8 D. Sie Entartung des christlichen Olan0ens und der christlichen Sittlichkeit. Mit der Erhebung des Christentums zur Staatsreligion traten viele zu ihm über, die dem Heidentum noch innerlich ergeben waren oder das Christentum von heidnischen Gesichtspunkten aus auffaßten. Den unendlichen Abstand zwischen Gottheit und Menschheit suchte man wieder durch Mittelwesen zu füllen; die nächste Veranlassung dazu gab die alte Sitte, an den Gräbern der Märtyrer zu beten; mit dem zunehmenden Glauben von der Kraft ihrer Fürbitte bei Gott erweiterte man den Kreis dieser Fürsprecher und nahm in ihn um die Kirche hochverdiente Männer und ausgezeichnete Mönche auf. So entwickelte sich aus der Märtyrerverehrung der Heiligenkult. Heilige wählte man jetzt zu Patronen, wie früher Götter und Heroen J). Wie der christliche Glaube, entartete die christliche Sittlichkeit, die immer mehr von der religiösen Gesinnung abgelöst ward und sich mit bloßen äußeren Werken, dem Fasten, Almosen und dem Gebete, begnügte. Der scharf ausgeprägte Dualismus von Geist und Fleisch und die Ansicht von der Vor- derblichkeit des letzteren ferner ließ als höchste sittliche Lebensaufgabe der Christen die Ertötung desselben erscheinen; so erhielt die christliche Sittlichkeit einen wesentlich asketischen Charakter2). Ein völliges Zurückziehen aus dem Treiben der Welt schien endlich die größte Annäherung an Gott herbeizuführen. So bevölkerten sich um die Mitte des 4. Jahrh. die Wüsten Ägyptens und Syriens mit Einsiedlern (Eremiten, Anachoreten. Mönchen, ixovayßg). In den letzten Jahrzehnten des Jahrh. ging aus solchen Eremitenkolonieen eine neue Einrichtung hervor, die auf die spätere Kirche den mächtigsten Einfluß ausgeübt hat. Der angeborene Trieb zur Geselligkeit drängte diese Einsiedler nämlich zu einem gemeinsamen Leben (xoivößiov) in abgeschlossenen Ge¬ bäuden (claustrurn, Kloster). Gehorsam gegen die Vorsteher der Klöster (aßßäp, Abt). Aufgebung alles eigenen Besitzes (Armut), Ertötung der Sinnlichkeit (Keuschheit) waren gemeinsame Züge dieser Vereinigungen; gleichzeitig bildeten sich weibliche Vereine mit denselben Formen (Nonnen- kl öfter). Die Zahl der Mönche schwoll im Orient ins ungeheuere an 3). Im Occident galt das Mönchtnni zuerst als Auswuchs orientalischer Schwärmerei; doch, von gefeierten Bischöfen wie Ambrosius von Mailand (t 397) begünstigt, bürgerte es sich auch hier ein, gewann aber im 6. Jahrh. durch den Einsiedler Benediktus von Nursia (im nördlichen Sabinergebirge), der 529 das Kloster Monte Cassino gründete, eine gesundere, mehr auf das Praktische gehende Richtung und eine festere Ordnung. Arbeit ward als feststehende Tagesaufgabe neben Gebet und Gottesdienst vorgeschrieben; wer sich nach einer Probezeit in das Kloster aufnehmen ließ, legte das unverbrüchliche Gelübde ab, das Kloster nie wieder zu verlassen und der angenommenen Regel treu zu bleiben. Da die neue Ordnung (regula Benedict!) sich über das 1) Zu d. geistigen Verehrung der Märtyrer und Heiligen kam eine sinnl. der körpcrl, Uberreste, der wunderwirkenden Reliquien. 2) Ende des 4. Jahrh. verlangten einzelne Stimmen bereits den Cölibat für b. Kleriker zum Kirchengesetz zu machen; verboten ward die Eheschließung thatsächlich schon den höheren Kraden vom Diakonus aufwärts. 3) In Ägypten kam die Zahl der Mönche der übrigen Bevölkerung gleich. — Am weitesten verirrte f. d. Eremit Simeon, der seit 420 in d. Nähe v. Antiochia 30 Jahre auf einer Säule lebte, d. Vorbild für andere Säulenheilige bis in das 12. Jahrh.