92 kämpfer freier philosophischer Forschung. Unter dem Einfluß-von Leibniz und Wolff bildete sich in der 2. Hälfte des 18. Jahrh. eine Populär Philosophie, die unter dem Namen der deutschen Aufklärung zusammengefaßt wird. Gleichzeitig regte sich in der deutschen Dichtung ein eigenartiges Leben; aus dem engen Kreise der gelehrten Bildung heraustretend, ward sie wieder Sache des Volkes und des Gemütes. Klopstocks „Messias" (die drei ersten Gesänge 1748) wirkte durch die Macht unmittelbaren Gefühls und' den Ausdruck reinster Begeisterung epochemachend für das deutsche Empfinden. Gerade jetzt trat Friedrich der Große in den Mittelpunkt des deutschen Levens; er lieh der Lehr- und Denkfreiheit die Kraft des welt- lichen Arms und brachte durch seine Heldenthaten den „ersten wahren und höheren eigentlichen Lebensgehalt" in die deutsche Dichtung; in Kriegsliedern und Oden ward er selbst gefeiert, in „Minna von Barnhelm" entstand (1763) das erste wirklich nationale Drama. Das kritische Genie Gotthold Ephraim Lessings (1729—1781) zog darauf die Grenzen der Dichtkunst und bildenden Kunst (Laokoon 1766), stellte, auf das Altertum zurückgehend, für Epik und Drama mustergültige Regeln auf und vernichtete, wie Friedrich II. auf dem Schlachtfelde den Ruhm französischer Waffen, so in der Litteratur die Klassicität der französischen Stücke. Gleich- zeitig wies Winckelmann Malerei und Bildhauerkunst auf die Schönheit der antiken (hellenischen) Formen hin. Noch war indes der deutsche Geist nicht fähig, sich dem ruhigen Genüsse altklassischer Schönheit hinzugeben und von ihr Ebenmaß und Reinheit des Stiles zu lernen; in der Baukunst überwog der Rokokostil (vgl. S. 42. 2), Malerei und Plastik schmückten fernerhin die fürstlichen Schlösser und Gärten mit allegorischen. Gemälden und Figuren; die Dichtkunst hatte, ehe sie sich zu dem Ideale reiner und freier Menschheit erhob, eine Sturm- und Drangperiode zu bestehn, die unter dem Einfluß von Rousseaus neuer „Helo'ise" (1761) anhob (über Rousseau vgl. unt. franz. Aufklärung). Der Chorführer der neuen Bewegung ward Johann Wolfgang Goethe (1749—1832); er hat das Verlangen nach voller Entfaltung der Menschennatur am stärksten empfunden und in seiner Jugend am leidenschaftlichsten ausgesprochen. Was seine Zeit unbestimmt empfand, spiegelte er in seinen Erstlingswerken wieder, die Empörung gegen den Zwang einer gesellschaftlichen Ordnung, die sich überlebt hatte (im Götz von Berlichingen 1773), die krankhafte Sehnsucht nach dem Naturzustande der Unschuld und Einfalt und den selbstquälerischen Weltschmerz (in den Leiden des jungen Werther 1774), den titanenhaften Drang nach schrankenloser Erkenntnis und Thatkraft (im Faust, dessen erste Bearbeitung in die Jahre 1773—1775 fällt). In seiner Lyrik traf er den Volkston, auf den ihn Herder hingewiesen hatte, fand er die wahre Natur, nach der man suchte, sprach er die echte Empfindung aus, die sonst so oft in Empfindsamkeit ausartete. . Die reine Vernunft zur Geltung zu bringen und die volle Menschheit herauszubilden, mühten sich Wissenschaft und Kunst ab; in grellem Widerspruch damit standen die gesellschaftlichen und staatlichen Zustände (vgl. Ennlia Galotti und Kabale und Liebe). Unter dem Drucke bevorrechteter Stände und von dem freien Anteil an dem Staatswesen ausgeschlossen, versank man einerseits in einen Subjektivismus, der kein anderes Lebens- und Sitten-