184 Zustand der Cultur und Literatur. §. 692. Canitz 1654-99. Nrukirch 1665—1729. Günther 1695-1723. Wernike t c. 1720. Brockt« 1680—1747. gttbin. I. 1656-64 kehrten und Mittelmäßigkeit als wahre Poesie galt. — Ein zweiter Stoß ging von den Hof¬ poeten aus, welche die französischen Dichter zum Vorbild nahmen, die Poetik des Horaz und Boileau der Opitz'schen entgegenstellten und in Oden, Fest- und Gelegenheitsgedichten, Satiren u. s. w. die glatte Form und gebildete Gesellschaftssprache der Franzosen nachahmten. Ihre Dichtungen fanden um so günstigere Aufnahme, als damals gerade die französische Bil- düng und Sprache an den Höfen und beim Adel vorherrschend zu werden anfing und der fran¬ zösische Geschmack als maßgebend galt. — Die bedeutendsten unter diesen Dichtem sind Fr. L. v. Canitz, ein angesehener, feingebildeter Staatsmann in Berlin; Neukirch, Besser, Drolliuger aus Baden u. A. Auch der talentvolle Ioh. Chr- Günther strebte nach dem Range eines sächsischen Hofdichters, verscherzte aber Gunst und Glück durch ein wüstes Leben und rohe Sitten. Schon als Student gerieth er auf Irrwege, die ihm seines Vaters dauernden Haß zuzogen und ihn ins tiefste Elend stürzten; seine Reue vermochte dessen hartes Herz nicht zu versöhnen; Armuth, Hoffnungslosigkeit und Ausschweifung zerstörten die guten Anlagen und bereiteten ihm ein frühes Grab. An Gemüth und schöpferischer Einbildungskraft übertraf er die meisten seiner Zeitgenossen. Ein dritter Angriff gegen die schlesischen Dichter ging von Hamburg aus, wo Christian Wernike, der geistreichste Anhänger der Dichtungstheorien des Horaz und Boileau, seine „Überschriften" ober Epigramme den Logan'schen Sinngedichten entgegensetzte und die Schlesier und ihre italienischen Muster mit beißenden Satiren verfolgte. Wernike war ein fein¬ gebildeter Weltmann, vertraut mit der Lebensphilosophie der Franzosen und Engländer, klug und witzig und mit Menschenkenntniß ausgerüstet. Er übertraf Logau eben so sehr an Feinheit, Schärfe und Witz, wie er an Offenheit und Geradheit des Charakters und an Reinheit der Gesinnung ihm nachstand. — Zugleich versuchte sich daselbst Postel an dem Epos, und so lächerlich auch seine poetische Uebersetznng des 14. Buchs der Ilias und sein Wittek ind (1724) erscheinen mögen, so wies er doch ans die höhere Gattung hin und wurde bahnbrechend für Klopstock. Der bedeutendste unter den Hamburger Dichtern war Barth. Hetnr. Brvckes, der nicht nur als Gegner ber schlesischen, sondern auch der neuen, den Franzosen nachgebildeten Dichtungsart auftrat, inbem er auf bie englischen Raturbichtcr (namentlich auf ben von ihm übersetzten Thomson, §. 680) hinwies unb Gefühl unb Sinnenreiz in die Poesie zurückführte. Sein „irdisches Vergnügen in Gott" begründete die schildernde Naturpoesie. BrockeS suchte Musik unb Malerei mit ber Dichtkunst zu verbinben, vertauschte baher ben Alejanbriner mit einem leichtern Versmaß unb machte bie Natur zum Vorwurf ber Dichtkunst. Diese Poesie, welche bie Natur in allen ihren Wirkungen unb Erscheinungen mit Liebe unb einer Art Begeisterung unb Anbacht ins Kleinste ausmalt, hatte jeboch eine anbere Einseitigkeit zur Folge. Sie wies von bem Menschen auf bie leblose Natur hin unb erzeugte baburch „eine große Weichheit ber Gemüthsstimmnng unb Empsinbsamkeit, auf ber Klopstock seinen Messias aufbaute." Brockes' Richtung fanb bei ben Dichtern jener Zeit großen Beifall, unb ba er selbst schon ben Plan hatte, ein System ber Natur poetisch zu bearbeiten, so würbe bie beschreibenbe Lehr« bichtung jetzt bie einzige Gattung, bie Geltung unb Pflege fanb. Alle Wissenschaften zog man in ben Kreis ber Poesie. III. Das stebeiyehnte Jahrhundert. A. Die Zeiten des dreißigjährigen Kriegs und der englischen Thronnmwälznng. 1. Der dreißigjährige Krieg (1618-1648). 1. Wachsende Spannung im Reich. §. 692. Maximilian II. und Rudolf. Während der Westen Europa'« in blutigen Religionskampfen lag, ruhten in Deutschland unter dem milden Scepter