Völker giebt. Aufopfernde, auch die Feinde nicht aus- schließende Menschenliebe, ergebungsvolle Geduld im Leiden, Sittenstrenge und eine Frömmigkeit, die, von äußerem Gepränge und Zeremoniell absehend, auf das innere^Verhältnis zu Gotl sich richtete und auf die Gesinnung das Hauptgewicht legte, diese christlichen Tugenden weckte der neue Glaube. Indem er verbot, dem Kaiser göttliche Verehrung zu erweisen und seinen Be- kennern die Kraft gab, lieber den Tod zu wählen, schied er das Göttliche von dem Menschlichen, schuf den scharfen Gegensatz des Geistigen und Sinnlichen, befreite den Menschen von der schmählichsten Knechtschaft und machte ihn wieder selbständig und persönlich unüberwindlich. B. Die stegreiche Kusöreitung des Ghristentums im römischen Weich. Bis Trajan (98—117) galt das Christentum meist als eine Sekte des gesetzlich anerkannten Judentums und konnte sich ungehindert aus- breiten; die Verfolgungen seiner Bekenner unter Nero und Domitian erstreckten sich wahrscheinlich nicht über Rom hinaus und trafen auch dort ver¬ hältnismäßig nur wenige. Auch anfangs des 2. Jahrh. waren die Ver- folgungen nur Wirkungen des Volkshasses, dem die Statthalter nachgaben, oder entsprangen persönlicher Mißgunst der letzteren. Als seit der Mitte des 2. Jahrh. dann auch die höheren Stände vom Christentum erfaßt wurden, wuchs, je mehr der noch im Besitz der Herrschaft und weltlichen Macht be- sindliche Glaube den Boden unter sich schwinden fühlte, die Feindseligkeit, und auch der Staat, dessen Grundlagen in dem alten Götterglauben zerstört wurden, sah sich zum Kampfe genötigt; doch begann die erste große und allgemeine Christen ver folgung erst in der Mitte des 3. Jahrh. unter Decius (249); am schrecklichsten wütete die unter Diokletian, welche 308 anfing, fast über das ganze Reich sich erstreckte und im Orient am längsten währte. Nur in Gallien, Spanien und Britannien milderte der von Diokletian dort eingesetzte Konstantins Chlorus das Los der Christen; sein Sohn und Nachfolger Konstantinus gab den betreffenden Ländern sogar die volle Freiheit des Gottesdienstes und erliefe, als er 312 sich zum Herrn des ganzen