27. Kaiser Wilhelm I. im Greisenalter. 169 dieser noch in hohen Jahren die Mühe nicht gescheut hat, sich zum Anhalt für seine Entscheidungen über die Justizgesetze einen Kursus über Enzyklopädie der Rechts- Wissenschaft vortragen zu lassen: er wolle doch ein Verständnis für die strittigen Dinge, einen Begriff von dem erwerben, was er unterzeichnen werde. Er hat dann die Entwürfe, die man ihm vorlegte, eigenhändig durchgearbeitet; man fand nach feinem Tode „zahlreiche engbeschriebene Bogen" mit Auszügen daraus. Er ließ sich von Werner Siemens eingehend über Wesen und Leistungen der Elektrizität, von den Teilnehmern an jenen Abendnnterhaltungen seiner Gemahlin über allerlei Fragen der Wissenschaften, der Künste belehren, von einem Helmholtz, Curtius, Grimm. Er verlangte da stets nach genauer Anschauung; „bitte, wiederholen Sie es noch einmal, ich möchte es gern behalten", und schloß dann wohl — er selber ein liebenswürdig lebendiger Erzähler — das Zusammensein mit herzlichem Danke: „ich habe wieder etwas gelernt". Gelernt hat er so bis über die Grenzen des menschlichen Alters hinaus. Auch das machte er sich zu eigen, was ihm ursprünglich am fernsten lag, und was er auch später niemals beanspruchte zu beherrschen: die Kunst, und gerade ihr gegenüber trat die Gesundheit, die untrügliche Echtheit seines Wesens besonders charakteristisch hervor. Er wollte kein Kenner sein; er tat das Seine für eine umfassende Bereicherung der Museen, für die Aufrichtung einer Fülle von Denkmälern, von Monumental¬ bauten, indem er mit ganz persönlichem Eintreten für die Mittel sorgte, die Lässigen trieb, den Streit der Ressorts oder der Personen abschnitt. Er brachte bei Bau- Plänen die Sicherheit seines praktischen Blickes zur Geltung, von den historischen Gemälden im Zeughause forderte er genaue Treue: er überwachte die Richtigkeit der dargestellten Hergänge, der Trachten, die Auswahl der Porträtfiguren. Er betätigte dabei feine Pietät gegen feine Vorgänger wie gegen feine Mitkämpfer und feine Bescheidenheit — die eigene Gestalt, den eigenen Namen drängte er überall zurück und ließ statt des Königs das Vaterland in die Weihinschrift setzen; er betätigte zugleich seinen Sinn für das Einfache und Monumentale, ein natürliches Stilgefühl, das sich die Vermischung „von antikem Kostüm und nackten Figuren mit der modernen Kriegertracht" verbat. Ein Denkmal vor allem hat auch er sich errichtet, welches das persönlichste Wesen des Stifters und den Grundton feiner Epoche nicht minder sprechend aus die Nachwelt bringen wird, als es die charakteristischen Kuustschöpsungen eines Friedrich Wilhelms IV. oder Ludwigs I. von Bayern wn: an der „Ruhmeshalle" seines Heeres hat er von 1876 bis 1888 unablässig in eigenster Arbeit, anregend, be- fehlend, verbessernd mitgeschaffen. Der Künstler hatte die Ruhmeshalle mit ihren Kriegsgemälden, Standbildern und Büsten von der Waffenfammlnng des Zeug¬ haufes durch feste Wände trennen wollen; der Kaiser strich diese und ersetzte sie durch auffchließbare Gitter. „Das Volk in Waffen sollte nicht von den Fürsten- und Feld- herrnfälen geschieden sein." Eine Ruhmeshalle, so faßte er, die Vorlage ändernd, den Ausdruck, sollte es sein „sür die Preußische Nation, aus der die Armee hervorgeht". Ganz gewiß, in diesen Räumen voll starker preußischer Erinnemngen, in der wuchtigen Schwere ihrer Architektur, ihrer großenGeselschapschen Fresken, werden er und feineZeit immerdar angeschaut werden, wie sonst nur etwa noch in den Bildern Adolf Menzels und Franz Leubachs. Die Zukunft erst wird den Zusammenhang der geistigen Schöpfungen des Wilhelmischen Deutschlands mit den beherrschenden Zügen und Männern seines staatlich-nationalen Lebens ganz erkennen, und sicherlich wird sich ihr, weit mehr als bereits uns, die Gesamtheit der Epoche um die hohen Gestalten ihrer Führer ordnen. Was Kaiser Wilhelm in seinem letzten Jahrzehnte seinem Lande bedeutete, das empfindet man bereits heutzutage mit größerer Klarheit als damals selbst. Die